Über das „Stadtpark-Urteil“ und die Wut gegen eine Richterin

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Am 19. September 2020 besucht ein 15-jähriges Mädchen eine Veranstaltung im Hamburger Stadtpark, im Laufe der Nacht werden sich mehrere junge Männer an ihr vergehen. Das kürzlich gesprochene Urteil brachte Morddrohungen für die Richterin mit sich. 

Ein Sommernachtsalptraum

Das Gericht ist davon überzeugt, dass neun der späteren Angeklagten – zum Tatzeitpunkt zwischen 16 und 20 Jahre alt - die Jugendliche in mehreren Gruppen vergewaltigt hatten.  Die 15-Jährige sei nach einer Party auf der Festwiese im Stadtpark herumgeirrt und dann an die Angeklagten geraten, welche ihre schutzlose Lage teilweise unabhängig voneinander jeweils ausnutzten. Das Opfer befand sich durchweg in einer psychischen Ausnahmesituation und wies einen Blutalkoholwert von mindestens 1,6 Promille auf. 

Zunächst führten vier der Angeklagten die 15-jährige Jugendliche in ein Gebüsch und nahmen gegen ihren erkennbaren Willen sexuelle Handlungen an ihr vor; auch ihr Portemonnaie und Handy wurden von einem der Angeklagten gestohlen. Zwei weitere Angeklagten nutzten den verwirrten Zustand der Geschädigten aus und vergewaltigten sie ebenfalls. Erneut über die Festwiese irrend geriet sie an einen weiteren Angeklagten, der sie missbrauchte. Zuletzt ging die Jugendliche mit den übrigen drei Angeklagten in ein Gebüsch, wobei nicht abschließend geklärt worden konnte, ob alle drei sie vergewaltigten. Daher wurde ein 23-Jähriger vom Gericht freigesprochen. 

Die Richterin stellte fest, dass die Jugendliche aus Angst und Verstörung alles über sich ergehen ließ. Die Tat habe bei ihr eine schwere akute Belastungsreaktion ausgelöst, die danach zu widersprüchlichem und paradoxem Verhalten geführt habe. Dennoch sei für alle Verurteilten erkennbar gewesen, dass die Jugendliche keinerlei sexuellen Handlungen gewollt habe. Hiergegen wandten sich die insgesamt 20 Strafverteidiger der Angeklagten: Diese seien davon ausgegangen, dass der Geschlechtsverkehr durchaus dem Willen der Geschädigten entsprach. Worte des Bedauerns oder der Reue wurden keine gesprochen. 

Der Prozess erstreckte sich über eineinhalb Jahre und wurde vor der Jugendkammer unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Am 28. November wurde nun das Urteil gesprochen: Neun der Angeklagten erhielten Haftstrafen, acht hiervon wurden zur Bewährung oder sog. Vorbewährung ausgesetzt. Ein Angeklagter muss für zwei Jahre und neun Monate in Haft. Ein zehnter wurde freigesprochen. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig.

Das Nachspiel: Persönliche Angriffe gegen die Richterin

Das Unverständnis, die Empörung, Frustration und Wut, die sich nach der Urteilsverkündung in der Volksseele bündelte, entlud sich blitzartig auf die Vorsitzende Richterin der Kammer. Die verbalen Angriffe finden vor allem auf den sozialen Netzwerken statt und reichen von Beleidigungen über persönliche Angriffe bis hin zu Aufrufen zur Gewalt gegen die Richterin und dem Wunsch, sie selbst möge Opfer einer Vergewaltigung werden. Überspitzt gesagt erfolgte nach der sexualisierten Gewalt gegen eine Frau die Drohung mit Gewalt gegen eine andere.
Auch der Hamburgische Richterverein als Zusammenschluss der hanseatischen Richter und Staatsanwälte zeigt sich bestürzt über die „unerträgliche Hetze gegen die Kollegin“. 

An dieser Stelle muss sich erneut ins Gedächtnis gerufen werden, dass niemand während der 65 Verhandlungstage und der Aussagen mehrerer Sachverständiger sowie 96 Zeugen anwesend war, da die Öffentlichkeit vom Prozess ausgeschlossen wurde. Daher ist es nur konsequent, dass die mediale Berichterstattung in Teilen zumindest lückenhaft ist. Während die Verteidigung für einen Freispruch plädierte, folgte das Gericht im Wesentlichen der Forderung der Staatsanwaltschaft. Lange sei nicht klar gewesen, was sich genau in der Nacht vom 19. zum 20. September 2020 zugetragen habe, was auch den Umfang des Indizienprozesses erklärt.  Außerdem sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass wir uns im Jugendstrafrecht befinden und die zur Bewährung ausgesetzte Haftstrafe eine der schärfsten Instrumente darstellt. Das Jugendstrafrecht legt – zu Recht – andere Schwerpunkte als das Erwachsenenstrafrecht und der Schreie nach seiner Verschärfung aufgrund einzelner Tatgeschehen ist im Ergebnis schlichtweg nicht zielführend.   

Strafverteidigung auf höchstem Niveau – in jedem Fall

Als Kanzlei, die sich auf das Strafrecht spezialisiert hat, nehmen wir den Angeklagten und seine Rechte ernst und erarbeiten eine wirkungsvolle Verteidigungsstrategie, ganz unabhängig davon, wie der Vorwurf lautet. Sind Sie Betroffener eines Strafverfahrens? Kommen Sie gerne zu jedem Verfahrensstand auf uns zu und holen Sie sich einen starken, kompetenten Partner an die Seite. 

Foto(s): Kanzlei Laqmani

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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