Völkermord-Eilentscheidung des IGH betreffend Gaza und Israel ist von deutschen Behörden zu berücksichtigen

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Am letzten Freitag, dem 26. Januar 2024, hat der Internationale Gerichtshof (IGH) seine Eilentscheidung in Sachen Südafrika gegen Israel verkündet und dabei Israel - bis zur endgültigen Entscheidung darüber, ob Israel in Gaza Völkermord begangen hat oder zu begehen droht - vorläufig zu bestimmten Handlungen und Unterlassungen verpflichtet. So muss Israel unter anderem "alles in seiner Macht Stehende tun", um die Tötung von Palästinensern in Gaza, die Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Schäden, die Auferlegung von Lebensbedingungen, die darauf ausgerichtet sind, ihre physische Zerstörung im Ganzen oder zum Teil herbeizuführen sowie die zwangsweise Durchführung von Maßnahmen, die Geburten unterbinden, was die Gruppe der Palästinenser betrifft, zu verhindern; es muss außerdem "mit sofortiger Wirkung" sicherstellen, dass seine Armee keine dieser Handlungen begeht. Ebenso muss Israel "alles in seiner Macht Stehende" tun, um die direkte und öffentliche Anstachelung zum Völkermord gegenüber den Palästinensern in Gaza zu verhindern und zu bestrafen. Weiterhin wird Israel verpflichtet, "unmittelbare und effektive Maßnahmen" zu ergreifen, um die Erbringung "dringend benötigter grundlegender Dienstleistungen und humanitärer Hilfe zu ermöglichen, um den widrigen Lebensbedingungen, welchen die Palästinenser im Gazastreifen ausgesetzt sind", entgegenzuwirken. 

Völkerrechtlich gesehen bindet die Entscheidung nur die (bisherigen) Parteien des Rechtsstreites, also Südafrika und Israel. Nach deutschem Verfassungsrecht bindet sie aber auch Regierung, Behörden und Gerichte Deutschlands:

In einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. September 2006 (2 BvR 2115/01, Rn 1-77) ging es darum, dass ausländische Beschuldigte in Deutschland entgegen einem Urteil des IGH nicht ausreichend gemäß der internationalen ("Wiener") Konvention über konsularische Beziehungen über ihre Rechte belehrt worden waren. Das Bundesverfassungsgericht ließ die Auffassung der deutschen Behörden, sie seien an die Rechtsauffassung des IGH nicht gebunden, weil sie an dem Verfahren vor dem IGH nicht teilgenommen hätten, nicht gelten:

Die Urteile des IGH als dem Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen haben nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts auch für Staaten, die nicht an dem Verfahren beteiligt waren, Orientierungswirkung; die darin vertretene Auslegung entfalte Autorität über die Verfahrensbeteiligten hinaus. Schon um die künftige Feststellung von Konventionsverletzungen zu vermeiden, müssten sich die Vertragsstaaten (hier: Deutschland) auch nach Urteilen des IGH richten, die gegen andere Staaten ergangen sind. Voraussetzung sei lediglich, dass sich Deutschland als Partei des auszulegenden völkerrechtlichen Vertrages der Gerichtsbarkeit des IGH unterworfen habe.

Diese Voraussetzungen treffen vorliegend auch auf die jetzt ergangene Eilentscheidung des IGH zu, mit der Israel zu "vorläufigen Maßnahmen" zur Abwendung der sich in Gaza entfaltenden humanitären Katastrophe verurteilt wurde: Deutschland ist mit Erklärung vom  9. August 1954 der Völkermordkonvention beigetreten und hat sich gemäß Artikel IX der Konvention der Gerichtsbarkeit des IGH "betreffend die Interpretation, Anwendung und Befolgung" der Konvention, welche die Parteien nicht nur zur Unterlassung und Bestrafung, sondern bereits zur "Verhütung" des Völkermordes verpflichtet, unterworfen. Dass es sich bei der vorliegenden Entscheidung des IGH um eine Eilentscheidung handelt, die nur "vorläufige Maßnahmen" ausspricht, kann hieran nach diesseitiger Auffassung nichts ändern, da die Entscheidung schon jetzt eine verbindliche Bejahung der "Plausibilität" der Rechtsverstöße Israels enthält und überdies die Wirksamkeit der festgesetzten Maßnahmen nicht nur vom Verhalten Israels abhängt, sondern auch auf das vertragskonforme Verhalten der anderen Parteien der Konvention, einschließlich der Gegner und Unterstützer Israels, angewiesen ist.


  




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