Selbständige Einziehung § 76a StGB; Beschluss des Landgericht Hamburg vom 7.3.2019, 614 Qs 21/18

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Die selbständige Einziehung nach § 76a Abs. 4 StGB i.V.m. §§ 435, 437 StPO ist ein seit seiner Einführung im Jahr 2017 unter Juristen höchst umstrittenes strafrechtliches Instrument, mit dem der Staat Vermögen einziehen kann, das (nur) vermutlich aus Straftaten herrührt; eine Verurteilung wegen irgendeiner Straftat ist nicht mehr erforderlich, selbst an einen Freispruch kann der Staat ein sog. „Objektives Einziehungsverfahren“ anschließen. Dieser „Meilenstein“ der deutschen Rechtsgeschichte ist für uns Anlass genug, Ihnen die selbständige Einziehung anhand einer aktuellen Entscheidung des Landgerichts Hamburg etwas näher zu erläutern.

1. Politischer Hintergrund der selbständigen Einziehung

Kaum ein strafrechtliches Thema ist medial aktuell so präsent wie jenes der sog. „Clan-Kriminalität“ als Ausprägung einer Form der Organisierten Kriminalität. Das Spektrum der vermeintlichen Straftaten durch sog. Clanmitglieder reicht von Körperverletzungs- über Vermögens- bis hin zu Steuerdelikten. Die Strafverfolgungsbehörden reagieren auf dieses Verhalten nach eigenem Bekunden nunmehr mit einer „Null-Toleranz-Strategie“. Der die Berichterstattung verfolgende objektive Beobachter könnte aus einem Umkehrschluss die durchaus berechtigte Frage stellen, ob bzw. wieso der Rechtsstaat Straftätern dieses Milieus bisher „mit Toleranz“ begegnet ist. Dass in einem Rechtsstaat Regeln nicht nur formal zu gelten haben, sondern deren Einhaltung auch stringent kontrolliert werden muss, ist eine solche Selbstverständlichkeit, dass ihre Betonung (eigentlich) redundant ist.

a) Wenn der Zweck die Mittel heiligt

Aus rechtsstaatlicher Sicht aber durchaus bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Umgang mit dem Vermögen der sog. Clanmitglieder. Etwa aus Berlin wurde in letzter Zeit vermehrt berichtet, man habe aufgrund einer neuen Gesetzeslage Vermögenswerte der Betroffenen in Höhe von mehreren Millionen Euro sichergestellt. Der Anlass für das „Einfrieren“ der Vermögenswerte ist dabei im Kern nicht der Verdacht einer konkreten Straftat, sondern der Umstand, dass die Herkunft des Geldes ungeklärt ist. In diesen Fällen werden Fahrzeuge oder auch Immobilien beschlagnahmt, anschließend wird ermittelt, wie der Betroffene im Stande sein konnte, diese Gegenstände zu erwerben. Für den Bereich der sog. Organisierten Kriminalität werden die Strafverfolgungsbehörden medial für dieses Vorgehen gelobt und auch der neutrale Beobachter begrüßt es natürlich – etwas salopp ausgedrückt – wenn der offiziell von Sozialleistungen lebende Besitzer eines Maserati nach Sicherstellung des Fahrzeugs wieder mit Bus und Bahn fahren muss.

b) Rechtsstaatliche Auswirkungen

Tatsächlich reicht die rechtsstaatliche Bedeutung der Möglichkeit, „verdächtiges Vermögen einzufrieren“, aber weit über den Bereich der sog. Clan-Kriminalität hinaus und stellt diverse strafprozessuale Grundsätze in Frage. Die selbständige Einziehung kann jeden treffen, gegen den ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren, etwa wegen des Verdachts der Geldwäsche, geführt wird. Der Anfangsverdacht für eine solche Straftat ist regelmäßig ohne größeren Aufwand zu begründen, hierfür reicht es aus, wenn nach „kriminalistischer Erfahrung“ aufgrund von Tatsachen eine Straftat möglich erscheint. Verfahren wegen des Verdachts der Geldwäsche werden deshalb in der Praxis ohne Zögern eingeleitet, etwa wenn die Strafverfolgungsbehörden auf Bargeld aufmerksam werden, das ihnen „verdächtig“ erscheint. Ein kleiner vierstelliger Betrag genügt häufig schon, wenn der Betroffene keine den Beamten plausibel erscheinende Erklärung für den Besitz des Geldes abgibt. Die selbständige Einziehung stellt damit die Unschuldsvermutung, den nemo-tenetur-Grundsatz (Schweigerecht) und die Pflicht der Staatsanwaltschaft, dem Beschuldigten Straftaten nachweisen zu müssen, in Frage.

2. Rechtliche Grundlagen der selbständigen Einziehung

Die rechtlichen Grundlagen für die selbständige Einziehung finden sich in § 76a Abs. 4 StGB und den §§ 435 ff. StPO. Sie kommt in Betracht, wenn das konkrete Strafverfahren wegen des Verdachts einer in § 76a Abs. 4 Satz 3 StGB genannten Straftat geführt wurde. Das ist etwa die Geldwäsche nach § 261 StGB. Wird in diesem Verfahren ein Gegenstand beschlagnahmt, so kann das Gericht dessen Einziehung anordnen, wenn es zu der Überzeugung gelangt, dass dieser Gegenstand aus (irgend-)einer Straftat herrührt. Der Begriff des „Herrührens“ ist nach dem Willen des Gesetzgebers sehr weit zu verstehen.

Liegen nach Auffassung der Staatsanwaltschaft diese Voraussetzungen vor, so stellt sie den Antrag auf Durchführung des objektiven Einziehungsverfahrens. Hierbei kommt der Vorschrift des § 437 StPO maßgebliche Bedeutung zu. Danach kann das Gericht seine Überzeugung, dass ein Gegenstand aus einer rechtswidrigen Tat herrührt, insbesondere auf ein grobes Missverhältnis zwischen dem Wert des Gegenstandes und den rechtmäßigen Einkünften des Betroffenen stützen. Im objektiven Einziehungsverfahren steht der Betroffene einem Angeklagten gleich. Er muss daher keine Erklärungen abgeben und sich nicht zur Sache äußern. Das Gericht darf aus seinem Schweigen keine nachteiligen Schlüsse ziehen.

Praxistipp: In der Praxis neigen die Menschen dazu, gegenüber den Strafverfolgungsbehörden allzu eilfertig Erklärungen darüber abzugeben, woher sie bestimmte Vermögenswerte erlangt haben. Dazu gibt es gar keinen Anlass. Niemand muss gegenüber den Strafverfolgungsbehörden Angaben zu diesen Fragen machen. Im Gegenteil, aufgrund der ungewohnten Situation und einer gewissen Aufregung beim Kontakt mit der Polizei, können schnell Widersprüche entstehen, die das Gericht später zur Begründung seiner Einziehungsentscheidung heranzieht. 

3. Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 7.3.2019, Az.: 614 Qs 21/18

Wie weit die Möglichkeiten der selbständigen Einziehung reichen und dass man sich dieser nicht dadurch entziehen kann, dass man erklärt, woher das Geld stammt und dieses sogar offiziell beim Zoll anmeldet, zeigt eine aktuelle Entscheidung des Landgerichts Hamburg:

a) Sachverhalt

Am 30.9.2016 gegen 5:30 Uhr führte der spätere Beschuldigte in einem Rollkoffer Bargeld in Höhe von 800.000,00 EUR, abgepackt in mehreren Plastiktüten, bei sich. Er wollte in die Türkei ausreisen, meldete das Geld ordnungsgemäß an und legte hierfür eine auf das gleiche Datum ausgestellte und mit Firmenstempel einer belgischen Unternehmung versehene Bescheinigung beim Zoll vor. Beigefügt war auch eine Rechnung vom 29.07.2016 einer türkischen Unternehmung, in der eine Summe von 789.711,94 EUR ausgewiesen wurde. Hintergrund des Geschäftes soll eine Goldlieferung aus der Türkei gewesen sein.

Nachdem der Zoll das Geld sichergestellt und ein sog. Clearingverfahren eingeleitet hatte, gab der Beschuldigte über einen Rechtsanwalt diverse Erklärungen ab, welche Geschäfte der Bargeldzahlung zugrunde gelegen haben sollen und beantragte die Herausgabe des Geldes. 

b) Entscheidungsgründe

Das Landgericht Hamburg wies die gegen die Entscheidung des Amtsgerichts Hamburg gerichtete sofortige Beschwerde zurück, da es davon überzeugt sei, dass es sich bei dem Bargeld um inkriminiertes Vermögen handle. Wörtlich heißt es: 

„Im Zeitalter des elektronischen Zahlungsverkehrs…sind Bargeldzahlungen – zumal in dieser Höhe – schon per se hochgradig verdächtig und tragen den Stempel der Vertuschung und Verschleierung der Herkunft dieses Geldes regelrecht auf der Stirn.“

Weiter führte die Kammer u. a. aus, es sei nicht plausibel, warum man einen Geldkurier engagiere, obwohl eine Überweisung schneller und sicherer sei. Ungewöhnlich sei auch die Stückelung des Bargeldes, die durch den Vortrag des Betroffenen ebenso wenig erklärt sei wie das Verhältnis zwischen Kurier und Auftraggeber. Die belgische Unternehmung sei eine „Briefkastenfirma“, es sei „völlig lebensfremd“, dass diese solche Beträge „in derart kleiner Stückelung“ ansammle, um eine Forderung in Höhe von 800.000,00 EUR zu bedienen.

„Indiziell“ würden diese Überlegungen auch dadurch gestützt, dass der Kurier zunächst nicht habe angeben wollen, von wem er das Geld erhalten habe. Das Gericht führt aus: „Hätte es sich nicht um inkriminiertes Vermögen gehandelt, hätte gar kein Grund bestanden, die näheren Hintergründe des Bargeldtransfers…zu verschweigen.“ (sic!)

4. Konsequenzen aus dieser Entscheidung

Die Entscheidung des Landgerichts Hamburg macht deutlich, dass einige Gerichte und Staatsanwaltschaften die ihnen vom Gesetzgeber gegebenen Möglichkeiten der §§ 435 ff. StPO sehr weit auslegen. In der Fachliteratur finden sich hingegen diverse Autoren, die die selbständige Einziehung für verfassungswidrig halten. Ob sich andere Gerichte, insbesondere die Oberlandesgerichte, der Entscheidung des Landgerichts Hamburg anschließen werden, bleibt daher ebenso abzuwarten, wie die weitere Diskussion in der Fachliteratur. Letztlich wird hier aber nur das Bundesverfassungsgericht Klarheit bringen können.

Praxistipps:

  • Das Schweigerecht gilt auch bei der selbständigen Einziehung. 
  • Aus einem vollständigen Schweigen darf das Gericht keinen negativen Schluss für den Betroffenen ziehen. Macht man jedoch teilweise Angaben, können Widersprüche durchaus zu Lasten des Betroffenen verwertet werden.
  • Es gibt keine Beweislastumkehr im Strafrecht. Sie müssen nicht beweisen, dass das Geld rechtmäßig erlangt wurde, gegenteilige Behauptungen der Strafverfolgungsbehörden sind falsch.

5. Fazit

Die selbständige Einziehung ist ein ganz neues Instrument der Strafverfolgungsbehörden. Vieles ist hoch umstritten und es gibt bisher keine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Vorgehen. Vermeiden Sie teilweise Erklärungen zur Herkunft der betroffenen Gegenstände, nehmen Sie Akteneinsicht und überlegen Sie dann, ob eine Stellungnahme sinnvoll ist.


Autor:

Rechtsanwalt Dr. Pascal Johann; seit 2013 Kommentator der Vermögensabschöpfungsvorschriften der §§ 111b ff. StPO im Löwe-Rosenberg Großkommentar zur Strafprozessordnung; Promotion zum Dr. iur. im Jahr 2018 zum Thema „Möglichkeiten und Grenzen des neuen Vermögensabschöpfungsrechts“; deutschlandweite Vertretung und Vortragstätigkeit zu Fragen des Vermögensabschöpfungsrechts.

Foto(s): Dr. Johann

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