Und wenn der Richter nichts tut? Dann ist das ebenso, urteilt der BGH...

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Wenn Richter über die Anforderungen an richterliche Tätigkeit urteilen, führt das grundsätzlich schon zu Bedenken. Und tatsächlich senkt die Rechtsprechung den Anspruch an die Qualität richterlichen Schaffen kontinuierlich. Mit teils drastischen Ergebnissen. Richten soll es dann meist der Anwalt. Dass geht so weit, dass häufig das Bundesverfassungsgericht korrigierend eingreifen muss. Leidtragender ist aber nicht nur der Mandant und gegebenenfalls sein Anwalt bzw. unser Rechtssystem, sondern eben auch die Vielzahl der Richter, die ihre zunehmend härter werdende Arbeit ernst nehmen.

Wir haben uns daher entschlossen diesem Thema und den bisweilen schlicht nicht mehr nachvollziehbaren Entscheidungen des BGH ein wenig Aufmerksamkeit zu schenken.

Wirksame Sanktionen für überlange Gerichtsverfahren gibt es nach der hier präsentierten Entscheidung faktisch nicht. Genau das sollte § 198 GVG, wie vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gefordert, aber leisten.

Zur Entscheidung:

In der anfänglichen Gerichtsverhandlung fungierte der Kläger als Beklagter und sah sich mehr als 4.000 Schadensersatzansprüchen von Kapitalanlegern in Millionenhöhe gegenüber, die im Zusammenhang mit dem Kollaps der "Göttinger Gruppe" standen. Das Verfahren, das als Grundlage für die Urteilsfindung des Bundesgerichtshofs diente, wurde als repräsentatives Muster für eine Reihe ähnlicher Fälle ausgewählt. Nach einer Dauer von sieben Jahren und acht Monaten endete dieser Prozess mit einer Klagerücknahme. Der Kläger hatte während dieses Prozesses gemäß § 198 Abs. 3 GVG einen Verzögerungseinwand vorgebracht.

In der Folge verfolgte der Kläger Entschädigungsforderungen gegen das Land Niedersachsen für immaterielle Schäden, die ihm aufgrund der ausgedehnten Verfahrensdauer entstanden waren. Er bezifferte seine angemessene Entschädigung auf EUR 11.550, basierend auf 77 Monaten und einem Satz von EUR 150 pro Monat. Das Oberlandesgericht Braunschweig, das nach § 201 Abs. 1 GVG zuständig war, sprach ihm jedoch lediglich EUR 6.426,61 zu. Das Gericht begründete dies mit einer Verfahrensverzögerung von nur acht Monaten und einem Monatssatz von EUR 803,33.

Im Kontext von Art. 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention entschied der Bundesgerichtshof, dass die Verzögerung von acht Monaten korrekt festgestellt wurde, jedoch sollte die Entschädigung pro Monat nicht mehr als EUR 150 betragen, was zu einer Gesamtentschädigung von EUR 1.200 führte. In seiner ausführlichen Analyse, die 41 Seiten umfasste, erörterte der Bundesgerichtshof, welche Teile des Verfahrens bemängelt werden könnten und wie lange diese Verzögerungen dauerten.

Der Bundesgerichtshof wendete einen großzügigen Beurteilungsmaßstab an und stellte fest, dass die Verfahrensführung des Richters nicht auf ihre Richtigkeit, sondern lediglich auf ihre Vertretbarkeit überprüft werden sollte. Er argumentierte, dass es unvertretbar sei, wenn ein reif für eine Entscheidung befindliches Verfahren nicht vorangetrieben wird.

Abschließend merkte der Bundesgerichtshof an, dass spezielle Bedingungen für Muster- oder Pilotverfahren in Bezug auf die Verfahrensführung nicht gelten. Das Oberlandesgericht Braunschweig hatte zuvor eine andere Ansicht vertreten. Der Bundesgerichtshof stellte jedoch klar, dass der Charakter des Ausgangsverfahrens als Pilotverfahren bei der Bemessung der Entschädigung berücksichtigt werden könne.

Insofern wäre die Frage, ob dieser spezielle Charakter des Verfahrens in den Entschädigungsansprüchen berücksichtigt werden sollte, die der Kläger in den zugehörigen Verfahren geltend gemacht hat, für den aktuellen Fall nicht relevant und bedarf keiner weiteren Erörterung.

Nach unserer Auffassung wäre auch diese Entscheidung ein Fall für das Bundesverfassungsgericht. auch wir sind in unseren Verfahren mit immer länger dauernden Verfahren konfrontiert. Wenn man als Partei jedoch die Sorge haben muss, dass die eigenen Ansprüche überhaupt nicht oder derart spät, dass die wirtschaftlichen folgen nicht mehr kompensierbar sind, stell das den Rechtsstaat in Frage.

Haben Sie rechtliche Fragen, oder können Sie über Vergleichsweises berichten, schreiben Sie uns gerne unverbindlich eine Nachricht an eine unserer Kanzleien.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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