Verbindlichkeit der Patientenverfügung in Notfallsituationen

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Immer wieder stellt sich die Frage nach der Bindungswirkung von Patientenverfügungen. Besonders schwierig wird die Beurteilung in Akutsituationen.


Das KG Berlin hat mit Entscheidung vom 20.02.2023 – 20 U 105/22 einen Honoraranspruch des Krankenhauses bei Behandlung in Akutsituation trotz Vorliegens einer Patientenverfügung bejaht.


Sachverhalt:

Die Klägerin, Trägerin eines Krankenhauses, nahm die Beklagte als Alleinerbin und Vorsorgebevollmächtigte der verstorbenen Patientin auf Zahlung von Behandlungskosten in Anspruch.

Die Erblasserin war als Notfall in die Klinik eingeliefert worden. Noch am selben Tag wurde eine Notfalloperation erforderlich und auf dem Weg in den OP eine Reanimation. Nach der Operation musste die Erblasserin auf der Intensivstation behandelt werden.

Eine Patientenverfügung, wonach lebensverlängernde Maßnahmen und Reanimationen unterbleiben sollten, falls sich die Erblasserin ohne Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins im Koma befindet, lag seit dem Tag der Einlieferung ins Krankenhaus vor.


Entscheidung:

Das Gericht hat zunächst festgestellt, dass zwischen Krankenhaus und Patientin ein Behandlungsvertrag zustande gekommen ist.

Der Honoraranspruch aus diesem Behandlungsvertrag könne nur dann entfallen sein, wenn dem Krankenhaus im Zusammenhang mit der Behandlung eine Pflichtverletzung (Behandlungsfehler) unterlaufen sei.

Dies sei zunächst nicht der Fall, da die streitgegenständliche Behandlung jedenfalls eine Verlängerung des Lebens zur Folge hatte und somit nicht unbrauchbar für die Erblasserin war.

An dieser Auffassung sei auch trotz der Patientenverfügung festzuhalten, zumal im vorliegenden Fall eine Notsituation vorgelegen habe: Noch am Tag der Einlieferung wurde eine Notfalloperation erforderlich, inkl. Reanimation auf dem Weg in den OP. Auch in den darauffolgenden Tagen (Intensivstation) habe die vordringliche Aufgabe der Ärzte darin bestanden das Leben der Erblasserin zu retten und ihren Zustand zu stabilisieren, nicht sich mit der Patientenverfügung eingehend zu beschäftigen. Ob und wie eine Patientenverfügung sich auswirkt, kann notwendigerweise erst dann geprüft werden, wenn der Zustand des Patienten derart stabil ist, dass die für eine gründliche und gewissenhafte Prüfung der Patientenverfügung erforderliche Zeit zur Verfügung steht.


Das Gericht hat weiter klargestellt, dass die Anweisungen der Erbin und Vorsorgebevollmächtigten gegenüber dem Krankenhaus, die Erblasserin wolle keine Behandlung mehr, unbeachtlich seien. Die Erblasserin selbst hatte (konnte) sich in dieser Richtung nicht gegenüber dem Krankenhaus geäußert. Die Äußerungen der Bevollmächtigten hätten wegen § 1829 I BGB (damals: § 1904 II BGB) der Genehmigung des Betreuungsgerichts bedurft.


Abschließend hat das Gericht noch festgestellt, dass es aus den vorgenannten Gründen zwar dahinstehen könne, ob die vorliegende Patientenverfügung überhaupt hinreichend konkret formuliert war. Es sei aber davon auszugehen, dass die während der streitgegenständlichen Behandlung vorliegende Lebens- und Behandlungssituation zu keinem Zeitpunkt der in der Patientenverfügung geschilderten Situation entsprach. Die Patientenverfügung sollte nach ihrem Wortlaut nämlich nur dann anwendbar sein, wenn sich die Erblasserin ohne Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins in einem Koma befindet. In diesem Zustand befand sich die Erblasserin vorliegend aber nicht.


Fazit:

Die Entscheidung beschreibt zum einen das Zusammenspiel von Vollmacht (Wer soll entscheiden?) und Patientenverfügung (Wie soll derjenige entscheiden?) inkl. der Grenze § 1829 I BGB.

Ferner stellt das Gericht klar, dass in Notfallsituationen in aller Regel keine Zeit sein wird, um sich mit einer etwa vorliegenden Patientenverfügung zu beschäftigen. Lebenserhaltung hat in diesen Situationen Vorrang.

Die Entscheidung verdeutlicht aber einmal mehr – in Anlehnung an die mittlerweile gefestigte Rechtsprechung auch des BGH – wie wichtig der Inhalt der Patientenverfügung ist, angefangen bei der Situationsbeschreibung, über die Benennung der einzelnen Behandlungsmaßnahmen, bis hin zu einer gewissen Individualisierung der Verfügung.



Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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