Schulverweigerung durch die Eltern: Gefährdet „Homeschooling“ das Kindeswohl?

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Nach Art. 6 Abs. 2 GG sind das Recht der Eltern zu Pflege und Erziehung ihrer Kinder garantiert. Nach dieser Vorschrift sind Eltern berechtigt, ihr schulpflichtiges Kind vom Besuch der Schule fernzuhalten und zu Hause zu unterrichten.

Der Staat darf aber unabhängig von den Eltern eigene Erziehungsziele verfolgen. Weigern sich Eltern zum Zwecke der Erteilung von Hausunterricht, ihre Kinder der öffentlichen Grundschule oder einer anerkannten Ersatzschule zuzuführen, so kann in einer solchen Situation ein Missbrauch der elterlichen Sorge gegeben sein, der das Wohl der Kinder nachhaltig gefährdet.

Gem. § 1666 Abs. 1 BGB gehört eine Kindeswohlgefährdung, zu deren Abwehr die Eltern nicht in der Lage oder nicht gewilligt sind, zu den wichtigsten Voraussetzungen für das Eingreifen des Familiengerichts.

Bisher ist die Rechtsprechung davon ausgegangen, dass anhaltende Schulabstinenz bei elterlicher Schulverweigerung das Einschreiten der Schule, des Jugendamtes und des Familiengerichts zur Folge haben muss, um die erforderlichen Maßnahmen zur Wiederherstellung und Gewährleistung des Kindeswohls (hier: eines regelmäßigen Schulbesuchs) zu treffen.

Allerdings ist die Kindeswohlgefährdung im Sinne von §§ 1666, 1666a BGB nur dann anzunehmen, wenn eine konkrete gegenwärtige und unmittelbar bevorstehende erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes festgestellt werden kann. Daher sind für die Annahme der Kindeswohlgefährdung konkrete Verdachtsmomente erforderlich.

Dahingehend hat das OLG Bamberg (OLG Bamberg, Beschluss v. 22.11.2021 – 2 UF 220/20) entschieden, dass auch bei anhaltender Schulabstinenz die Kindeswohlgefährdung nicht automatisch angenommen werden kann. Es sind vielmehr alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen.

Die beteiligten Eltern haben den Schulbesuch seines gehörbeeinträchtigten Kindes eingestellt. Die Eltern meinten, dass dem Kind der Schulbesuch nicht guttäte und für ihn die „Homeschooling“-Option besser sei. Dem im Verfahren eingeholten familienpsychologischen Sachverständigengutachten waren jedoch keine auffälligen Befunde zu entnehmen. Es wurden klinisch relevante Auffälligkeiten weder zum Entwicklungsstand noch zu schulleistungsbezogenen Fertigkeiten des Kindes festgestellt. Es wurde aber bei dem Kind eine isolierte Rechtschreibstörung diagnostiziert. Das zuständige Amtsgericht hat somit festgestellt, dass die Nichteinhaltung der Schulpflicht eine Kindeswohlgefährdung darstelle, da die Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein oder Entwicklung psychischer Störungen bei Kindern durch die Schulabstinenz erhöht sei. Gerade bei bestehender isolierter Rechtschreibstörung bei dem betroffenen Kind bestehe ein zusätzliches Risiko für psychische Störungen. Durch die Schulverweigerung seien dem Kind auch Lernchancen und Entwicklungsmöglichkeiten genommen, so das Amtsgericht.

Das OLG Bamberg hat aber der von den Eltern eingelegten Beschwerde stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass es sich aus den mehreren im Verfahren eingeholten Gutachten bezüglich des betroffenen Kindes nur unauffälligen und altersentsprechenden Befund ergebe. Die isolierte Rechtschreibstörung kann auch bei einem regelbeschulten Kind vorkommen, so das Oberlandesgericht Bamberg. Daher ist OLG Bamberg zum Schluss gekommen, dass im vorliegenden Fall anhand der Umstände des Einzelfalles keine Kindeswohlgefährdung gegeben sei. Das staatliche Einschreiten gem. §§ 1666, 1666a BGB sei nur zum Kindesschutz und zu der Abwehr der bestehenden oder unmittelbar bevorstehenden Kindeswohlgefährdung zulässig, nicht zur Durchsetzung einer optimalen Förderung des betroffenen Kindes. Daher wären die Voraussetzungen der §§ 1666, 1666a BGB nach der Auffassung des Oberlandesgerichts nicht gegeben. Das staatliche Einschreiten wäre im gegebenen Fall unbegründet.

Das Kindeswohl hat stets die oberste Priorität. Deren Gefährdung ist aber nur beim Vorliegen der konkreten Anhaltspunkte unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalles festzustellen: Es sind im Verfahren nicht nur Gutachten einzuholen, sondern z.B. auch die Beteiligten, insbesondere das betroffene Kind, anzuhören.


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