StVO-Reform – Vielfahrern droht Punkteflut in Flensburg

  • 7 Minuten Lesezeit

Die Novelle des Bußgeldkatalogs, die seit dem 28. April 2020 in Kraft, ist beschert den Autofahrern deutlich schärfere Regeln. Vor allem kann das Punktekonto in Flensburg schneller als bisher eine kritische Grenze erreichen – mit harschen Konsequenzen für den Führerschein und die eigene Mobilität. Vor allem Vielfahrer müssen aufpassen.

Mit der 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften wurden auch einige Tatbestände der Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV) geändert. Damit ist der Bußgeldkatalog wieder einmal umfassender und schärfer geworden. Was den Radverkehr stärken und den Verkehr „klimafreundlicher und gerechter“ machen soll, erhöht für Berufskraftfahrer und Vielfahrer die Wahrscheinlichkeit, ein Fahrverbot zu kassieren und schließlich durch zu viel Punkte im Flensburger Fahreignungsregister die Fahrerlaubnis gänzlich zu verlieren.   

Die neuen Risiken für die Fahrerlaubnis

Von hoher Relevanz für die Fahrerlaubnis ist die Verschärfung der Fahrverbote für Geschwindigkeitsverstöße. Bei deutlich geringeren Geschwindigkeitsverstößen als bisher wird nun auch ein Monat Fahrverbot verhängt. Dazu reicht innerorts eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 21 km/h und außerorts von 26 km/h. Zwei Punkte auf einen Schlag werden, wie nach der alten Regelung, aber erst ab einer Überschreitung von 31 km/h innerhalb und 41 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften vergeben.

Am 15.05.2020 ließ Bundesverkehrsminister jedoch folgende Stellungnahme verlautbaren:

"Es kam an einer einzigen Stelle zu einer Verschärfung, die aus meiner Sicht unverhältnismäßig ist. Deshalb bitten wir die Bundesländer, dies wieder in den alten Stand zurückzubringen. Das bezieht sich auf die Geschwindigkeitsbeschränkungen innerorts von 21 km/h und außerorts 26 km/h. Jeder muss sich an die Regeln halten. Das ist klar. Aber manchmal kommt es zu Härten, die an dieser Stelle wieder in eine Verhältnismäßigkeit gebracht werden müssen. Deswegen bitten wir die Bundesländer an nur dieser einen Stelle – sonst bleibt alles andere gleich, was wir geregelt haben – das einmonatige Fahrverbot wieder auf den alten Stand zurückzubringen..."  

Daher sollte jeder, dem nach den neuen Regeln der StVO-Novelle ein Fahrverbot wegen Geschwindigkeitsüberschreitung droht, unbedingt Einspruch einlegen. Gegenüber den Bußgeldstellen und Gerichte muss unter Hinweis auf die Aussage des Ministers auf ein Absehen von der Verhängung des Fahrverbotes gedrängt werden oder, sollte hier keine Bereitschaft zur Kulanz bestehen, das Verfahren solange zeitlich gedehnt werden, bis die Neuregelung in diesem Punkt tatsächlich rückgängig gemacht sein wird.     

Nichtbilden einer Rettungsgasse führt zu Fahrverbot 

Gleich um zwei Punkte auf einen Schlag anzuwachsen droht das Punktekonto nun auch bei unerlaubtem Nutzen einer Rettungsgasse. Diese kann genauso verfolgt und geahndet werden wie das Nichtbilden einer Rettungsgasse. Es drohen für diese Verstöße Bußgelder bis zu 320 Euro sowie ein Monat Fahrverbot. Neu ist auch ein Fahrverbot für das Nichtbilden einer Rettungsgasse auch ohne Verwirklichung einer konkreten Gefahr oder Behinderung.

Parkverstöße, die zu Punkten führen

Während es bei Parkverstößen bislang mit einem Knöllchen getan war, ist jetzt für verbotswidriges Parken auf Geh- und Radwegen sowie das nunmehr unerlaubte Halten auf Schutzstreifen und das Parken und Halten in zweiter Reihe auch der Eintrag eines Punktes in das Fahreignungsregister möglich, nämlich dann, wenn in diesen Fällen andere Verkehrsteilnehmer behindert oder gefährdet werden, eine Sachbeschädigung erfolgt ist oder das Fahrzeug auf dem Geh- oder Radweg länger als eine Stunde parkt. Auch die vorschriftswidrige Nutzung von Gehwegen, linksseitig angelegten Radwegen und Seitenstreifen durch Fahrzeuge wird statt bis zu 25 Euro mit bis zu 100 Euro Geldbuße und damit einem Punkt in Flensburg geahndet.

Hilfreich ist ein Überblick über den eigenen Punktestand

Für Vielfahrer ist es nun umso wichtiger, den eigenen Punktestand zu kennen. Einen kostenlosen Auszug aus dem Fahreignungsregister, aus dem sich auch der aktuelle Punktestand entnehmen lässt, kann jeder auf dem Postweg oder direkt beim Kraftfahrtbundesamt einholen. Ohne einen Überblick, wo man selbst steht, kann schnell unwissentlich die kritische Grenze erreicht sein.

Das Punktesystem wurde erst 2014 durch eine umfassende Reform verschärft. Die Eintragungsgrenze von Ordnungswidrigkeiten liegt seitdem bei 60 Euro. Wird ein Punktestand von acht erreicht, kommt es zur Entziehung der Fahrerlaubnis. Zurück gibt es sie frühestens nach sechs Monaten und nach bestandenem „Idiotentest“ (MPU). Und die Punkte bleiben lange gespeichert: Die Tilgungsfrist beträgt für Verstöße, die mit einem Punkt bewertet werden, zweieinhalb Jahre und für sehr schwere Verstöße, die mit grundsätzlich zwei Punkten eingetragen werden, ganze fünf Jahre. Ein Punkteabbauseminar, mit dem der Punktestand um einen Punkt reduziert werden kann, ist nur einmal in fünf Jahren möglich, und auch nur bis zu einem Punktestand von maximal 5.

Einspruchsmöglichkeiten sinnvoll nutzen

Bei bestehenden Vorbelastungen im Fahreignungsregister oder wenn in einem neuen Bußgeldverfahren ein Fahrverbot droht oder um ganz einfach den Anfängen zu wehren, kann es äußerst sinnvoll sein, von der Einspruchsmöglichkeit Gebrauch zu machen. Das Einspruchsverfahren bietet einerseits die Möglichkeit, einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bußgeldbescheids überprüfen zu lassen, andererseits Einwendungen gegen die Angemessenheit von Geldbußen und Fahrverboten geltend zu machen.  

Ermessenspielräume können in begründeten Fällen besondere Härten abmildern, denn Bußgeldbehörden und Bußgeldrichter haben die Möglichkeit, die im Bußgeldkatalog vorgesehenen Bußgelder auf einen Betrag zu reduzieren, der nicht mehr im eintragungsfähigen Bereich liegt, also auf weniger als 60 Euro. Das liegt daran, dass die im Bußgeldkatalog vorgesehen Geldbußen eine Zumessungsrichtlinie für den Regelfall darstellen. Wenn bei der Begehung des Verstoßes außergewöhnliche Umstände eine Rolle spielen, die die Vorwerfbarkeit an den Fahrer verständlicherweise stark mindern, wie beispielsweise eine schlecht erkennbare Beschilderung oder eine besondere Stresssituation des Fahrers.

Die Erforderlichkeit eines Fahrverbotes kann entfallen, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen nahelegen, dass der durch das Fahrverbot bezweckte, erhebliche erzieherische Zweck auch durch eine Bußgelderhöhung erreicht werden kann. Gleiches gilt, wenn besondere mildernde Tatumstände die grobe Pflichtwidrigkeit der zum Fahrverbot führenden Zuwiderhandlung entfallen lassen.

Außergewöhnliche Härten glaubhaft darlegen

Bußgeldbehörden und Gerichte sind im Einspruchsverfahren auch gehalten, die Verhältnismäßigkeit der Verhängung des Fahrverbotes mit den wirtschaftlichen und beruflichen Auswirkungen für den Betroffenen abzuwägen, sofern dieser glaubhaft darlegt, durch das Fahrverbot von außergewöhnlichen Härten getroffen bedroht zu sein. Es steht in ihrem pflichtgemäßen Ermessen, ggf. bei gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße ausnahmsweise von der Verhängung des Fahrverbotes abzusehen. Dabei sind wirtschaftliche Nachteile des Fahrverbots – weil selbstverschuldet – vom Betroffenen bis zur Grenze des Zumutbaren hinzunehmen. Die Zumutbarkeit endet erst dort, wo dem Verkehrssünder als Folge des Fahrverbotes konkret der Arbeitsplatzverlust droht oder bei einem Selbständigen die Existenz gefährdet wäre. Es ist deshalb wichtig, dass die geltend gemachten beruflichen Härten möglichst detailliert dargelegt und im Idealfall auch zu beweisen sind.   

Nur Einspruch eröffnet Rechtsschutzmöglichkeiten

Schwierig und mit einigem Aufwand verbunden ist es, die Richtigkeit eines Bußgeldbescheids erfolgreich anzugreifen. Das technische Niveau der für amtliche Geschwindigkeitsmessungen zugelassenen Messverfahren ist hoch und das Messpersonal zumeist ordentlich geschult. Allerdings gibt es auch noch Messverfahren wie die Riegl-Laserpistole, bei der eine fehlende Foto- oder Videodokumentation des Geschwindigkeitsverstoßes einem objektiv kontrollierbaren Messergebnis entgegensteht.

Eine im Jahr 2013 auf der Grundlage von 1.810 untersuchten Vorgängen durchgeführte Sachverständigenuntersuchung ergab, dass immerhin ca. 5 % aller Geschwindigkeitsmessungen technisch nicht korrekt oder mit technisch nachweisbaren Mängeln behaftet waren. In ca. 29 % der Fälle waren so gravierende Mängel in der Beweisführung festzustellen, dass eine Richtigkeit der Messung nicht zweifelsfrei zu belegen war. Nicht immer entspricht die Verwendung eines Messgerätes oder die Auswertung und Dokumentation der Messresultate den gesetzlichen Vorgaben oder der Bedienungsanleitung des Geräteherstellers.

Da die Verkehrsüberwachung eine staatliche Aufgabe ist, darf sie auch nur in engen Teilbereichen auf private Dienstleister übertragen werden. Eine unzulässige Einbindung Privater bei der Durchführung oder Auswertung von Geschwindigkeitsmessungen kann zu Beweisverwertungsverboten führen.

Überdies hat die Ordnungsbehörde die Sicherheit der vom Messgerät erzeugten digitalen Messdaten und die Authentizität der Falldateien mit der in der Bußgeldakte befindlichen Darstellung, wobei es sich zumeist um ein Messbild mit Dateneinblendung handelt, sicherzustellen.

Richtlinien für die polizeiliche Verkehrsüberwachung sehen vor, dass grundsätzlich nur an Unfallhäufungsstellen und eventuell in Tempo 30-Zonen geblitzt werden sollte. Die Aspekte der Verkehrssicherheit haben Vorrang. Rein fiskalische Interessen, nach denen Blitzer an besonders lukrativen Stellen aufgestellt werden, dürfen kein Kriterium sein.  

Schließlich gilt es, da das Prinzip der Fahrerverantwortlichkeit besteht, genau hinzuschauen, ob das Beweisfoto eine Identifikation des Fahrzeugführers zweifelsfrei ermöglicht. Gerade wenn die Qualität des Beweisfotos schlecht oder das Antlitz des Fahrzeuglenkers verdeckt ist, können hier Zweifel zu einer Verfahrenseinstellung oder einem Freispruch des Betroffenen führen.

Es kann sich also durchaus lohnen, den Kampf gegen Geldbußen, Punkte und Fahrverbote aufzunehmen. Mit einer Verkehrsrechtsschutzversicherung im Rücken geht dies sogar ohne Kostenrisiko. Das oft entscheidende Element, dabei erfolgreich zu sein, ist das umfassende Akteneinsichtsrecht, das Rechtsanwälten in Bußgeldverfahren zusteht. Jeder Bürger hat das Recht, nur aufgrund ordnungsgemäß gewonnener Messdaten belangt zu werden. Damit korrespondiert das Recht, die Ordnungsmäßigkeit der Messung im Rahmen einer genauen Analyse der Akten überprüfen zu können.

Über den Verfasser:

Rechtsanwalt Christian Demuth ist Fachanwalt für Strafrecht und Experte für die persönliche Mobilität auf Rädern. Er berät und vertritt bundesweit Menschen bei Konflikten mit dem Verkehrsstrafrecht, bei Bußgeldverfahren und bei Problemen rund um die Fahrerlaubnis. Christian Demuth setzt dabei neben dem fachlichen Know-how im Verkehrsrecht insbesondere auch auf eine größtmögliche Diskretion für die Betroffenen. Sitz der CD Anwaltskanzlei ist Düsseldorf.

Foto(s): C.S. Demuth

Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Christian Demuth

Beiträge zum Thema