Unzureichende Aufklärung und grobe Behandlungsfehler im Rahmen operativer Lymphknotenentnahme

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Landgericht Dortmund, Urteil vom 14.04.2016

- 4 O 230/13 -

Vermehrte grobe Behandlungsfehler, Dokumentationspflichtverletzung und unzureichende Aufklärung im Zusammenhang mit einer operativen Lymphknotenentnahme im Halsbereich

Sachverhalt:

Bei der Klägerin war es über mehrere Monate hinweg zu dem wiederholten Auftritt von fieberhaften Infekten nebst einer Gewichtsabnahme gekommen. Die stationäre Untersuchung im Hause der Beklagten zu 1) ergab daraufhin das Vorliegen von vermehrt vergrößerten Lymphknoten, dies insbesondere im Hals- und Achselbereich. Zum Ausschluss eines malignen Prozesses wurde sodann die Indikation zur Lymphknotenextripation (d.h. einer operativen Lymphknotenentnahme) gestellt, wobei die Klägerin im Vorfeld des Eingriffes jedoch lediglich über eine Entnahme zur Histologiegewinnung im Halsbereich aufgeklärt wurde.

Über die ebenfalls bestehende Möglichkeit der Gewinnung des Gewebes im Bereich ihrer Achsel, welche mit weitaus anderen/geringeren Risiken einherging, wurde die Klägerin indessen nicht informiert. Schlussfolgernd kam es zu dem Eingriff im Halsbereich, dessen Abläufe lediglich rudimentär im entsprechenden Operationsbericht festgehalten wurden. Postoperativ beklagte die Klägerin sowohl gegenüber dem ärztlichen Personal der Beklagten zu 1) als auch gegenüber der nachbehandelnden Neurologin, d.h. der Beklagten zu 2), wiederholt Schmerzen sowie eine Armhebeschwäche im Bereich des rechten Armes. Während die Beklagte zu 1) die eigens herbeigeführte Schädigung des Nervus accessorius aufgrund unzureichender postoperativer Untersuchungen, d.h. insbesondere aufgrund der mangelnden Veranlassung einer neurologischen Untersuchung, nicht diagnostizierte, stellte die Beklagte zu 2) ausweislich ihrer Dokumentation die Nervenschädigung zwar fest, reagierte auf diese in der Folgezeit jedoch nicht und lies die Klägerin diesbezüglich im Dunklen.

Erst als sich die Klägerin auf eigene Veranlassung in die Neurochirurgie des sodann weiterbehandelnden Klinikums begab, kam es dort nach unverzüglich festgestellter und mitgeteilter Diagnose des Vorliegens einer Accessoriusparese zu einem Eingriff, im Rahmen dessen der Nerv freigelegt und genäht wurde. Da seit dem Ersteingriff im Hause der Beklagten zu 1) jedoch bereits über ein halbes Jahr vergangen war, konnte dieser Folgeeingriff den nunmehr lange geschädigten Nerv nicht mehr retten. Die Klägerin litt daher auch im Anschluss an die operative Revision weiterhin an einer annähernden Gebrauchsunfähigkeit ihres rechten Armes sowie an ständigen Schmerzen im Bereich desselbigen.

Rechtliche Würdigung des Gerichts:

Die rechtliche Würdigung des vorbenannten Sachverhaltes durch die vierte Zivilkammer des Landgerichts Dortmund führte zunächst zu dem Ergebnis, dass die Klägerin im Vorfeld des Ersteingriffes unzureichend über die bestehenden Behandlungsalternativen aufgeklärt wurde. So hätte dieser insbesondere auch die Möglichkeit der Lymphknotenentnahme im Achselbereich beschrieben werden müssen, als dass mit einer solchen eben nicht das bekannte Risiko der Schädigung des Nervus accessorius und dessen erheblich lebensbeeinträchtigenden Folgen einhergingen. Auch war die Kammer nach Anhörung der Klägerin davon überzeugt, dass sich die Klägerin bei ordnungsgemäßer Aufklärung gegen den Eingriff im Halsbereich entschieden hätte.

Überdies wurde das intraoperative Vorgehen als grob behandlungsfehlerhaft gewertet, da selbiges im Nachhinein aufgrund der unzureichenden Dokumentation des Klinikums nicht mehr nachvollzogen werden konnte. Insoweit bestätigte insbesondere der zu Rate gezogene Sachverständige, dass sich bei der Lymphknotenentnahme im Halsbereich ein operativer Standard etabliert hätte, welcher so grundsätzlich auch im Operationsbericht festzuhalten wäre. Unter anderem wäre dabei der Nervenverlauf darzulegen. Die sachverständigenseits beschriebenen Erfordernisse fanden sich in den knappen Operationsbericht der Beklagten zu 1) indessen nicht wieder, so dass beweisrechtlich zu Lasten der Beklagten zu 1) im Nachhinein nicht mehr nachvollzogen werden konnte, ob intraoperativ eine ordnungsgemäße Nervenschonung stattgefunden hatte.

Des Weiteren wurde auch die postoperative Behandlung im Klinikum seitens des Landgerichts Dortmund als grober Behandlungsfehler eingestuft, da trotz eindeutiger Symptome für das Vorliegen eines Nervenschadens keine unverzüglichen Untersuchungen stattgefunden hatten. Dabei ist jedoch bekannt, dass nach herbeigeführter Nervenschädigung eine schnelle Revisionsoperation oftmals dazu führen kann, dass der geschädigte Nerv wiederhergestellt wird.

Überdies wurde auch das Verhalten der nachbehandelnden Neurologin als schlichtweg nicht nachvollziehbar und daher grob behandlungsfehlerhaft beschrieben, da seitens dieser zwar bereits im Rahmen der ersten Vorstellung der Klägerin die Schädigung des Nervus accessorius festgestellt, jedoch sodann nicht auf diese reagiert wurde.

Als gänzlich unverständlich empfand es das Landgerichts Dortmund darüber hinaus, dass die geschädigte Klägerin seitens der Beklagten zu 2) – trotz der eigens festgestellten Nervenschädigung – nicht über die Diagnose, deren Schwere, die Erforderlichkeit der weiteren Beobachtung oder gar die Möglichkeit des operativen Eingriffs zur Sanierung des Nervs aufgeklärt wurde.

Die Versäumnisse führten dazu, dass die Beklagten als (anteilsmäßige) Gesamtschuldner verurteilt wurden, der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 80.000,00 € zu zahlen. Ebenfalls wurden die Beklagten zum Ersatz des über die Dauer von ca. drei Jahren angefallenen Haushaltsführungsschadens in Höhe von knapp 40.000,00 € verpflichtet. Auch wurde der geschädigte Klägerin der Ersatz von weiteren materiellen Schäden (Fahrtkosten, Anschaffung eines behindertengerechtes Fahrrades etc.) zugesprochen. Überdies wurde festgestellt, dass die Beklagten der Klägerin auch in der Zukunft zum Ersatz der infolge der rechtswidrigen/fehlerhaften Behandlung zur Entstehung gelangenden Schäden verpflichtet sind.

Anmerkungen von RA Gilsbach:

Das Urteil des Landgerichts Dortmund bestätigt eindrucksvoll, zu welch erheblichen ärztlichen Versäumnissen es im Rahmen einer operativen Lymphknotenentnahme sowie der Diagnostik/Behandlung einer daraufhin eingetretenen Nervenschädigung kommen kann.

Dabei ist der Patient im Vorfeld eines Eingriffes immer dann über bestehende Behandlungsalternativen aufzuklären, wenn es sich bei diesen um sog. echte Behandlungsalternativen handelt. Für die Annahme einer echten Behandlungsalternative muss diese gleichermaßen medizinisch indiziert, jedoch mit unterschiedliche Risiken/Komplikationen und Belastungen für den Patienten einhergehen. Dies war im Gegebenen der Fall, da eine Gewebeentnahme zur histologischen Untersuchung auch im Achselbereich hätte gewonnen werden können, dort jedoch nicht das Risiko/die Komplikation einer mit massiven Belastungen für den Patienten einhergehenden, nachhaltigen Schädigung des Nervus accessorius bestand.

Neben der Feststellung von vermehrten groben Behandlungsfehlern, welche sich im Rahmen der Würdigung des im Nachhinein zu rekonstruierenden Sachverhaltes ergaben, wird mittels des Urteils auch aufgezeigt, dass ein grober Behandlungsfehler ebenfalls in Folge unzureichender Behandlungsdokumentation angenommen werden kann. So führt die unzureichende/lückenhafte Dokumentation dazu, dass beweisrechtlich zu Lasten des Arztes zu vermuten ist, dass die Maßnahme, welche nicht dokumentiert ist, auch nicht durchgeführt wurden. Stellt die sodann anzunehmende Nichteinhaltung einer solchen Maßnahme ein Verhalten dar, welches einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf, so rechtfertigt dies zur Annahme eines groben Behandlungsfehlers, aufgrund dessen zu vermuten ist, dass der eingetretene Schaden die Folge des Abweichens vom fachärztlichen Standard ist. Bezogen auf den vorliegenden Fall konnte aufgrund des rudimentären Operationsberichtes im Nachhinein nicht mehr nachvollzogen werden, wie die intraoperativen Abläufe waren. Da mithin zu unterstellen war, dass eine erforderliche Nervenschonung nicht gewährleistet wurde, war dieses Verhalten als grob behandlungsfehlerhaft zu werten.

Zudem wurde seitens des erkennenden Gerichts ein Verstoß gegen die therapeutische Sicherungsaufklärung konstatiert. Im Rahmen einer therapeutischen Sicherungsaufklärung hat der Arzt den Patienten insbesondere über die getroffene Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung sowie die Therapie/Therapiemöglichkeiten zu informieren. Das Unterlassen solcher Mitteilungen – wie hier – wird rechtlich jedoch nicht als Verletzung der Aufklärungspflicht, sondern vielmehr als Behandlungsfehler gewertet, da die Information durch den Arzt nicht auf die Erlangung einer wirksamen Einwilligung, sondern vielmehr auf die Sicherung des Heilungserfolges abzielt.

Sind Sie der Auffassung, Opfer einer ärztlichen Fehlbehandlung bzw. einer ungenügenden Aufklärung geworden sein? Dann sollten Sie sich fachkundigem Rat bedienen. Gerne helfe ich Ihnen bei Ihrem Anliegen weiter!

Gilsbach – Fachanwaltskanzlei für Medizinrecht durch:

Marius B. Gilsbach, LL.M. (Medizinrecht)
Rechtsanwalt & Fachanwalt für Medizinrecht



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