Verdienstschaden nach Motorradunfall: 299.151,65 Euro

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Mit Urteil vom 10.05.2017 hat das Landgericht Essen eine Kfz-Haftpflichtversicherung verurteilt, an meinen Mandanten 299.151,65 Euro netto plus Zinsen zu zahlen. Er hatte sich bei einem Motorradunfall im Jahr 2005 schwerste Verletzungen zugezogen.

Streitig waren die Gewinnverluste aus selbständiger Tätigkeit 2005 bis 2014. Nach umfangreicher Beweisaufnahme zu den Geschäftsmodellen der beiden Firmen des Mandanten, seinen unfallbedingten körperlichen Schäden und Auswertung der Gewinn- und Verlustrechnungen hat das Landgericht bestätigt: Nach der BGH-Rechtsprechung sei die Abrechnung des Verdienstschadens eines selbständigen Unternehmers nach der Bruttolohnmethode oder der Nettolohnmethode, bei dem das fiktive Nettoeinkommen des Geschädigten zu berechnen ist, zulässig (BGH NJW 2001, 1640).

Bei der Ermittlung des Erwerbsschadens dürften für die schwierige Darlegung der hypothetischen Entwicklung des Geschäftsbetriebes eines Selbständigen keine zu strengen Maßstäbe angelegt werden (vgl. BGH NJW 2010, 1532, 1533; NJW 2004, 1945). Die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit müsse sich im Erwerbsergebnis konkret sichtbar ausgewirkt haben (BGH NJW 1995, 1023).

Eine volle Gewissheit, dass der Geschädigte die behaupteten Erwerbseinkünfte tatsächlich erzielt hätte, sei nicht erforderlich. Es genüge der Nachweis einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Dem Schädiger obliege dann der Beweis, dass der Verdienst nicht erzielt worden wäre (BGH, Beschluss vom 27.10.2010, AZ: XII ZR 128/09). Die erleichterte Schadensberechnung nach § 252 Satz 2 BGB i.V.m. § 287 Abs. 1 ZPO lasse eine völlig abstrakte Berechnung des Erwerbsschadens nicht zu (BGH NJW 2004, 1945).

Bei der Prognose des Gewinnverlustes müsse der Tatrichter regelmäßig Entwicklungen einbeziehen, die sich erst nach dem Unfall bis zur letzten mündlichen Verhandlung ergeben hätten (BGH NJW 2004, 1945).

Es läge in der Verantwortlichkeit des Schädigers, dass das Unfallopfer beruflich aus der Bahn geworfen worden sei, woraus sich die besondere Schwierigkeit ergäbe, nun eine Prognose über den Verlauf anzustellen (BGH NJW 1998, 1633, (1634)).

Bei der Prognose sei von einem voraussichtlichen durchschnittlichen Erfolg des Geschädigten in seiner Tätigkeit auszugehen (OLG Celle, Urteil vom 18.09.2013, AZ: 14 U 167/12, juris; OLG Koblenz, Urteil vom 04.10.2005, AZ: 12 U 961/99, juris).

Der Unfall habe sich kurz vor dem 45. Geburtstag des Klägers ereignet, also zu einer Lebenszeit, in der allgemein volle Leistungsfähigkeit bestünde. Es gäbe keine Anhaltspunkte, dass die volle Leistungsfähigkeit vor dem Unfall nicht gegeben gewesen sei. Er habe in einem zukunftsträchtigen Bereich eine selbständige Tätigkeit aufgebaut. Sein Lebenslauf belege typische Züge eines Selfmademans. Er habe schlüssig dargelegt, dass er durchgehend berufstätig gewesen sei und sich dabei innovativ und ganz überwiegend selbständig mehrfach in völlig neue Arbeitsfelder eingearbeitet habe.

In seinen beiden Firmen, die er zum Unfallzeitpunkt geführt hatte, habe er seine Tätigkeit ständig weiterentwickelt und erheblich geändert. Das von ihm bearbeitete Wirtschaftsfeld der Informationstechnologie habe sich bereits ab dem Jahre 2003 durchgängig positiv entwickelt. Das würden auch die eingeholten Sachverständigengutachten bestätigen. Dass er nach dem Unfall sein als Einzelfirma geführtes Unternehmen nicht mehr belebt habe, spräche nicht dafür, dass er nicht die Chance gehabt hätte, dauerhaft auch diese Firma ertragreich zu führen. Der Verlust dieser Firma sei auf den langen verletzungsbedingten Ausfall und den damit vorhandenen Vorsprung der Konkurrenz zurückzuführen.

Allerdings: Das auf zwei „Standbeinen“ stehende Einkommen hätte auch ohne den Unfall nur in einer gewissen täglichen Arbeitszeit erwirtschaftet werden können. Wäre die Arbeitszeit deutlich durch die entsprechend honorierte umfangreiche Tätigkeit in der einen Firma angestiegen, bestünden Zweifel, ob er noch entsprechende Erträge mit der anderen Firma, die er als Einzelunternehmen geführt hat, hätte erwirtschaften können. Es sei zulässig, bei beiden Einkommensquellen vom durch Betriebsergebnisse oder vertraglich belegten Status quo auszugehen und diesen fortzuschreiben.

Abzüge für ersparte berufliche Aufwendungen für Kleidung oder Fahrtkosten seien nicht vorzunehmen. Es sei nicht ersichtlich, dass er einen besonderen finanziellen Aufwand für im Beruf zu tragende Kleidung hätte betreiben müssen oder dass Fahrtkosten laufend angefallen wären. Er habe fußläufig zu seinen Geschäftsbetrieben gewohnt.

Bei der Berechnung der auf die Einkommensverluste zu zahlende Steuer seien die bei einem solchen Einkommen zu berücksichtigenden Freibeträge und Werbungskosten mit einzubeziehen. Die abzuziehenden Steuern könnten aus dem vom Steuerberater des Klägers erstellten Berechnungen für die Steuerbelastung nach dem Grundtarif entnommen werden. Der BGH habe schon in seinem Urteil vom 28.04.1970, AZ: VI ZR 193/68, juris, ausgeführt, dass unabhängig von den Vergünstigungen, die der Geschädigte nach dem Steuerrecht in Anspruch nehmen kann, gegenüber dem Schädiger die Berechnung so zu erfolgen hat, als würde der Geschädigte steuerlich allein veranlagt (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 04.10.2005, AZ: 12 O 961/99, juris).

Abzüglich des 25-prozentigen Mitverschuldens verbleibe für den Zeitraum 2005 bis Mai 2014 ein zu erstattender Netto-Verdienstschaden in Höhe von 299.151,65 Euro.

(Landgericht Essen, Urteil vom 10.05.2017, AZ: 3 O 145/10)

Christian Koch, Fachanwalt für Verkehrsrecht



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