Vorladung oder Anklage wegen Vorwurf Entziehung Minderjähriger – Fachanwalt für Strafrecht

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Aktuell schlägt die sogenannte „Block-House-Entführung“ medial Wellen. Doch bereits vorher spielte der Straftatbestand „Entziehung Minderjähriger“ in verschiedenen Familiendramen eine Rolle. Gerade im Falle von Sorgerechtsstreitigkeiten kann es vorkommen, dass sich ein Elternteil ohne Einverständnis des anderen Elternteils mit dem Kind auf und davon macht – nicht selten ins Ausland. Trotz einer möglichen psychischen Ausnahmesituation und dem Gefühl, man befinde sich dabei im Recht, kann durch dieses Verhalten der § 235 StGB (Entziehung Minderjähriger) verwirklicht werden und eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe drohen.

Die Strafbewehrung der Entziehung Minderjähriger soll zwei Rechtsgüter schützen. Zum einen geht es um das Sorgerecht der Sorgeberechtigten. Darunter fällt auch das Obhuts- und Aufenthaltsbestimmungsrecht. Zum anderen schützt die Vorschrift die körperliche und seelische Unversehrtheit des Minderjährigen.

Sorgeberichtigt kann neben den Eltern auch ein Vormund oder Pfleger sein. Diese Aufzählung ist abschließend. Großeltern oder Geschwister kommen folglich nicht in Betracht.

Hintergrund der Vorschrift ist, dass Minderjährige noch nicht vollständig einsichts- und handlungsfähig sind und deshalb dem besonderen Schutz durch das Gesetz bedürfen.

Zum Verständnis der Norm ist noch die Unterscheidung Kind/Minderjähriger relevant. Kinder sind Personen bis zu 14 Jahren. Minderjährige sind Personen bis zu 18 Jahren.


Welche Strafe droht für Entziehung Minderjähriger?

Gemäß § 235 Abs. 1 und 2 StGB wird man für die Entziehung Minderjähriger mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren bestraft. Abs. 3 bestimmt, in welchen Fällen bereits der Versuch mit Strafe bedroht ist. Unter Umständen kann die Strafe auch drastisch höher ausfallen. Die Absätze 4 und 5 knüpfen dabei an besonders gravierende Folgen oder Absichten der Tat an und stellen sogenannte Verbrechenstatbestände dar (Mindestmaß 1 Jahr Freiheitsstrafe). Der Strafrahmen wird auf 10 Jahre (Abs. 4) bzw. sogar auf 15 Jahre (Abs. 5) angehoben. 


Wird die Entziehung Minderjähriger „automatisch“ oder erst auf Antrag verfolgt?

Sollte einer letzten beiden Absätze verwirklicht worden sein, verfolgt die Staatsanwaltschaft die Straftat von Amts wegen. In denen anderen Fällen, kann die Staatsanwaltschaft das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejahen. Dies kann beispielweise bei (einschlägig) vorbestraften Beschuldigten der Fall sein, oder bei besonders rücksichtslosem Verhalten gegenüber dem Minderjährigen und/oder den Eltern. In der Regel ist aber ein Strafantrag erforderlich (§ 235 Abs. 7 StGB). Antragsberechtigt ist der Inhaber des Personensorgerechts (vgl. § 77 StGB); nicht hingegen der Minderjährige selbst. Bei mehreren Sorgeberechtigten kann nach § 77 Abs. 4 StGB jeder den Antrag selbstständig stellen.


Wann mache ich mich wegen Entziehung Minderjähriger strafbar?

Entziehen ist das Beeinträchtigen des wesentlichen Inhalts des Elternrechts. Dies kann auch schon bei Vereitelung einzelner Erziehungsmaßnahmen der Fall sein. Erforderlich ist aber eine räumliche Trennung – von gewisser Dauer – des Minderjährigen vom Berechtigten. 

Zu beachten ist, dass Entziehen nicht nur das Entfernen des Minderjährigen von einem Elternteil, sondern auch das Entfernen und/oder Fernhalten des Elternteils vom Minderjährigen ist (z.B. das unter Todesdrohung erzwungene Ausreisen der Ehefrau oder des Ehemanns ins Ausland mit dem Verbot zurückzukehren). 

Vorenthalten ist das Erschweren der Herausgabe des Kindes, zum Beispiel durch Verheimlichung des Aufenthaltsorts

Die Tatmittel (Gewalt, Drohung mit einem empfindlichen Übel oder List) können gegenüber dem Entziehungsopfer, dem Sorgeberechtigtem oder u.U. auch gegen einen hilfsbereiten Dritten angewandt werden. Keine strafbare Entziehung Minderjähriger ist zum Beispiel die anonyme Abgabe eines Kindes an der Babyklappe.

§ 235 Abs. 1 Nr. 2 StGB kann nur von einem Nicht-Angehörigen des Entziehungsopfer begangen werden. Er darf mit dem Kind also weder verwandt noch verschwägert sein (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB).

Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass § 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB auch von einem Elternteil gegenüber dem anderen Elternteil verwirklicht werden kann; dies gilt selbst dann, wenn nur ein Umgangsrecht besteht.

Abs. 2 der Norm regelt Kindesentziehung mit Auslandsbezug. Hinsichtlich der Nr. 1 ist wichtig, dass die Absicht, dass Kind ins Ausland zu verbringen, erforderlich ist, aber auch ausreicht. Das bedeutet, die tatsächliche erfolgreiche Verbringung des Kindes ins Ausland ist nicht erforderlich. Bezüglich Nr. 2 gilt es zu beachten, dass hier unerheblich ist, ob das Kind strafbar ins Ausland verbracht wurde, oder ob dies mit Einverständnis des Sorgeberechtigten geschah. Maßgebend ist hier alleine das Vorenthalten im Ausland. 


Wie lange ist eine „gewisse Dauer“ im Bezug auf die räumliche Trennung bei der Entziehung Minderjähriger?

Wann eine räumliche Trennung von gewisser Dauer ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Bei einer nur vorübergehenden Lösung des Aufsichts- und Obhutsverhältnisses (z.B. Kinobesuch), wird man noch nicht von einer gewissen Dauer sprechen können. Auch nicht bei einer bloßen Überziehung des Umgangsrechts. Andererseits können wenige Stunden aber bereits ausreichen. Dabei spielt der Grad der Fürsorgepflicht eine entscheidende Rolle. Das bedeutet, je mehr Fürsorge das Kind bedarf, weil es beispielsweise noch sehr jung ist, oder weil es aufgrund von Krankheit körperlich beeinträchtigt ist, desto weniger lange muss die räumliche Distanz sein.


Schließt ein Einverständnis die Strafbarkeit wegen Entziehung Minderjähriger aus?

Nicht strafbar ist das Verhalten des Beschuldigten, wenn ein wirksames Einverständnis den Sorgeberechtigten vorliegt. Entscheidend ist, dass sich das Einverständnis auf die räumliche Trennung bezieht. Das bedeutet, dass § 235 StGB auch dann nicht einschlägig ist, wenn den Anweisungen der Sorgeberechtigten zuwidergehandelt wird, also wenn beispielsweise eine Kneipe statt dem Kino besucht wird. Das Einverständnis ist allerdings unwirksam, wenn es durch Täuschung oder List erschlichen wurde. Das Einverständnis nur eines Elternteils reicht nur dann aus, wenn das andere Elternteil wirksam vertreten wurde.

Wichtig ist, dass das Einverständnis des Minderjährigen unerheblich ist. 


Wann droht eine höhere Strafe für Entziehung Minderjähriger?

Die Absätze 4 und 5 knüpfen zum einen an besonders gravierende Folgen für das Opfer an. So fällt die Strafe deutlich höher aus, wenn die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung besteht, oder die Gefahr einer Schädigung der seelischen Entwicklung

Eine Strafschärfung kommt auch dann in Betracht, wenn die Tat gegen Entgelt oder mit Bereicherungsabsicht begangen wird. Dabei braucht die Bereicherung als solche nicht rechtswidrig sein. Das bedeutet, dass zum Beispiel auch Absicht Unterhaltszahlungen zu bekommen ausreichen kann, um eine höhere Strafe zu begründen. 

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