So viele Urteile wie möglich als Argumente vor Gericht sammeln?

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Urteile zu Unterhaltsfällen sammeln, um sie für sich vor Gericht im eigenen Verfahren anzubringen - gute Idee? 

Persönliches Engagement zahlt sich immer aus. Verhandeln Sie vor Gericht, könnten Sie Ihren Vortrag begründen oder untermauern, wenn Sie einschlägige Urteile benennen. Ob es sich wirklich lohnt, dass Sie sich selbst dieser Mühe unterziehen, unterliegt aber einer besonderen Beurteilung. Wir erklären, ob es eine gute Idee ist, wenn Sie selbst Urteile zu Unterhaltsfällen sammeln, um sie vor Gericht anzubringen.

Vor den Familiengerichten besteht Anwaltszwang

Vorab müssen Sie wissen, dass vor den Familiengerichten der sogenannte Anwaltszwang besteht. Es ist gesetzlich bestimmt, dass Sie sich als Antragsteller oder als Antragsgegner vor den Familiengerichten anwaltlich vertreten lassen müssen. Nur über einen in Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt ist es möglich, bei den Familiengerichten Anträge zu stellen und im mündlichen Scheidungstermin zu verhandeln.

Würden Sie beispielsweise in eigener Initiative beantragen wollen, den Kindesunterhalt neu festzusetzen, müsste das Familiengericht Ihren Antrag zurückweisen. Das Gericht dürfte Ihren Antrag gar nicht erst entgegennehmen. Auf die Begründung oder den Hinweis auf ein gerichtliches Urteil kommt es insoweit überhaupt nicht an. Sie benötigen zwingend eine anwaltliche Vertretung.

Ihr Anwalt kennt die Rechtsprechung im Unterhaltsrecht

Unabhängig vom Anwaltszwang könnten Sie natürlich daran interessiert sein, in eigener Initiative einschlägige gerichtliche Entscheidungen zu recherchieren und Ihrem Anwalt zur Verfügung zu stellen. Wirklich notwendig ist das aber nicht.

Beauftragen Sie wegen des Anwaltszwangs einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin mit Ihrer Vertretung vor dem Familiengericht, dürfen Sie sich darauf verlassen, dass der Anwalt die Rechtsprechung im Unterhaltsrecht kennt. Anwälte sind standesrechtlich verpflichtet, sich fortlaufend über die Entwicklung der Rechtsprechung und der gesetzlichen Vorschriften zu informieren. Es versteht sich, dass ein Anwalt darauf bedacht ist, ein für Sie vielleicht günstiges Urteil eines deutschen Gerichts in Ihrem Fall zu verwenden und das Gericht darauf hinzuweisen, wie jenes Gericht entschieden hat.

Letztlich dürfen Sie auch davon ausgehen, dass das Familiengericht Gesetz und Rechtsprechung im Detail kennt und auch Ihren Fall danach beurteilt. Würde ein Familiengericht entgegen der bestehenden Rechtsprechung Ihren Fall entscheiden, riskiert das Gericht, dass das eigene Urteil im Berufungsverfahren oder gar vor dem Bundesverfassungsgericht kritisiert und aufgehoben wird.

Urteil ist nicht gleich Urteil

Soweit Sie eigenständig gerichtliche Entscheidungen recherchieren, müssen Sie wissen, dass das Urteil eines Gerichts für andere Gerichte nicht unbedingt verbindlich ist. Nur die Entscheidungen der obersten Gerichte sind auch für andere Gerichte verpflichtend.

Im Unterhaltsrecht trifft dies meist auf Entscheidungen des Bundesgerichtshofs oder des Bundesverfassungsgerichts zu. Auch die Entscheidungen der Oberlandesgerichte sind relevant, einschränkend allerdings nur insoweit, als der eigene Bezirk betroffen ist. Gerade im Unterhaltsrecht ist es teils so, dass die Oberlandesgerichte unterschiedlich entscheiden. Dann nutzt es nichts, wenn Sie die Entscheidung des Oberlandesgerichts A recherchieren und das Familiengericht in Ihrem Fall die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts B anwendet. Sie können diese Unterschiede teils selbst nachlesen, wenn Sie in den Unterhaltsrechtlichen Leitlinien der einzelnen Oberlandesgerichte zur Düsseldorfer Tabelle recherchieren.

Vor allem die Entscheidungen der Amtsgerichte sind wenig verbindlich. Jeder Richter entscheidet nach eigenem pflichtgemäßem Ermessen. Ist der Familienrichter des Familiengerichts A der Meinung, dass seine Entscheidung richtig ist, ist er nicht verpflichtet, eine anderslautende Entscheidung des Familiengerichts B zu respektieren und auch in Ihrem Fall zur Anwendung zu bringen. Sollte die Entscheidung des Familiengerichts A Gesetz oder Rechtsprechung widersprechen, besteht selbstverständlich die Option, diese Entscheidung in der höheren Instanz überprüfen zu lassen.

Rechtsprechung betrifft den Einzelfall – kein fallbasiertes Recht in Deutschland

Recherchieren Sie eine gerichtliche Entscheidung, bedeutet dies längst nicht, dass Sie diese Entscheidung auch auf Ihren Fall anwenden könnten. Urteile betreffen meist Einzelfälle. Dies gilt insbesondere auch im Unterhaltsrecht.

Trotzdem lässt sich nicht von einem „fallbasierten“ Recht sprechen. „Fallbasiertes“ Recht ist ein Begriff aus dem angelsächsischen Recht. Im angelsächsischen Recht gibt es wenig verbindliche gesetzliche Regelungen, so dass sich die Rechtsprechung oft an anderen Fällen orientiert. Damit ist oft der Nachteil verbunden, dass ein fallbasiertes Recht wenig kalkulierbar ist und teils willkürlich anmutende Entscheidungen begründet. Das deutsche Recht hingegen orientiert sich immer am gesetzlichen Wortlaut und dem Zweck, der mit der gesetzlichen Regelung verfolgt wird.

Es bleibt daher immer zu prüfen, inwieweit eine gerichtliche Entscheidung pauschaliert werden und auf einen anderen Einzelfall übertragen werden kann. Um dies zu prüfen, ist die Kenntnis des jeweiligen Sachverhaltes und der Entscheidungsgründe des Urteils im Detail notwendig. Es sollte Aufgabe Ihres Anwalts bleiben, diese Bewertung nach juristischen Maßstäben vorzunehmen.

Vermeintlich günstige Urteile können auch nachteilig sein

Es nutzt nichts, wenn Sie dem Gericht eigenständig einschlägige Urteile anderer Gerichte vorlegen wollten. Das Gericht kann und darf Ihren Vortrag nicht entgegennehmen. Sie können nur über Ihren Anwalt vortragen und allenfalls gegenüber dem Anwalt anregen, dass Sie eine gerichtliche Entscheidung im Vortrag an das Gericht berücksichtigt wissen möchten.

Dabei sollten Sie es unbedingt dem Anwalt überlassen, ob die Entscheidung wirklich zitiert wird. Nur in Kenntnis des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe des Urteils lässt sich beurteilen, ob das vermeintlich für Sie günstige Urteil möglicherweise nicht auch für Sie ungünstige Inhalte aufweist, die Sie dem Gericht gerade nicht vortragen sollten.

Rechtsprechung ergibt sich meist aus Kommentaren

Teils werden gerichtliche Urteile auch im Internet, in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht. Daraus ergibt sich oft der Eindruck, dass damit der Weisheit letzter Schluss wiedergegeben wird. Vielmehr muss berücksichtigt werden, in welchem Gesamtzusammenhang ein gerichtliches Urteil zu verstehen ist.

Um die einschlägige Rechtsprechung insgesamt und zuverlässig zu recherchieren, wären Sie auf Kommentare angewiesen. In den Kommentaren werden die gesetzlichen Regelungen im Detail erörtert. Dabei wird auf die Hintergründe hingewiesen, deretwegen der Gesetzgeber eine bestimmte gesetzliche Regelung getroffen hat. Die Intention des Gesetzes bestimmt, wie der Wortlaut der Regelung zu verstehen und im Einzelfall anzuwenden ist.

Dabei ist auch wichtig, nicht eine einzelne gerichtliche Entscheidung einzubeziehen, sondern zu prüfen, inwieweit es noch weitere Entscheidungen zur Thematik gibt. Oft ist es in der Rechtsprechung so, dass Gerichte gegenteilig entscheiden. Es kann dann nicht angehen, eine einzelne Entscheidung für sich zu reklamieren, während andere Gerichte oder gar die überwiegende Zahl anderer Gerichte gegenteilige Meinungen vertreten. Mit anderen Worten: Ein einzelnes Urteil ist oft interessant, gewährleistet aber längst nicht, dass Sie sich damit ohne Hindernisse auf Ihr rechtliches Ziel zubewegen und den Rechtsstreit zuverlässig für sich entscheiden.

Um die aktuelle Rechtsprechung zu recherchieren, bedienen sich Anwälte spezieller Kommentare. Diese Kommentare sind oft viele hundert und tausende Seiten dick und kosten richtig Geld.

Beispiel

So umfasst beispielsweise der Kommentar von Palandt zum Bürgerlichen Gesetzbuch 1500 Seiten. Der Kommentar erscheint nahezu jedes Jahr neu und  kostet ca. 200 €. Da der Kommentar aus dem Vorjahr nicht unbedingt auf dem Stand der aktuellen Rechtsprechung ist, recherchieren Anwälte im Regelfall immer im aktuellen Kommentar. Die Option, Urteile kostenlos zu finden, ist insoweit nicht das Gebot der Stunde.

Ein Urteil allein entscheidet nichts

Zitieren Sie ein einschlägiges Gerichtsurteil, das Ihren Anspruch oder Ihre rechtliche Verteidigung stützt, bedeutet dies doch längst nicht, dass Sie den Rechtsstreit für sich entscheiden können. Entscheidend ist, dass Sie mit dem von Ihrem Anwalt formulierten Sachvortrag Ihren Anspruch oder Ihre Rechtsverteidigung wiedergeben, sich dabei möglichst auf eine gesetzliche Regelung beziehen und Ihren Sachvortrag im Hinblick auf den Inhalt dieser gesetzlichen Regelung formulieren.

In letzter Konsequenz müssen Sie das, was Sie behaupten, dann im Regelfall auch beweisen können. Dabei kommt es immer darauf an, wer die sogenannte Beweislast und damit das Risiko trägt, einen notwendigen Beweis nicht führen zu können. Lässt sich Ihr Vortrag also nicht gesetzlich begründen, nutzt Ihnen auch ein einschlägiges Gerichtsurteil nichts. Es bleibt Aufgabe Ihres Anwalts, Recht und Gesetz so zur Anwendung zu bringen, dass Sie im Gerichtsverfahren Vorteile haben und möglichst als Sieger die Arena verlassen. Insoweit kommt es immer auf den Gesamtvortrag an.

Das Verfahrensrecht begleitet Ihren Sachvortrag

Der Sachvortrag bei Gericht ist nicht alles. Genauso wichtig ist die Art und Weise, wie der Sachvortrag bei Gericht vorzubringen ist. Geht es um Unterhaltsrecht, sind die Zivilprozessordnung und das Familienverfahrensgesetz zu berücksichtigen. Danach bestimmt sich, was im Detail vorzutragen ist. Es sind eine Reihe von Fristen und Formalien zu beachten. Werden diese nicht beachtet, laufen Sie mit Ihrem Vortrag, auch wenn Sie dazu ein einschlägiges gerichtliches Urteil zu Ihren Gunsten anführen, ins Leere.

Fazit

Wir möchten mit diesem Text keinesfalls Ihr Engagement herabwürdigen. Selbstverständlich bleibt es Ihnen überlassen, eigenständig gerichtliche Entscheidung zu recherchieren und Ihrem Anwalt an die Hand zu geben. Trotzdem sollten Sie es im Eigeninteresse dem Anwalt überlassen, wie er Ihren Sachvortrag gestaltet und vor Gericht für Sie verhandelt. Bei Fragen hierzu schreiben Sie uns gern eine Nachricht!

Foto(s): iurFRIEND

Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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