Schmerzensgeld auch für Verletzungen bei rechtmäßigen Behördenmaßnahmen möglich

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Hintergrund:

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, zuständig für öffentlich-rechtliche Ersatzansprüche, hat eine bedeutende Entscheidung bezüglich des Rechts auf Entschädigung für staatliche Eingriffe in Leben, körperliche Unversehrtheit oder Freiheit (sogenannte "Opferung") getroffen. Diese Entscheidung erstreckt sich auch auf einen Anspruch auf immaterielle Schäden, die gemeinhin als Schmerzensgeld bezeichnet werden.

Fallzusammenfassung:

Der Kläger verlangt Schadensersatz aufgrund einer Verletzung, die er während eines Polizeieinsatzes erlitten hat. Am 23. Oktober 2010 wurden Schüsse aus einem fahrenden Auto auf ein Kebab-Restaurant in einer Stadt in Hessen abgefeuert. Im Rahmen der anschließenden polizeilichen Ermittlungen identifizierte eine Streifenwagenbesatzung das mutmaßliche Tatfahrzeug an einer Tankstelle. Zum Zeitpunkt des Vorfalls befanden sich der Kläger und ein Mitarbeiter im Verkaufsbereich der Tankstelle. Da ihre äußeren Merkmale grob zu den Beschreibungen der Verdächtigen passten, nahmen die Polizeibeamten an, dass es sich bei ihnen um die gesuchten Personen handelte. Weitere Polizeieinheiten kamen zur Unterstützung, und die Beamten betraten den Verkaufsbereich der Tankstelle. Da sie vermuteten, dass der Kläger und sein Mitarbeiter möglicherweise eine Schusswaffe bei sich führten, wiesen sie beide an, die Hände zu heben, brachten sie zu Boden und legten ihnen Handschellen an. Während dieses Vorfalls erlitt der Kläger eine Schulterverletzung. Es stellte sich schnell heraus, dass weder der Kläger noch sein Mitarbeiter etwas mit den Schüssen zu tun hatten. Daraufhin wurden ihnen die Handschellen abgenommen. Der Kläger verlangt Ersatz für den finanziellen Verlust aufgrund der Verletzung und fordert auch Schmerzensgeld.

Gerichtsverfahren:

Die Vorinstanzen erkannten an, dass die Polizeibeamten angesichts der Umstände rechtmäßig unmittelbaren Zwang angewendet hatten, um die Identität der Beteiligten festzustellen, gemäß § 163b Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO). Dennoch erkannten sie das Recht des Klägers auf Entschädigung für die Opferung an. In Übereinstimmung mit der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vergaben die unteren und Berufungsgerichte jedoch nur Entschädigungen für den erlittenen materiellen Schaden und wiesen die Forderung nach Schmerzensgeld ab.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der III. Zivilsenat, der seine frühere Rechtsprechung aufgab, entschied, dass der Anspruch auf Entschädigung für die Opferung auch die Entschädigung für immaterielle Schäden umfasst, einschließlich des Schmerzensgelds.

In seinem früheren "grundlegenden Urteil" vom 13. Februar 1956 (III ZR 175/54, BGHZ 20, 61, 68 ff) hatte der Senat argumentiert, dass nach dem Gesamtgesetzessystem Entschädigungen für immaterielle Schäden im Allgemeinen nicht geschuldet werden. Nur in Ausnahmefällen, die ausdrücklich gesetzlich vorgesehen waren, konnte eine Entschädigung für nicht-wirtschaftliche Schäden geltend gemacht werden. Eine solche Bestimmung fehlte jedoch für den allgemeinen Anspruch auf Opferung, der sich aufgrund des Gewohnheitsrechts aus §§ 74 und 75 der Einleitung zum Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten vom 1. Juni 1794 entwickelt hatte.

In seinem aktuellen Urteil stellte der Senat fest, dass nicht mehr davon ausgegangen werden könne, dass der Gesetzgeber beabsichtigt habe, die Verpflichtung zur Entschädigung für Eingriffe in immaterielle Rechtsgüter grundsätzlich auf daraus resultierende Vermögensschäden zu beschränken. Die Änderung des § 253 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften im Jahr 2002 hatte das Recht auf Entschädigung für Schmerzensgeld erweitert. Diese Änderung signalisierte eine Abkehr von dem Grundsatz, auf dem das Urteil des Senats vom 13. Februar 1956 beruhte. Diese Schlussfolgerung wurde auch durch die Änderung der Vorschriften über die Entschädigung für unrechtmäßige Haft im Jahr 1971 gestützt, die Entschädigungen für nicht-wirtschaftliche Schäden infolge solcher Haft vorsah. Darüber hinaus haben seitdem mehrere deutsche Bundesländer Bestimmungen eingeführt, die Entschädigungen für immaterielle Schäden in Fällen von Körperverletzung oder Gesundheitsschäden aufgrund präventiver polizeilicher Maßnahmen vorsehen.

Foto(s): www.kanzlei-steinwachs.de

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