„Wealthmaster Nobel“: Versicherer haftet für Falschberatung durch Strukturvertrieb

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Kapitalbildende Lebensversicherungen sind in wirtschaftlicher Hinsicht Kapitalanlageprodukte. Dennoch wurden sie im Hinblick auf die Beratungspflichten beim Vertrieb aufgrund der im deutschen Recht strikt ausgearbeiteten Trennung zwischen Versicherungsrecht, Bankrecht und Kapitalanlagerecht bis in die jüngere Vergangenheit vollständig anders behandelt. Ein Umdenken hat erst eingesetzt, seitdem erstmals im Hinblick auf die Krise des neuen Marktes die Überschussbeteiligungen zurückgingen und wesentlich mehr fondsgebundene Produkte auf den Markt kommen, bei denen im Wesentlichen der Kunde, nicht der Versicherer das Anlagerisiko hält. Langsam scheint sich - zumindest bei dem Obergerichten - die Erkenntnis durchzusetzen, dass beim Vertrieb von kapitalbildenden Lebensversicherungen der Kunde im Endeffekt die gleichen Informationen und Beratungen erwarten kann, wie wenn er ein Wertpapier oder eine Beteiligung erwirbt.

Das jüngste Urteil hierzu stammt vom OLG Naumburg (Urteil vom 28.11.2012, 5 U 157/12). Im Wesentlichen ging es dabei um zwei Punkte:

Der Versicherer hatte in den einem Strukturvertrieb überlassenen Produktinformationen eine unverbindliche Musterberechnung beigefügt und dabei eine Versicherungsrendite von 8,5% zugrunde gelegt. Intern ging der Versicherer jedoch in seinen Prognosen nur von einer Rendite von 6% aus. Schon hierauf musste der Versicherer nach Ansicht des Senats hinweisen. Da der geringere Ertrag in Verbindung mit vertraglich vorgesehenen Teilauszahlungen dazu führte, dass das Kapital der Versicherung aufgezehrt wird und die angestrebte Absicherung im Alter somit unmöglich wird, musste der Versicherer von sich aus ungefragt darüber aufklären, dass das Ziel des Vertrags wahrscheinlich nicht erreicht werden kann. Das Produkt sah darüber hinaus eine poolübergreifende Reservenbildung und damit eine Quersubventionierung vor. Auch hierfür sah das Gericht eine Aufklärungspflicht.

Der Versicherer hatte sich u.a. damit verteidigt, dass ihm das Verhalten der Mitarbeiter im Strukturvertrieb nicht zurechenbar sei und dass er darüber hinaus in den Unterlagen seine Haftung für Informationen und Beratung des Strukturvertriebs ausgeschlossen habe. Das Gericht führte hierzu aus, dass der Versicherer sich das (Fehl-)Verhalten seiner Erfüllungsgehilfen im Vertrieb ohne die Möglichkeit einer Exculpation zurechnen lassen muss. Der in den Unterlagen enthaltene Haftungsausschluss sei nach AGB-Recht unwirksam.

Das Urteil ist zutreffend. Schon nach altem Recht schuldete der Versicherer dem Kunden gegenüber Information und Beratung über das Produkt. Seit dem 01.01.2008 ist diese Verpflichtung ausdrücklich in § 6 VVG festgehalten. In der Praxis erfüllt der Versicherer diese Pflicht durch Einsatz eines Versicherungsvertreters, der insoweit als Erfüllungsgehilfe des Versicherers auftritt und dessen Verhalten dem Versicherer daher direkt zugerechnet wird. Hierdurch ändert sich strukturell nichts dadurch, dass der Versicherungsvertreter nach neuem Recht neben dem Versicherer selbst auch auf Schadenersatz haftet. Der von dem Versicherer hier verwandte Haftungsausschluss ist nach dem Gesetz in Allgemeinen Geschäftsbedingungen - und solche sind allgemeine Versicherungsbedingungen - unwirksam.

Auch in der Sache begegnet die Haftung des Versicherers vorliegend keinen Bedenken. Bei Zugrundelegung der im Kapitalanlagerecht herausgearbeiteten Pflichten kann der potentielle Versicherungsnehmer erwarten, dass ihm das Produkt so vorgestellt wird, dass er über die wesentlichen und für die Abschlussentscheidung erheblichen Punkte ausreichend und richtig aufgeklärt und die bestehenden Risiken konkret herausgearbeitet werden. Dies ist hier nicht geschehen. Zwar bestünde für den Versicherer noch die Möglichkeit nachzuweisen, dass der Versicherungsnehmer auch bei ordnungsgemäßer Information abgeschlossen hätte. In der Praxis wird dieser Beweis jedoch nur in den seltensten Fällen gelingen.

Im Ergebnis ist das Urteil also zu begrüßen und es besteht zu erwarten, dass es nur eines der ersten im Zusammenhang mit der Vermittlung von Lebensversicherungsprodukten sein wird.

Heiko Effelsberg, LL.M.

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Versicherungsrecht


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