Warum das BAG-Urteil zur Arbeitszeiterfassung nicht das Ende von Vertrauensarbeitszeit & Co. bedeutet

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Es hat inzwischen die Runde gemacht: das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat per Pressemitteilung seine Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung veröffentlicht. Arbeitgeber sind demnach gesetzlich verpflichtet, ein System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen. Ein Initiativrecht des Betriebsrats besteht hingegen nicht.

Ein Urteil mit Sachgründen gibt es zwar noch nicht, aber nicht wenige Autor:innen bezeichnen das "Urteil" bereits jetzt als "Stechuhr-Urteil" oder als anachronistisch, also aus der Zeit gefallen. Sie sehen in der Entscheidung gar eine Bedrohung für etablierte flexible Arbeitszeitmodelle, die nun nicht mehr möglich sein sollen.

Vertrauensarbeitszeit adé?

Besonders die sogenannte Vertrauensarbeitszeit wird von vielen kaum noch als zukunftsfähig angesehen. Bei der Vertrauensarbeitszeit steht nicht die Präsenz des Beschäftigten, sondern die Erledigung der Arbeit im Vordergrund. Arbeitgeber gewähren ihren Beschäftigten eine umfassende Flexibilität bei der Gestaltung ihrer Arbeitszeit und deren Lage. Allerdings ändert auch die o.g. Entscheidung des BAG nicht viel an diesem Arbeitszeitmodell. Denn tatsächlich galt auch bei der sog. Vertrauensarbeitszeit vorher schon eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung. Diese Arbeitszeiterfassung muss der Arbeitgeber nunmehr vornehmen, was sicherlich erst einmal Mehrkosten verursachen wird. Aber auch diese Herausforderung kann gemeistert werden. Ausserdem kann ein Arbeitgeber eine einmal eingeführte Vertrauensarbeitszeit nicht einfach beenden. Denn hier benötigt er die Zustimmung des Betriebsrats oder im Zweifel eine Änderungskündigung.

Mobile Arbeit und Arbeitszeiterfassung

Manche vertreten die Meinung, dass durch die neue Entscheidung gar die "mobile Arbeit", also die Arbeit außerhalb des Büros in Gefahr sei. Auch das ist nicht richtig, denn auch bei der mobilen Arbeit muss die Arbeitszeit erfasst werden. Ausserdem hat das BAG nicht von einer Stechuhr gesprochen (und wird es wohl auch in den Urteilsgründen nicht tun), sondern von einem System zur Arbeitszeiterfassung. Solche Systeme können vielfach ausgestaltet sein und eignen sich u.U. mit Anpassungen auch für die mobile Nutzung. Auch bei der mobilen Arbeit kann der Arbeitgeber nicht einfach einen Rückzieher machen, sondern muss entweder mit dem Betriebsrat verhandeln oder eine Änderungskündigung aussprechen.

Erfassung von Überstunden erleichtert

Das BAG legt in seiner Entscheidung die deutschen Bestimmungen des Arbeitsschutzgesetzes uniorechtskonform aus und spielt damit auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes aus dem Jahr 2019 (Urteil v. 14.5.2019 - C-55/18) an. Der EuGH hatte geurteilt, dass die Arbeitszeiterfassung jedem Arbeitgeber in der EU obliegt und er ein manipulationssicheres Arbeitszeiterfassungssystem vorhalten muss, damit v.a. die Einhaltung der Arbeitsschutzgesetze überwacht und etwaige Verletzungen besser bewiesen werden können. Auf die Daten der Zeiterfassung sollen Arbeitgeber und Arbeitnehmer:innen Zugriff haben. Damit fiele es den Arbeitnehmer:innen also künftig leichter, z.B. die Leistung von Überstunden zu beweisen. Angesichts der aktuellen, arbeitgeberfreundlichen Rechtsprechung des BAG (siehe Urteil v. 4.5.2022 - 5 AZR 359/21) - wonach Arbeitnehmer:innen immer noch die Lage jeder einzelnen Überstunde darlegen und beweisen müssen - eine Erleichterung. Freilich ist damit aber noch nichts zur Vergütung gesagt, die durchaus auch variieren kann.

Unterm Strich folgt das BAG lediglich den Vorgaben des EuGH und zwingt den Gesetzgeber nun zum Handeln. Das Urteil ist für Arbeitnehmer:innen auch deshalb so wichtig, um einer Entgrenzung der Arbeit - auch und v.a. bei flexiblen Arbeitszeitmodellen - Einhalt zu gebieten. Das Ende von flexiblen Arbeitszeitmodellen oder gar die Einführung der Stechuhr bedeutet das Urteil gerade nicht und es darf darauf gehofft werden, dass das BAG dies in seiner Urteilsbegründung klarstellt. Die Arbeitsschutzgesetze werden lediglich konsequenter anzuwenden sein. 

Sollte Ihr Arbeitgeber also meinen, dass durch die Entscheidung des BAG nun keine mobile Arbeit, Homeoffice oder Vertrauensarbeitszeit in ihrem Betrieb möglich sei, steckt wahrscheinlich etwas ganz anderes dahinter und Sie sollten Kontakt mit mir aufnehmen.


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