Völkermord-Fall Gaza - Blatt wendet sich gegen Israel

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"Kein Strom, keine Nahrung, kein Wasser, kein Treibstoff", so der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant (Bild Mitte) Anfang Oktober 2023: “Wir bekämpfen menschliche Tiere und wir handeln dementsprechend".

Unter Mangelernährung leidende palästinensische Kinder werden in einer Krankenstation in Rafah im südlichen Gazastreifen behandelt. Laut UNICEF sind inzwischen 31% der unter 2jährigen Kinder in Nordgaza akut mangelernährt verbunden mit dem Risiko des Hungertodes und gravierenden lebenslangen, auch kognitiven   Beeinträchtigungen. 90% der Schwangeren sind nicht adäquat ernährt, Babys werden mangelernährt geboren und können oft auch nicht gestillt werden.

Im Völkermord-Fall Gaza wendet sich das Blatt langsam gegen Israel.

Am 6. März hat Südafrika beim Internationalen Gerichtshof (IGH) zusätzliche vorläufige Maßnahmen gegen Israel beantragt, um die Palästinenser in Gaza vor den Folgen des plausiblen Völkermords zu bewahren.

Südafrika trägt unter Berufung auf UN-Organisationen vor, dass die Palästinenser in Gaza nicht nur unmittelbar vom Verhungern bedroht sind, sondern inzwischen tatsächlich verhungern: Mindestens 15 palästinensische Kinder in Gaza - einschließlich Babys - seien bereits verhungert, wobei von wesentlich höheren tatsächlichen Zahlen auszugehen sei; es werde angenommen, dass diese Zahlen nicht linear, sondern exponentiell steigen werden, sofern die militärischen Aktivitäten und Israels Blockade nicht beendet würden. Palästinensische Kinder verhungerten als direkte Folge bewusster Handlungen und Unterlassungen Israels in Verletzung der Völkermordkonvention und der Anordnung des Gerichts vom 26. Januar 2024, insbesondere durch die Blockierung von Hilfslieferungen, die Schließung von Grenzübergängen, die absichtliche Tötung humanitären Personals, die Zerstörung von palästinensischem Getreide und Ackerland, die Tötung von palästinensischen Viehbeständen, das Abschneiden des Nordens von Gaza von ausreichenden Hilfslieferungen sowie durch den Versuch, die UN-Hilfsorganisation für palästinensische Flüchtlinge UNRWA, von der das Überleben der großen Mehrheit der belagerten, obdachlosen und hungernden palästinensischen Männer, Frauen, Kinder und Babys abhängt, stillzulegen.

Israel habe seit der gerichtlichen Anordnung sein Verhalten nicht nur nicht geändert, sondern sogar seine genozidalen Absichten und Handlungen noch weiter verschärft und hierdurch seine Missachtung des Gerichts und seiner Anordnungen zum Ausdruck gebracht.

Südafrika warnt außerdem vor einer Wiederholung der tragischen Konsequenzen im Bosnien-Fall, in dem der IGH im Jahr 1993 weitere zusätzliche vorläufige Maßnahmen ablehnte mit dem Ergebnis, das zwei Jahre später 7.336 Bosnier in einer sogenannten "Sicherheitszone"  ermordet wurden, ein Verbrechen, das vom IGH erst im Nachhinein als Völkermord eingestuft wurde.

Israels Verbündete haben offenbar ebenfalls das Versagen des Westens und internationaler Institutionen in vergangenen Fällen (wie auch ihre eigene mögliche Verantwortlichkeit nach der Völkermordkonvention) im Auge, wenn sie nunmehr - wenn auch viel zu spät - beginnen, ihre Stimme zu erheben:

Am 12. März 2024 stellte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell vor dem UN-Sicherheitsrat immerhin fest:

"30,000 Tote, 1.8 Millionen obdachlos und 500.000 am Rand des Verhungerns. Wir haben es jetzt mit einer Bevölkerung zu tun, die um ihr Überleben kämpft. Humanitäre Hilfe muss nach Gaza hinein und die EU tut was sie kann, um das zu ermöglichen. Aber diese humanitäre Krise ist keine Naturkatastrophe, keine Flut, kein Erdbeben. Sie ist menschengemacht. Und wenn wir nach alternativen Wegen für die Hilfsgüter suchen - über das Meer oder die Luft, dann deshalb, weil der natürliche Weg, Unterstützung über Straßen zu leisten, künstlich versperrt ist und Hunger als Kriegswaffe benutzt wird."

Am 14. März 2024 bezeichnete der Vorsitzende der demokratischen Mehrheitsfraktion im einflussreichen US-Senat Schumer den israelischen Regierungschef Netanjahu immerhin als "Hindernis für den Frieden" und forderte Neuwahlen in Israel - eine höchst ungewöhnliche "Einmischung". Auch der Jurist Schumer (Juris Doctor Harvard Law School) möchte seine beeindruckende Biografie sicherlich nicht mit einer Verurteilung wegen Beihilfe zum Völkermord beeinträchtigen.

Schon im Interesse ihrer eigenen Bürger sollte die deutsche Bundesregierung nunmehr ihre Waffenlieferungen an Israel suspendieren und stattdessen die Finanzierung der Hilfsorganisation UNWRA wieder aufnehmen. Damit könnte auch dem Eilantrag Nicaraguas gegen Deutschland, der am 8. und 9. April 2024 vor dem IGH verhandelt werden wird, weitgehend die Grundlage entzogen werden.



Foto(s): POOLNew/Reuters/RC2U14A55GAH und Mohammed Salem/Reuters/RC2U E6A0WUW5


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