Vergaberecht für IT-Dienstleistungen: 3 Beispiele für eine erfolgreiche Umsetzung

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Digitalisierung der Verwaltung und Vergabe

Dieser Rechtstipp zur rechtssicheren Vergabe von IT-Leistungen adressiert öffentliche Auftraggeber, Projektleiter sowie Auftraggeber und Auftragnehmer in IT-Projekten. Es werden die Grundlagen des Vergaberechts für IT-Dienstleistungen, inklusive relevanter Regelwerke wie GWB, VgV, UVgO und SektVO erläutert. Darüber hinaus beleuchtet der Artikel anhand dreier Beispiele (Beschaffung einer Cloud-Lösung, Einführung eines neuen ERP-Systems, IT-Support als Dienstleistung) effektive Herangehensweisen und Verfahren bei der Vergabe und betont die Bedeutung von Produktneutralität, Transparenz und Wettbewerb. Typische Fehler und Best Practices geben Hinweise für eine rechtssichere und effiziente Vergabe von IT-Leistungen. Zudem werden die Vorteile der Unterstützung durch spezialisierte Vergabestellen hervorgehoben. Abschließend macht der Artikel deutlich, dass eine erfolgreiche IT-Vergabe eine Kombination aus rechtlichem Know-how, technischer Expertise und strukturierter Vorgehensweise erfordert, um Investitionen nachhaltig und zukunftssicher zu gestalten. Sonst ist der ausgegebene Euro bald nur noch 50 Cent wert.

Warum ist dieser Artikel für Sie als Projektleiter, Auftraggeber oder Auftragnehmer wichtig? Bei der Vergabe von IT-Dienstleistungen stehen rechtliche Anforderungen und praktische Herausforderungen oft im Spannungsfeld. Dieser Leitfaden bietet Ihnen praxisnahe Beispiele, wertvolle Tipps und einen Einblick in spezialisierte Lösungsansätze, um Ihre IT-Vergabe effizient, rechtssicher und zukunftssicher zu gestalten.



Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung
  2. Grundlagen des Vergaberechts für IT-Dienstleistungen
  3. 3 Beispiele für die Vergabe von IT-Dienstleistungen
  4. Typische Fehler und Best Practices
  5. Unterstützung durch spezialisierte Vergabestellen
  6. Fazit und Ausblick


1. Einleitung

Die Vergabe von IT-Dienstleistungen ist für öffentliche Auftraggeber eine zentrale Aufgabe, um Digitalisierung voranzutreiben und zukunftssichere Lösungen bereitzustellen. Dabei stehen sie vor der Herausforderung, rechtliche Vorgaben wie das GWB oder die VgV einzuhalten und gleichzeitig innovative, flexible und wirtschaftliche Lösungen zu finden.

Dieser Artikel zeigt anhand dreier praxisnaher Beispiele, wie IT-Dienstleistungen erfolgreich vergeben werden können. Er gibt Einblicke in bewährte Lösungsansätze, um typische Hürden bei der Ausschreibung von IT-Leistungen zu meistern.


2. Grundlagen des Vergaberechts für IT-Dienstleistungen

Relevante Regelwerke

Die Vergabe von IT-Dienstleistungen wird durch eine Vielzahl von Rechtsnormen geregelt, darunter:

  • GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen): Grundlage des Vergaberechts.
  • VgV (Vergabeverordnung): Spezielle Vorgaben für öffentliche Aufträge oberhalb der EU-Schwellenwerte.
  • UVgO (Unterschwellenvergabeordnung): Regelung für nationale Aufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte.
  • SektVO (Sektorenverordnung): Besondere Vorschriften für Auftraggeber im Bereich Verkehr, Energie und Wasserwirtschaft.

Grundprinzipien

  • Transparenz: Alle Schritte im Vergabeverfahren müssen nachvollziehbar dokumentiert werden.
  • Nichtdiskriminierung: Gleiche Chancen für alle Anbieter, keine Bevorzugung oder Benachteiligung.
  • Wettbewerb: Möglichst viele geeignete Anbieter sollen angesprochen werden, um wirtschaftliche Lösungen zu ermöglichen.

Wahl des richtigen Verfahrens

Die Wahl des richtigen Verfahrens ist entscheidend für den Erfolg einer IT-Vergabe. Sie beeinflusst, wie effektiv der Wettbewerb genutzt wird und ob die spezifischen Anforderungen des Auftraggebers erfüllt werden können. Kriterien wie die Komplexität der Leistung, der Innovationsgrad der benötigten Lösung und die Vertraulichkeit technischer Details spielen hier eine entscheidende Rolle. 

Die Wahl des passenden Vergabeverfahrens ist ein entscheidender Schritt bei der Planung. Je nach Komplexität der Leistung und den spezifischen Anforderungen des Projekts lassen sich folgende Präferenzen skizzieren:

  1. Offenes Verfahren: Ideal für standardisierte Leistungen oder wenn ein breites Anbieterfeld angesprochen werden soll.
  2. Nichtoffenes Verfahren: Sinnvoll bei komplexeren Projekten, bei denen Anbieter vorab auf ihre Qualifikationen geprüft werden sollen.
  3. Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb: Besonders geeignet für innovative oder anpassungsbedürftige Leistungen, wie bei ERP-Systemen oder spezifischen Softwareentwicklungen.
  4. Wettbewerblicher Dialog: Wird verwendet, wenn die Anforderungen des Auftraggebers noch nicht eindeutig festgelegt sind und Lösungen in Zusammenarbeit mit den Bietern entwickelt werden müssen.
Leistungsbeschreibungen produkneutral für IT-Leistungen verfassen

Produktneutralität 

Ein zentrales Prinzip bei der Vergabe von IT-Dienstleistungen ist die Produktneutralität. Gemäß § 31 Abs. 6 VgV müssen technische Spezifikationen so formuliert sein, dass sie keinen bestimmten Anbieter bevorzugen oder benachteiligen. Diese Neutralität ist entscheidend, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.

Rechtsprechung:

Der Beschluss der Vergabekammer Baden-Württemberg (21.06.2005, Az. 1 VK 33/05) befasst sich mit der Frage der Produktneutralität und der Zulässigkeit spezifischer Ausschreibungsanforderungen. Die Kammer entschied, dass die Vorgabe konkreter Fabrikate ohne den Zusatz „oder gleichwertig“ gegen das Vergaberecht verstößt, es sei denn, eine solche Einschränkung ist aus sachlichen oder technischen Gründen zwingend erforderlich. Im konkreten Fall hatte der Auftraggeber bestimmte Produkte und Marken vorgeschrieben, um Kompatibilität mit bestehenden Systemen sicherzustellen, ohne Alternativen zuzulassen. Dies führte dazu, dass ein Angebot eines Bieters ausgeschlossen wurde, obwohl es den Anforderungen der Ausschreibung funktional gleichwertig entsprach.

Bedeutung für Produktneutralität: Der Beschluss betont, dass Ausschreibungen so gestaltet werden müssen, dass sie den Wettbewerb nicht unzulässig einschränken. Die Benennung spezifischer Fabrikate ist nur dann zulässig, wenn eine produktneutrale Beschreibung technisch nicht möglich ist und der Zusatz „oder gleichwertig“ verwendet wird.

Ein weiteres Beispiel liefert das Urteil der Vergabekammer Brandenburg (Beschluss vom 08.07.2021, Az. 19 Verg 2/21). Es betrifft eine Ausschreibung für die Lieferung von Apple iPads im Rahmen des Digitalpakts Schule. Die Antragstellerin, Anbieterin von Android-basierten Tablets, beanstandete die produktspezifische Ausschreibung als Verstoß gegen das Gebot der Produktneutralität nach § 31 Abs. 6 VgV. Die Vergabekammer entschied zugunsten des Auftraggebers und hielt die produktspezifische Ausschreibung für gerechtfertigt. Begründet wurde dies mit der Notwendigkeit, die Tablets in die bestehende Infrastruktur zu integrieren, die speziell auf Apple-Geräte ausgerichtet war, sowie der Verfügbarkeit von Funktionen, die der Auftraggeber als wesentlich erachtete. Ein Wechsel zu Android-Geräten hätte höheren Schulungs- und Verwaltungsaufwand sowie potenzielle Kompatibilitätsprobleme verursacht..

Bedeutung für die Produktneutralität: Dieses Urteil verdeutlicht, dass die Produktneutralität nicht uneingeschränkt gilt. Produktspezifische Ausschreibungen sind zulässig, wenn sie objektiv gerechtfertigt und nachvollziehbar begründet werden können. Der Auftraggeber muss darlegen, dass Alternativen nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand verfügbar sind.

Praxisempfehlung:

  • Verwenden Sie funktionale Anforderungen statt spezifischer Marken oder Produkte.

  • Falls technische Standards erforderlich sind, müssen diese durch den Zusatz "oder gleichwertig" ergänzt werden.

  • Dokumentieren Sie ausführlich, warum bestimmte Anforderungen notwendig sind, um Transparenz zu gewährleisten

Beispiele Vergabe Cloud, ERP und IT-Support

3. Beispiele für die Vergabe von IT-Dienstleistungen

Beispiel 1: Beschaffung einer Cloud-Lösung

Herausforderungen:

  • Datenschutzkonformität nach DSGVO.
  • Sicherstellung der Interoperabilität mit bestehenden Systemen.
  • Technologieneutrale Ausschreibung, um Wettbewerb zu fördern.

Vorschlag für das Verfahren:Ein offenes Verfahren eignet sich hier besonders gut, da es möglichst viele Anbieter anspricht und eine umfassende Marktübersicht bietet. Es fördert den Wettbewerb und ermöglicht eine breite Evaluation innovativer Lösungen.

Begründung: Die Beschaffung von Cloud-Lösungen erfordert technologische Flexibilität und ein hohes Maß an Wettbewerb, um sowohl datenschutzrechtliche Anforderungen als auch technische Kompatibilität sicherzustellen.

Beispiel 2: Einführung eines neuen ERP-Systems

Herausforderungen:

  • Erstellung eines detaillierten Lastenhefts.
  • Bewertung von Referenzen und technischer Kompetenz der Anbieter.
  • Berücksichtigung langfristiger Betriebskosten (Lebenszykluskosten).

Vorschlag für das Verfahren: Das Verhandlungsverfahren mit vorherigem Aufruf zum Teilnahmewettbewerb ist ideal. Es ermöglicht, mit ausgewählten Anbietern spezifische Anforderungen und individuelle Lösungen detailliert zu erörtern.

Begründung: ERP-Systeme sind hochgradig anpassungsfähige Systeme, die auf die individuellen Bedürfnisse des Auftraggebers zugeschnitten werden müssen. Ein Verhandlungsverfahren erlaubt es, technische und wirtschaftliche Details umfassend zu klären.

Beispiel 3: IT-Support als Dienstleistung

Herausforderungen:

  • Definition flexibler SLAs (Service Level Agreements).
  • Berücksichtigung variierender Bedarfe.
  • Vertragsgestaltung, die Anpassungen im Leistungsumfang ermöglicht.

Vorschlag für das Verfahren: Ein nichtoffenes Verfahren ist hier besonders geeignet, sofern der Auftraggeber die Leistungen und Prozesse standadisiert hat und sie inhaltich gut beschreiben kann. Es ermöglicht eine Vorauswahl erfahrener Anbieter, die sich bereits in ähnlichen Projekten bewährt haben.

Begründung: IT-Support erfordert hohe Zuverlässigkeit und Erfahrung. Durch die Begrenzung auf qualifizierte Anbieter wird die Qualität der Angebote gesichert, und der Auswahlprozess wird effizienter gestaltet.

4. Typische Fehler und Best Practices

Typische Fehler:

  • Unklare Leistungsbeschreibungen: Führen zu Interpretationsspielraum und Nachverhandlungen.
  • Fehlende Zuschlagskriterien: Erschweren die objektive Bewertung von Angeboten.
  • Unzureichende Marktkenntnisse: Führen zu unrealistischen Anforderungen oder unnötigen Einschränkungen.

Best Practices:

  • Präzise Leistungsbeschreibungen: Schaffen Klarheit für alle Beteiligten.
  • Rechtzeitige Einbindung von Experten: Reduziert Fehler und spart Zeit.
  • Transparente Prozesse: Stärken das Vertrauen aller Beteiligten und minimieren das Risiko von Einsprüchen.

6. Unterstützung durch spezialisierte Vergabestellen

Spezialisierte Vergabestellen wie JURIBO bieten öffentlichen Auftraggebern wertvolle Unterstützung bei der Umsetzung komplexer IT-Projekte. Ein Netzwerk erfahrener Fachberater stellt sicher, dass alle relevanten Aspekte wie Datenschutz, technische Anforderungen und wirtschaftliche Bewertung berücksichtigt werden. Klare Prozesse und transparente Kommunikation sorgen für eine reibungslose und erfolgreiche Umsetzung – auch unter engen Zeitvorgaben.

Vorteile für öffentliche Auftraggeber:

  • Zukunftssicherheit: Klare Vorgaben und nachhaltige Vertragsgestaltung.
  • Effizienz: Strukturierte Verfahren sparen Zeit und Ressourcen.
  • Rechtssicherheit: Minimierung von Risiken durch fundiertes Fachwissen.
  • Marktkenntnisse: Zugang zu aktueller Expertise im IT-Sektor.

Mehr Informationen finden Sie hier: JURIBO IT-Vergabe, Elektromobilität & Vergabe und 5 Mythen der öffentlichen IT-Vergabe.

7. Fazit und Ausblick

Eine erfolgreiche IT-Vergabe erfordert eine Kombination aus rechtlichem Know-how, technischer Expertise und einer strukturierten Herangehensweise. Durch transparente und effiziente Vorgehensweisen kann jede Investition nachhaltig und zukunftssicher gestaltet werden.  Sonst ist der ausgegebene Euro bald nur noch 50 Cent wert.

Machen Sie Ihre IT-Vergabe zukunftssicher! Lassen Sie uns gemeinsam eine rechtssichere und produktneutrale Ausschreibung gestalten, die Innovation und Wettbewerb fördert. Kontaktieren Sie uns noch heute – unsere erfahrenen Berater stehen Ihnen zur Seite, um Ihre Projekte effizient und erfolgreich umzusetzen. Jetzt unverbindlich beraten lassen

Foto(s): Production Perig #196024635, Kare1501, #286717564, monsitj, #153701664 @ https://stock.adobe.com/; Porträt und Bild Botvehikel, Peter Oppenländer @ https://peter-oppenlaender.de/

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