Versicherungsvertreter haftet für Falschberatung bei Versichererwechsel

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Fehlerhafte Beratungen durch Versicherungsvermittler waren schon immer Gegenstand der gerichtlichen Praxis. Bis zur Reform des Versicherungsvertragsrechts zum 01.01.2008 war jedoch ständige Rechtsprechung, dass nur der Versicherungsmakler aufgrund des mit ihm bestehenden Maklervertags gegenüber dem Versicherungsnehmer haftete, wenn er nicht den „bestmöglichen“ Versicherungsschutz eingedeckt hatte. Der Versicherungsagent sollte – weil er als Handelsvertreter für den Versicherer tätig war und somit in dessen Lager stand – nur dann persönlich haften, wenn er entweder ein besonderes eigenständiges wirtschaftliches Interesse am Zustandekommen des Vertrags zeigte oder ein besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch genommen hatte und hierdurch Vertragsverhandlungen oder Vertragsschluss beeinflusst hat. Dies war jedoch nur in sehr seltenen Ausnahmefällen gegeben. 

Diese fehlende Haftung des Stellvertreters/Handelsvertreters für vertragliche Schadenersatzansprüche wurde mit der VVG-Reform aufgegeben und erstmals de lege lata in den §§ 59 ff. VVG für alle Vertriebsmittler – also Versicherungsmakler, Versicherungsvertreter (früher Versicherungsagent genannt) – eine Haftung für Beratungsverschulden eingeführt. Danach haften nun auch Versicherungsvertreter auf Schadenersatz, wenn sie ihre Hinweis- und Beratungspflichten verletzen, was sie im Übrigen von anderen Stellvertretern und Vertriebsmittlern unterscheidet.

Dennoch ist bislang die Anzahl der veröffentlichten Urteile zu dieser Haftung gering geblieben, anders übrigens als die der Versicherungsmakler, die in den vergangenen Jahren vermehrt auf Schadenersatz in Anspruch genommen wurden.

Kürzlich hatte das OLG Saarbrücken die Möglichkeit, zur Haftung des Versicherungsvertreters Stellung zu nehmen (Urteil vom 26.4.2017 – 5 U 36/16, veröffentlicht in r+s 2018, 110 ff.). 

Sachverhalt:

Gegenstand der Entscheidung war die Umdeckung einer Berufsfähigkeitsversicherung für den klagenden Versicherungsnehmer. Der Beklagte war als Ausschließlichkeitsvertreter für einen Versicherer tätig und beriet den Kläger beim Abschluss diverser Versicherungsverträge, die der Kläger bei dem Unternehmen des Beklagten neu eindeckte und hierfür Altverträge bei anderen Gesellschaften kündigte. U. a. unterhielt er bei einem anderen Versicherer eine Berufsunfähigkeitsversicherung mit Hinterbliebenenabsicherung und einer Laufzeit bis zum 01.12.2024. Nach mehreren Besprechungen schlug der Beklagte dem Kläger am 07.10.2013 den Abschluss einer neuen Berufsunfähigkeitsversicherung mit einer Laufzeit bis zum Jahr 2031, einer monatlichen BU-Rente von 1.500 EUR und einem monatlichen Beitrag von 97 EUR vor. Gleichzeitig wurde dem Kläger eine vorformulierte Kündigungserklärung für seine bestehende Versicherung übergeben, die der Kläger auf den 08.10.2013 datierte und versandt hat. Der Versicherer der bestehenden Berufsunfähigkeitsversicherung bestätigte die Kündigung am 10.10.2013.

Erst für den 24.10.2013 war ein Termin zwischen den Parteien vereinbart worden, in dem der Antrag auf Neuabschluss des Versicherungsvertrags aufgenommen werden sollte. Der Ablauf dieses Beratungsgesprächs, an dessen Ende der Antrag beim Versicherer eingereicht wurde, war streitig.

Für die Entscheidung des Rechtsstreits war jedoch nicht entscheidend, warum – fälschlicherweise – alle Gesundheitsfragen mit „Nein“ beantwortet wurden, ob also der Kläger die Fragen falsch beantwortete oder der Beklagte sie ohne Abfragen einfach ausgefüllt hat. Richtigerweise hatte der Kläger wegen einer Anpassungsstörung nach dem Tod seiner Mutter Gesprächstherapien in Anspruch genommen, was nicht angegeben wurde. Von dieser psychosomatischen Diagnose erlangte der Versicherer im Rahmen der Antragsprüfung Kenntnis und erklärte, dass er den Vertrag nicht annehmen könne. Um nicht gänzlich ohne Versicherungsschutz zu sein, akzeptierte der Kläger einen Risikoausschluss für psychische Erkrankungen und der Vertrag wurde im Ergebnis mit einer Laufzeit bis 2029 und einer monatlichen BU-Rente i. H. v. 1.500 EUR angenommen. 

Der anfangs zu zahlende Nettobeitrag betrug nun 104,87 EUR. 

Beide Verträge hatten auch die Besonderheit, dass der Vertrag Bruttoprämien auswies. 

Der Kläger nahm den Beklagten nun auf Schadenersatz in Anspruch und begründete dies damit, dass der Beklagte (1) den unrichtigen Anschein eines Prämienvorteils bei dem Neuversicherer erweckt habe, indem er dessen Nettoprämie mit der Bruttoprämie des Altvertrages verglichen habe und (2) er es versäumt habe, Versicherungsschutz sicherzustellen, bevor der alte Versicherungsvertrag gekündigt wurde.

Das OLG Saarbrücken verurteilte den Beklagten nun zur Zahlung der laufenden Differenz der Versicherungsprämien und stellte fest, dass er dem Kläger auch jeden darüber hinaus gehenden Schaden, der aus der Umdeckung der Verträge erfolgte, zu ersetzen habe. Die Prämiendifferenz beläuft sich auf 10,10 EUR pro Monat, womit der Feststellungsantrag mehr Bedeutung bekommt. Sollte der Kläger nämlich im Laufe des Versicherungsvertrags wegen einer (ausgeschlossenen) psychischen Erkrankung berufsunfähig werden – und hätte er hierfür bei seinem Altversicherer Leistungen erhalten – müsste der Beklagte die monatliche Rente zahlen. 

Das OLG bejahte vorliegend die Verletzung von Pflichten des Versicherungsvertreters. Denn auch dieser habe „über diejenigen Punkte, die für den Abschluss des konkreten Vertrags üblicherweise von Bedeutung sind, aufzuklären und etwaige irrige Vorstellungen des Versicherungsnehmers in zentralen Punkten richtig zu stellen. Geht es um einen beabsichtigten Versichererwechsel unter Kündigung des Vertrags beim bisherigen Mitbewerber in einem existenziell bedeutsamen Bereich, in dem Versicherungsschutz insbesondere wegen des Erfordernisses einer Gesundheitsprüfung nicht ohne weiteres erlangt werden kann, so sind die an den Vermittler gestellten Anforderungen an eine sachgerechte Aufklärung und Beratung besonders hoch. Er hat zu beachten, dass der VN in der Regel weder eine Deckungslücke noch eine Verschlechterung des Versicherungsschutzes in Kauf nehmen will“. Diese Pflichten sah das OLG als verletzt an.

Dies folge zum einen aus der Tatsache, dass der Beklagte vorliegend nicht ordnungsgemäß über die Prämien aufgeklärt habe und den Eindruck erweckte, dass der „neue“ Versicherungsschutz trotz längerer Laufzeit günstiger zu erwerben sei.

Zum anderen folgte die Haftung aber auch daraus, dass der Beklagte vorliegend die vorgefertigte Kündigung überreicht hat, ohne vorher darauf hinzuwirken, dass die Kündigung erst erfolgt, wenn die Gesundheitsprüfung bei dem neuen Versicherer abgeschlossen ist. Hierzu führte das OLG aus (Rz. 58): „Der Beklagte durfte eine vorzeitige Kündigung auch nicht unter der Prämisse für unproblematisch halten, dass wie er behauptet der Gesundheitszustand des Klägers von Beginn an thematisiert worden sein mag, um zu klären, ob das Avisieren einer Umdeckung des Berufsunfähigkeitsrisikos erfolgversprechend sein konnte. Als erfahrener Vermittler wusste er, dass das keine ausreichende Beurteilungsgrundlage sein konnte und dass das Zustandekommen des neuen Vertrags und sein konkreter Inhalt jedenfalls so lange nicht gesichert waren, bis ein Antrag gestellt und … ihre Risikoprüfung abgeschlossen haben würde.“

Fazit:

Soweit das Urteil des OLG Saarbrücken den Pflichtenkanon des Versicherungsvertreters bei der Umdeckung darlegt, so dürfte dieser wohl den von der „herrschenden Meinung“ angenommenen Beratungsumfang richtig darstellen. Der Gesetzgeber wollte mit seiner Reform gerade auch die Qualität der Beratungsleistungen verbessern. Da Versicherungsverträge reine Rechtsprodukte sind, die für nahezu alle Versicherungsnehmer nicht vollständig zu überblicken sind, bedarf es Versicherungsvermittler, die die Interessen des Versicherungsnehmers mit in den Blick nehmen, um Fehlabschlüsse zu vermeiden. Dies gilt auch für Versicherungsvertreter, die strukturell im Lager des Versicherers stehen. Dies rechtfertigt sich auch dadurch, dass der Versicherer selbst auch nach § 6 VVG ähnlichen Beratungspflichten unterfällt und ggf. auch vor dem Abschluss bei ihm warnen müsste. 

Vor diesem Hintergrund ist offenkundig, dass bei einem Wechsel einer Personenversicherung nicht nur gesonderter Wert auf die Beantwortung der Gesundheitsfragen zu legen ist, sondern auch, dass eine Beendigung des Altvertrags erst dann erfolgen kann, wenn neuer Versicherungsschutz eingedeckt ist. Häufig wird im Übrigen auch der objektiv einzig richtige Rat nur darin bestehen können, den Vertrag nicht zu wechseln.

In Bezug auf die Prämienhöhe muss man differenzieren. Hätte der Vermittler darauf hingewiesen, den Vertrag noch nicht zu kündigen, so hätte er nach Abschluss der Gesundheitsprüfung das neue Angebot vollständig mit dem alten vergleichen können. Dann hätte die Prämiendifferenz offen vorgelegen, insbesondere, wenn noch kalkulatorische Risikozuschläge mit aufgenommen werden mussten, die der Versicherungsvertreter nicht kennen kann. Wenn der Kunde sich dann „sehenden Auges“ für das teurere Angebot entscheidet, so stellt dies kein Beratungsverschulden dar. Ebenso dürfte es sein, wenn der Versicherungsvermittler die Prämien einer neuen Kfz-Versicherung mit Schadenfreiheitsrabatt berechnet, der Versicherungsnehmer nachher aber den Schadenfreiheitsrabatt nicht übertragen kann. Dies wird schwerlich dem Versicherungsvermittler angelastet werden können. 

Vorliegend bestand in diesem Zusammenhang aber kein Problem, da der Versicherungsvertreter offenbar schon unzulässigerweise Netto- mit Bruttobeiträgen vermischt hatte und daher einen unrichtigen Eindruck erweckt hat. 

Einzig verwunderlich in dem (abgedruckten) Urteil ist allerdings die Formulierung, dass es vorliegend nicht entscheidungserheblich sei, ob der Kläger den Beratungsvertrag mit dem Beklagten persönlich oder – wie der Beklagte meint – mit der „AG“ abgeschlossen habe (Rz. 44). Denn grundsätzlich haftet nur derjenige nach §§ 63 Satz 1, 61 Abs. 1 VVG von Gesetzes wegen, der gegenüber dem Versicherungsnehmer als Versicherungsvertreter auftritt. Insofern würde ein Angestellter des Versicherungsvertreters nicht persönlich haften.

Die Ausführungen erklären sich allerdings, wenn man (die nicht abgedruckte) Randziffer 46 mit berücksichtigt, die wie folgt lautet: „Der Beklagte ist Versicherungsvermittler im Sinne der §§ 61 Abs. 1, 59 VVG. Er ist als Handelsvertreter für die D. V. AG tätig. Diese wiederum ist Ausschließlichkeitsvermittlerin nach § 34d Abs. 4 GewO für die AM Versicherungsgruppe, der Beklagte demnach Versicherungsvertreter, der von einem Versicherer oder von einem Versicherungsvertreter damit betraut ist, gewerbsmäßig Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen (§ 59 Abs. 2 VVG; vgl. BGH, Urt. v. 13.11.2014 – III ZR 544/13 – BGHZ 203, 174).“ Es handelt sich also offenbar bei dem Beklagten um einen selbständigen Handelsvertreter der Deutschen Vermögensberatung AG, die als Versicherungsvertreterin für viele Gesellschaften der Generali Gruppe, u. a. auch der AachenMünchener Lebensversicherung, tätig ist. Es handelt sich somit um eine in der Vertriebsstruktur des Versicherers begründete Besonderheit. 

RA Heiko Effelsberg, LL.M.

Fachanwalt für Versicherungsrecht


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