Welche Rechtsschutzmöglichkeiten haben schwer kranke Patienten gegenüber Corona-Erkrankten?

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Das Coronavirus hat Deutschland weiter fest im Griff. Umfassende Maßnahmen wurden zur Eindämmung der Verbreitung der Krankheit erlassen. Auch wenn hiermit die Ausbreitung des Virus verlangsamt werden konnte, droht weiterhin eine Überlastung der medizinischen Versorgung, insbesondere der Versorgung mit Beatmungsgeräten. 

Doch was gilt, wenn der tatsächliche Behandlungsbedarf nicht mehr von den tatsächlichen Kapazitäten gedeckt werden kann? Wie wird entschieden, wer eine Beatmung erhält und wer nicht? Diese Auswahlentscheidung wird als Triage bezeichnet. Der Begriff „triage“ kommt aus dem Französischen und bedeutet „sortieren“.

Die rechtliche Situation in Deutschland

Die rechtliche Situation, anhand welcher Kriterien eine solche Sortierung der Patienten erfolgen soll, ist in Deutschland nicht konkret definiert. Hier bedarf es dringend handfester moralischer und rechtlicher Entscheidungshilfen, die den Ärzten im Falle einer Triage als Orientierungspunkte dienen. 

Dies ist notwendig, da sich die Ärzte nicht nur in einem höchst moralischen Dilemma bewegen, sondern zudem in einem strafrechtlichen Grenzbereich. Es ist den Ärzten vor diesem Hintergrund nicht zumutbar, allein nach freiem Ermessen ohne Anhaltspunkte durch handhabbare Kriterien über Leben und Tod von Patienten zu entscheiden, zumal in zahlreichen Fällen eine Entscheidung innerhalb kürzester Zeit erfolgen muss.

Die strafrechtliche Bedeutung von Behandlungsunterlassung und Behandlungsabbruch

Grundsätzlich kommt dem behandelnden Arzt gegenüber seinem Patienten eine Garantenstellung zu. Die Garantenstellung bewirkt, dass der Betreffende nicht nur verpflichtet ist, nicht durch aktives Handeln einen Tatbestand (hier z. B. den Tod des Patienten) herbeizuführen. 

Vielmehr ist der Garant dazu verpflichtet, alles ihm Zumutbare zu unternehmen, dass der Tatbestandserfolg nicht eintritt. Auch ein Unterlassen einer Behandlung kann damit eine Strafbarkeit begründen.

Auf Grund dieser Garantenstellung hat der Arzt, insofern es dem Willen des Patienten entspricht, jede notwendige Behandlung einzuleiten, so auch eine intensivmedizinische Beatmung. Tut er dies nicht und verstirbt der Patient infolge dessen, macht sich der Arzt grundsätzlich wegen eines Totschlags durch Unterlassen strafbar. 

Dies gilt prinzipiell auch dann, wenn die medizinischen Kapazitäten den Behandlungsbedarf nicht mehr decken, also unter Berücksichtigung der aktuellen Situation auch dann, wenn nicht genügend Beatmungsgeräte für jeden Patienten zur Verfügung stehen.

Eine Strafbarkeit des Arztes kommt zudem dann in Betracht, wenn eine Behandlung durch das Abstellen lebenserhaltender Maschinen abgebrochen wird.

Eine Strafbarkeit durch Einstellen der lebenserhaltenen Maßnahmen ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann nicht strafbar, wenn dies dem tatsächlichen Willen des Patienten entspricht und dem Ziel dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsverlauf seinen Lauf zu lassen (Bundesgerichtshof vom 10.11.2010, Aktenzeichen: 2 StR 320/10). 

Hingegen ist eine gezielte Lebensverkürzung durch einen nicht der Heilung, der Symptomkontrolle oder der Behandlungsbegrenzung dienenden Eingriff weiterhin strafbar. Eine Strafbarkeit entfällt auch dann, wenn eine entsprechende auf Heilung gerichtete Therapie nicht mehr indiziert ist.

Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Sterbevorgang bereits unabwendbar begonnen hat oder die medizinische Prognose so schlecht ist, dass der Nutzen der Maßnahme die hiermit verbundenen Belastungen für den Patienten nicht rechtfertigt. Dies gilt unabhängig von dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Patienten. 

Eine Maßnahme, die medizinisch nicht indiziert ist, muss nicht vorgenommen werden. In einem solchen Fall, darf jedoch eine Behandlung nicht völlig eingestellt werden, vielmehr ist das Behandlungsziel auf eine entsprechende palliative Ausrichtung abzuändern.

Vorrangige Maßnahmen

Bevor eine Entscheidung im Sinne einer Triage überhaupt zu fällen ist, ist zunächst zu prüfen, ob eine Patientenverfügung vorliegt, welche der betreffenden medizinischen Behandlung entgegensteht. Denn jeder, auch jeder lebensrettende medizinische Eingriff bedarf der Einwilligung des Patienten. 

Da die bisherigen Erfahrungen mit dem Coronavirus zeigen, dass vorwiegend bei Infizierten höheren Alters mit einem schweren Krankheitsverlauf und damit mit der Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Behandlung zu rechnen ist, ist ebenfalls mit einer höheren Wahrscheinlichkeit mit dem Vorliegen einer Patientenverfügung zu rechnen.

Daneben ist auch die Zusammenarbeit zumindest mit den umliegenden Krankenhäusern, wenn möglich auch mit den überregionalen erforderlich. So können bei einer Überbelastung in einem Krankenhaus zunächst anderweitige freie Behandlungskapazitäten genutzt werden, um einer Triage vorzubeugen.

Menschenwürde, das Recht auf Leben und zulässige Abwägungskriterien

Eine Regelung fester Abwägungskriterien muss unter Berücksichtigung der Menschenwürde, welche gemäß Art. 1 Abs. 1 GG unantastbar und von aller staatlichen Gewalt zu achten und zu schützen ist vorgenommen werden. Vor diesem Hintergrund muss beachtet werden, dass jedes Leben unabhängig von seiner Quantität und Qualität gleichermaßen schützenswert ist.

Aufgrund der Würde des Menschen ist offensichtlich, dass eine Entscheidung zumindest nicht anhand unzulässiger Diskriminierungsmerkmale erfolgen darf. 

Dies sind beispielsweise das Alter, das Geschlecht oder die ethnische Herkunft. Eine Regelung, wie sie derzeit in Italien praktiziert wird und sich an der zu verbleibenden Lebenszeit orientiert, ist in Deutschland jedenfalls nicht denkbar. Dies ergibt sich durch einen Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes. 

Dieses entschied, dass das menschliche Leben und die menschliche Würde ohne Rücksicht auf die Dauer der physischen Existenz des einzelnen Menschen gleichen Verfassungsschutz genießt (Bundesverfassungsgericht vom 15.02.2006, Aktenzeichen: 1 BvR 357/05). Ein Leben ist daher nicht deswegen schützenswerter als ein anderes, weil damit zu rechnen ist, dass die Lebenserwartung länger ist.

Doch anhand welcher Kriterien sollte sich die Entscheidung, welcher Patient im Konfliktfall eine Beatmung erhält, orientieren?

In Situationen, in denen ein Patient dringender auf die Beatmung angewiesen ist als anderer, also ein Patient auf eine unverzügliche Beatmung angewiesen ist, um eine Überlebenschance zu haben, ein anderer Patient aber auch noch einen gewissen Zeitraum ohne eine solche Beatmung überlebt, ist ein Rückgriff auf § 34 StGB möglich. § 34 StGB (Strafgesetzbuch) beinhaltet den sogenannten rechtfertigenden Notstand.

Hiernach handelt derjenige nicht rechtswidrig, der in einer gegenwärtigen und nicht anders abwendbaren Gefahr u. a. für Leib und Leben eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, wenn bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. 

Dies bedeutet, der Arzt macht sich nicht durch ein Unterlassen der Behandlung strafbar, wenn er dem Patienten, der dringender darauf angewiesen ist, die Beatmung zukommen lässt, da dessen Leben gegenwärtig gefährdet ist und dies nicht anders abgewendet werden kann, während bei dem anderen Patienten gerade noch nicht eine gegenwärtige Gefährdung des Lebens vorliegt, sondern in diesem Augenblick vielmehr eine Gefährdung des körperlichen Gesundheit.

Die medizinische Dringlichkeit ist vor diesem Hintergrund auch dann ein wesentliches Auswahlkriterium, wenn sich hierdurch die Überlebenschancen des anderen Patienten verringern. Jedoch ist bei einem weiterhin massiv steigenden Bedarf an einer künstlichen Beatmung damit zu rechnen, dass eine Entscheidung zwischen mehreren Patienten mit vergleichbarer Dringlichkeit getroffen werden muss. In diesen Fällen ist ein Rückgriff allein auf § 34 StGB (Strafgesetzbuch) nicht möglich.

Fest steht, dass von einem Arzt in dieser Situation nicht erwartet werden kann, dass er beide Patienten rettet. Kann der Arzt nicht beiden Patienten die notwendige Behandlung zukommen lassen, obliegt ihm die Wahl, welchen Patienten er rettet. 

Solange der Arzt in seinem ihm zustehenden Ermessensspielraum handelt, handelt er in Hinblick auf den nicht behandelten Patienten nicht rechtswidrig. Eine Strafbarkeit geht mit seiner Entscheidung also nicht einher. Dennoch sollte der Arzt seine Entscheidung nicht rein willkürlich treffen oder sich gar bestechen lassen, da er sich ansonsten zivilrechtlichen oder berufsrechtlichen Regressionen aussetzen könnte.

Fortsetzung folgt.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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