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Urteil – Bundesverfassungsgericht verneint generelles Recht auf Kenntnis der Abstammung

  • 3 Minuten Lesezeit
Christian Günther anwalt.de-Redaktion

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Ist dieser Mann mein leiblicher Vater? Ist diese Frau meine leibliche Mutter? Stammt dieses Kind von mir? Diese Fragen können Betroffene seit 2008 rechtlich klären lassen. Nach § 1598a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist es möglich, die Einwilligung in eine genetische Abstammungsuntersuchung und die Entnahme einer genetischen Probe zu verlangen. Das setzt allerdings voraus, dass eine rechtliche Beziehung zu der vom Abstammungstest betroffenen Person besteht – es sich beispielsweise um ihren rechtlichen Vater handelt. Ein generelles Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung gibt es dagegen nicht. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird das auch so bleiben. Die Karlsruher Richter zeigen jedoch einen Weg auf, wie sich die Abstammung eventuell doch klären lässt.

88-jähriger Mann verweigert Abstammungstest

Auslöser der Entscheidung war die Verfassungsbeschwerde einer 65-jährigen Frau. Sie vermutete aufgrund verschiedener Hinweise – u. a. ihrer bereits verstorbenen Mutter –, dass ein 88-jähriger Mann ihr leiblicher Vater sei. Der verweigerte allerdings einen DNA-Test. Und da er nicht ihr rechtlicher Vater war, konnte sie ihn nach § 1598a BGB auch nicht von ihm verlangen.

Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung

Aus Sicht der Frau verletzte das Erfordernis einer rechtlichen Vaterschaft zur Abstammungsklärung ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht. Dieses Grundrecht beinhaltet unter anderem das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. § 1598a BGB sei nach ihrer Meinung daher so anzuwenden, dass auch gegenüber einem mutmaßlich leiblichen, aber nicht rechtlichen Vater ein Anspruch auf einen Abstammungstest bestehe.

Keine Abstammungstests „ins Blaue“ hinein

Mit einem unabhängigen Anspruch auf Abstammungsklärung ließe sich allerdings jedermann zu einem Abstammungstest verpflichten. Damit würde wiederum in deren Grundrechte eingegriffen. Diese Grundrechte überwiegen dabei dem Bundesverfassungsgericht zufolge das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung.

So schützt das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch die Privat- und Intimsphäre. Niemand muss daher seine geschlechtlichen Beziehungen offenbaren. An diesen könnte ein Kind, das gerade aus einer solchen Verbindung hervorgegangen ist, zwar ein besonderes Interesse geltend machen. Der Abstammungstest stellt aber gerade erst fest, ob man Kind der betroffenen Person ist. Der Schutz der Intimsphäre geht daher dem Abstammungsinteresse voraus.

Das Bundesverfassungsgericht hatte bei einem umfassenden Abstammungsklärungsanspruch zudem mit Blick auf den besonderen Schutz der Familie Bedenken. Bestehende Familien könnte es erheblich belasten, wenn Außenstehende ohne nähere Voraussetzung einen Abstammungstest verlangen könnten. Bereits der damit aufkommende Verdacht einer außerehelichen Beziehung und eines unbekannten Kindes würde das Vertrauen und damit die familiäre Beziehung stören. Wegen dieser weitreichenden Folgen lehnte das Verfassungsgericht Abstammungstests „ins Blaue“ hinein ab.

Abstammungsklärung über Feststellung der Vaterschaft

Darüber hinaus sehen die Karlsruher Richter dafür auch keine Notwendigkeit. Denn aus ihrer Sicht ermöglicht die aktuelle Gesetzeslage auch die Abstammungsklärung im Wege der Vaterschaftsfeststellung nach § 1600d BGB. Diese ist möglich, sofern keine rechtliche Vaterschaft besteht. Als rechtlicher Vater gilt insofern, wer mit der Mutter des Kindes zum Zeitpunkt der Geburt verheiratet war oder die Vaterschaft anerkannt hat. Entsprechendes gilt, wenn der Ehemann so kurz vor der Geburt verstorben ist, dass er das Kind noch gezeugt haben kann. Besteht insofern keine rechtliche Vaterschaft, lässt sich die Vaterschaft gerichtlich feststellen. Das Gericht lässt dabei ein genetisches Abstammungsgutachten erstellen. Ist der Vaterschaftstest positiv, steht die biologische Vaterschaft und Abstammung fest. Andernfalls wird die Vaterschaft vermutet, wenn ein Mann der Mutter innerhalb der Empfängniszeit beigewohnt hat. Dieses Vorgehen war der Frau im konkreten Fall jedoch nicht mehr möglich. Denn sie hatte bereits in den 50er-Jahren ein entsprechendes Verfahren gegen ihren mutmaßlichen Vater erfolglos geführt.

Fazit: Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung geht wegen der weitreichenden Auswirkungen auf Grundrechte anderer nicht so weit, dass die bloße Vermutung einer leiblichen Vaterschaft einen generellen Anspruch auf einen Abstammungstest rechtfertigt.

(Bundesverfassungsgericht, Urteil v. 19.04.2016, Az.: 1 BvR 3309/13)

(GUE)

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