Sorgfaltspflichten in der Lieferkette: LkSG – Wortungetüm oder wirkliche Errungenschaft für die Menschheit?!?

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Seit 01.01.2023 sind Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten gesetzlich dazu verpflichtet, ein Risikomanagementsystem für Lieferanten einzuführen (§ 1 Abs. 1 S. 1, 2 LkSG); ab 2024 soll dies auch für Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern gelten (§ 1 Abs. 1 S. 3 LkSG).


Damit werden knapp 3000 Unternehmen deutschlandweit nach dem LkSG verpflichtet sein. Neben der Bestimmung von Zuständigkeiten und der gewünschten Vorgehensweise für ein vom Gesetzgeber als angemessen betrachtetes Risikomanagementsystem stellt die Durchführung einer Risikoanalyse die dringendste Aufgabe für den Unternehmer dar. Die Mehrzahl der Unternehmen dürfte über noch keine sog. Lieferkettencompliance verfügen. Welche Voraussetzungen dazu vorliegen müssen, können Sie überblicksartig unter dem Link https://www.anwaltskanzlei-albrecht.de/archive/678 auf meiner Website nachlesen.


Risikoanalyse


Die Risikoanalyse als wesentlicher Bestandteil des Risikomanagements muss nach § 5 Abs.1, 4 LkSG jährlich im eigenen Geschäftsbereich (einschließlich Konzernunternehmen, § 2 Abs. 6 S. 3 LkSG) sowie hinsichtlich der direkten Zulieferer durchgeführt werden; bei entsprechenden Risikohinweisen auch anlassbezogen. Auf die mittelbaren Zulieferer muss die Analyse nach § 9 Abs. 3 LkSG anlassbezogen ausgeweitet werden, soweit substantiierte Kenntnis von möglichen Verletzungen erlangt wird. Die jeweils zu beachtenden Sorgfaltspflichten werden in § 3 LkSG normiert.


Da größere Unternehmen nicht selten tausende Zulieferer in unterschiedlichen Ländern mit abweichenden rechtlichen Vorgaben haben, stehen diese vor einer Mammutaufgabe. Diese Tatsache war dem Gesetzgeber durchaus bewusst. Darum wird dieser Problematik mit der Anwendung der sog. „angemessenen Sorgfalt“ begegnet, die eine Ausprägung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darstellt. Damit eröffnet sich ein Ermessens- und Handlungsspielraum des Unternehmens, der an den in § 3 Abs. 2 LkSG festgelegten Grundsätzen zu messen ist. Das bedeutet Art und Umfang der Geschäftstätigkeit (Nr. 1), das Einflussvermögen (Nr. 2) und der Verursachungsbeitrag (Nr. 4) des verpflichteten Unternehmens sowie - nach der Schwere - die Eintrittswahrscheinlichkeit und die mögliche Reversibilität einer Verletzung (Nr. 3) werden als Angemessenheitskriterien innerhalb dieses Spielraums mindestens zu betrachten sein. Dadurch wird die Pflicht geschaffen, sich um die Erreichung des gesetzgeberischen Zwecks zu bemühen, allerdings ohne wirtschaftlich Unerreichbares zu verlangen oder den Unternehmer gar zum Erfolg zu verpflichten.  


Durchführung der Risikoanalyse

Die Art der Durchführung der Risikoanalyse unterliegt keinen konkreten Vorgaben und liegt im Ermessen des Unternehmens. Dennoch ist es empfehlenswert, die Risikoanalyse planvoll vorzunehmen mit dem Fokus, mittels eines systematischen Verfahrens bestehende Risiken aufzudecken. Hier erscheint ein mehrschrittiges Verfahren zielführend, bei dem das Augenmerk zunächst auf der abstrakten sektoren- und länderbezogenen Risikobetrachtung liegt, wobei die Risiken sodann bewertet und priorisiert werden müssen. Bei der nachfolgenden konkreten Risikobetrachtung erfolgt für Zulieferer-Cluster mit hohem abstraktem Risiko eine vertiefte Informationsbeschaffung und weitere Priorisierung.


Abstrakte Risikobetrachtung

Hier verschafft sich das Unternehmen zunächst einen Überblick über seine Beschaffungsstrukturen, organisatorische Abläufe und ggf. betroffene Personenkreise. Im Anschluss kann mit der eigentlichen Risikobetrachtung begonnen werden. Bezüglich der verschiedenen Bereiche der eigenen Lieferkette werden alle verfügbaren Informationen der im LkSG genannten menschenrechts- und umweltrechtlichen Risiken ausgewertet. Hier ist eine sektorspezifische Risikobetrachtung und im Nachgang eine landesspezifische Risikobetrachtung vorzunehmen. Zur granulareren Darstellung kann hier auf Geschäftsmodellkategorien oder Produktkategorien abgestellt werden, sofern relevante Unterschiede für die Umwelt- oder Menschenrechtslage bestehen.

Werden sektorale Probleme festgestellt, muss geprüft werden, wie sie sich in dem jeweiligen Land darstellen und ob dort ggf. weitere ortsbedingte Risikofaktoren hinzutreten. Auf der landesspezifische Ebene ist dann zunächst das nationale Recht mit den oftmals auf Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zurückgehenden Anforderungen des LkSG zu vergleichen. Es empfiehlt sich zu prüfen, ob das betreffende Land die durch das LkSG in Bezug genommenen ILO-Konventionen ratifiziert und umgesetzt hat. Zur Beurteilung der Lage vor Ort kann auf Berichte von NGOs wie der ILO oder der OECD zurückgegriffen werden. Sodann werden die jeweiligen Risikobereiche hinsichtlich der möglichen Schwere und Eintrittswahrscheinlichkeit gewichtet.

Als Ergebnis der abstrakten Risikobetrachtung sollte das Unternehmen wissen, welche Zulieferer priorisiert näher zu betrachten sind und die jeweiligen Risiken – unabhängig von deren Eintrittswahrscheinlichkeit – festgestellt haben. Die Bewertung und Priorisierung sollte natürlich anhand der Angemessenheitskriterien gem. § 3 Abs. 2 LkSG erfolgen.


Konkrete Risikobetrachtung bei einzelnen (Risiko-)Zulieferern

Trotz des weiten Ermessens- und Handlungsspielraums bei der Auswahl der Methoden für eine weitere Informationsbeschaffung wird es für eine sinnvolle konkrete Risikobetrachtung eines identifizierten Hochrisikozulieferers gleichwohl häufig erforderlich sein, diesen hinsichtlich der LkSG-Pflichten zu auditieren. Dabei sollte bereits im Unternehmen vorhandenes Wissen um eine Inaugenscheinnahme der Verhältnisse vor Ort sowie Interviews mit den nach § 4 Abs. 4 LkSG relevanten Personen oder ihren Interessenvertretern (insb. Beschäftigte, Arbeitgeber, ggf.  örtliche Amtsträger) ergänzt werden. Bei manchen Zulieferern mit hohem abstraktem Risiko kann es – solange keine individuellen negativen Informationen vorliegen – auch genügen, sich auf vertrauenswürdige Zertifikate und Selbstauskünfte zu verlassen. Die Erstbetrachtung sollte auch dazu genutzt werden, festzustellen, wo relevante Daten – etwa mangels einsehbarer Dokumentation – fehlen. Diese Lücken müssen dann identifiziert, als mögliches Risiko erkannt und ggf. durch weitere Ermittlungen geschlossen werden. Im Einklang mit dem Prinzip der angemessenen Sorgfalt wird die Analyse durch die Priorisierung so von Beginn bis Ende an denjenigen Stellen vertieft, an denen Anhaltspunkte für Risiken bestehen.

Die Ergebnisse der Bewertung für die einzelnen Elemente der Lieferkette müssen aufbereitet und dokumentiert werden, damit sie in eine Gesamtdarstellung der LkSG-Risiken des Unternehmens einfließen können. Dabei ist von Anfang an auf eine möglichst sorgfältige Erfassung der Risiken zu achten. Relevant sind insbesondere auch Informationen zu den verantwortlichen Personen (on-site, in der Organisation des Zulieferers und im eigenen Unternehmen), der Gewichtung der Risiken sowie möglichen Präventiv- und Abhilfemaßnahmen.

Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) stellt unter https://www.bafa.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/Lieferketten/2022_06_handreichung.html eine Handreichung zur Risikoanalyse zur Verfügung. Darin wird empfohlen, mittelbare Zulieferer bereits möglichst früh in die Risikoanalyse einzubeziehen, um später separate, mit erheblichen Kosten verbundene anlassbezogene Risikoanalysen zu vermeiden.

Die in der Risikoanalyse gewonnenen Informationen müssen in Beziehung gesetzt und gewichtet werden. So entsteht eine Risikolandkarte (Risikomapping). Sinnvoll erscheint eine abschließende Einteilung der Zulieferer in drei Risikostufen (rot/gelb/grün).

Auf dieser Grundlage sind Präventions- und Abhilfemaßnahmen zu erwägen und ggf. umzusetzen. Darüber hinaus müssen die gewonnenen Informationen und die erwogenen Maßnahmen für einen Compliance-Bericht nach § 10 Abs. 2 LkSG aufbereitet werden. Das BAFA hat als Vorlage für die Gestaltung des Berichts bereits einen umfangreichen strukturierten Fragenkatalog herausgegeben.


Fazit: 

Abschließend betrachtet bietet die Analyse der Lieferketten für Unternehmen nicht nur eine Menge Aufwand. Die Angemessenheitsprüfung bietet den Mehrwert der Erkenntnis risikobehafteter Lieferanten und Schaffung weiterer Maßnahmen zur Verhinderung von Rechtsverstößen.

Im Hinblick auf die anlassbezogene Risikoanalyse ist im Vorfeld zu definieren, wann diese durchzuführen ist, z.B. bei neuem Projekt in neuem Land, damit nicht am Ende des Jahres erst erkannt wird, dass es zu Versäumnissen gekommen ist.

Im eigenen Geschäftsbereich muss ein festgestelltes Risiko beendet werden, im Ausland lediglich in der Regel. Allerdings sind auch hier Ausnahmen möglich, die zum Abbruch der Geschäftsbeziehung führen können/müssen.

Wichtig ist in jedem Fall, die getroffenen Entscheidungen ausreichend zu dokumentieren.


Gedanken zur Auswirkung des Gesetzes:

Es wäre interessant zu erfahren, wie beispielswiese die Tesla Gigafactory Berlin-Brandenburg im Ortsteil Freienbrink der märkischen Gemeinde Grünheide in Brandenburg, die mit mehr als 3.000 Mitarbeitern dem LkSG unterfällt, dieses umsetzt und sicherstellt, dass bei der Gewinnung der Rohstoffe für die Lithium-Ionen-Batterien keine Kinder zum Einsatz kommen oder die Umwelt nicht massiv geschädigt wird. Da dieser Umstand ein offenes Geheimnis ist (https://wirtschaft-entwicklung.de/blog/das-weisse-gold-der-abbau-von-lithium-in-suedamerika-1/ ), müssen Abhilfemaßnahmen getroffen werden, die in der Regel zur Beendigung der Verletzung führen. Abhilfe erscheint de facto nicht wahrscheinlich. Der Abbruch der Geschäftsbeziehung ist „nur dann geboten ist, wenn die Verletzung einer geschützten Rechtsposition oder einer umweltbezogenen Pflicht als sehr schwerwiegend bewertet wird“.

Ist das LkSG bei korrekter Anwendung gar das Aus der Elektromobilität und anderer grüner Strategien?




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