Welche Rechtsschutzmöglichkeiten haben schwer kranke Patienten gegenüber Corona-Erkrankten?

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Teil 2, Fortsetzung

Neben das Merkmal der medizinischen Dringlichkeit müssen daher weitere Kriterien treten. Als Korrektiv zur Vermeidung unverhältnismäßiger Entscheidungen stehen daher dem Kriterium der Dringlichkeit die medizinischen Erfolgsaussichten gegenüber. Je mehr sich die Dringlichkeit bei den betreffenden Patienten annähert, umso stärker ist auf die medizinisch erwartbaren Erfolgsaussichten abzustellen. 

Dass eine solche Differenzierung in Hinblick auf die Entscheidung über die Verteilung medizinischer Ressourcen zulässig ist, ergibt sich aus einem Blick auf das Transplantationsrecht. So regelt § 12 Abs. 3 S. 1 TPG, dass vermittlungspflichtige Organe von der Vermittlungsstelle nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Erfolgsaussichten und Dringlichkeit für geeignete Patienten zu vermitteln sind. 

Wenn zwei Patienten also in vergleichbar dringlicher Weise auf die künstliche Beatmung angewiesen sind, so ist es gerechtfertigt demjenigen die Behandlung zu Gute kommen zu lassen, bei dem höhere Erfolgsaussichten bestehen, auch wenn die Dringlichkeit bei dem anderen Patienten ein wenig höher einzustufen sein mag.

Die Erfolgsaussichten sind dabei anhand einer medizinisch begründeten Wahrscheinlichkeit zu ermitteln. Daher sind in der Entscheidungssituation so umfassend wie nur irgend möglich, die gesamten medizinisch relevanten Informationen (Vorerkrankungen, aktueller Zustand etc.) zu berücksichtigen. Nicht entscheidend ist dabei das Alter. 

Jedoch ist mit höherem Alter des Patienten auch mit einer höheren Wahrscheinlichkeit mit Vorerkrankungen zu rechnen. Hiervon darf jedoch nicht ohne eine entsprechende Anamnese ohne Weiteres ausgegangen werden.

Weiter zu beachten ist das sogenannte Prioritätsprinzip. Erhält ein Patient bereits eine künstliche Beatmung, darf ihm diese nicht ohne weiteres zur Versorgung eines anderen weggenommen werden, da hier die Möglichkeit einer Strafbarkeit in Betracht zu ziehen ist. 

Unproblematisch ist die Einstellung der Beatmung möglich, wenn dies dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht. Auch hier sollte, insoweit vorhanden, die Patientenverfügung geprüft werden. 

Daneben kommt bei Wegfall der medizinischen Indikation der Beatmung die Änderung des Behandlungszieles hin zu einer rein palliativen Versorgung in Betracht. Die dieser Entscheidung zugrunde liegenden Aspekte sind zu dokumentieren.

Besteht jedoch die Indikation der künstlichen Beatmung fort, so darf trotz gleicher Dringlichkeit der Beatmung eines anderen Patienten, die Beatmung des behandelten Patienten nicht eingestellt werden, auch wenn bei dem anderen Patienten höhere Erfolgsaussichten bestehen. 

Hintergrund dessen ist, dass es hier nicht mehr wie bei der fairen Verteilung medizinischer Ressourcen, um die Erfüllung des Schutzpflicht in Bezug auf das Leben geht, sondern mit der Beendigung der medizinisch indizierten Beatmung ein aktiver Eingriff in das Recht auf Leben einhergeht.

Während in Hinblick auf die Verteilung medizinischer Ressourcen bzw. auf die Entscheidung des Unterlassens indizierter medizinischer Maßnahmen vor dem Hintergrund knapper Ressourcen auf die Maxime abgestellt werden darf, möglichst viele Menschenleben zu retten, ist dies in Bezug auf einen aktiven Eingriff in das Recht auf Leben nicht zulässig. 

So entschied das Bundesverfassungsgericht im Jahre 2006, dass der Abschuss eines von Terroristen entführten Passagierflugzeuges die Menschenwürde der unschuldigen Passagiere verletze und sie zu bloßen Objekten degradiere, auch wenn er dazu diene, das Leben anderer Menschen zu schützen und zu erhalten (Bundesverfassungsgericht vom 15.02.2006, Aktenzeichen: 1 BvR 357/05).

Vor dem Hintergrund der komplexen Entscheidungskriterien obliegt die Entscheidung über die Dringlichkeit, die Erfolgsaussichten und einem Behandlungsabbruch einem erfahrenen Arzt (zu bevorzugen sind ein Chefarzt oder Oberarzt), wobei möglichst nach dem Vier-Augen-Prinzip verfahren werden sollte. 

Um eine gerechtfertigte Entscheidung treffen zu können, müssen bei der Entscheidung alle Patienten zumindest des betreffenden Krankenhauses, wenn möglich auch der umliegenden Krankenhäuser berücksichtigt werden.

Dies ist nur möglich, wenn der Entscheider auch einen hinreichenden Überblick über alle behandlungsbedürftigen Patienten hat. Dies in der Praxis umzusetzen, wird sich schwierig gestalten, da es für die behandelten Ärzte, die einer erheblichen Arbeitsbelastung ausgesetzt sind, nicht umfassend möglich sein wird, einen entsprechenden Überblick zu behalten. 

Aber auch die Einschaltung eines von der Behandlung unabhängigen Gremiums ist problematisch. Dies schon allein vor dem Hintergrund des schmalen Zeitfensters, welches für eine Entscheidung zur Verfügung steht.

In der Regel werden die Entscheidungen daher ad hoc von den behandelnden Ärzten getroffen werden müssen. Hierbei sollte sichergestellt werden, dass  die Entscheidung möglichst ohne eine emotionale Beeinflussung erfolgt, also nicht in Bezug auf Familienmitglieder oder sonstige Freunde oder Bekannte vorzunehmen ist. 

Um dem Arzt bzw. den Ärzten eine hinreichende Entscheidungsgrundlage unter Berücksichtigung aller relevanten Patienten zu ermöglichen, bedarf es einer hinreichenden Dokumentation in Hinblick auf die aktuellen Zustände, weitergehenden Krankheitsverläufe und patientenspezifischen Anamnesen.

Die Gefahr einer Triage-Situation wirft viele ethische und rechtliche Fragen auf. Die erhebliche emotionale und moralische Last, die mit einer solchen Situation einhergeht, haben vor allem die behandelnden Ärzte und das Pflegepersonal zu tragen. 

Trotz dessen oder gerade deshalb ist es wichtig, dass sich die Entscheidungen an angemessenen Kriterien orientieren. Dies dient sowohl dem Schutz des Lebens und der Würde des Menschen als auch dem betreffenden medizinischen Personal, welches nicht nur ihre Entscheidung gegenüber den Patienten und deren Angehörigen zu vertreten, sondern letztlich selbst ein Leben lang mit dieser Entscheidung zu leben hat.

Welche Möglichkeiten haben die betroffenen Patienten im Falle einer Triage?

Was kann ein betroffener Patient und Angehöriger tun, wenn der Patient im Falle einer Triage-Situation trotz medizinischer Notwendigkeit gegen seinen ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen eine künstliche Beatmung nicht erhält?

In der Regel bliebe dem Patienten oder dessen Angehörigen dann die Möglichkeit den Eilrechtsweg zu bestreiten, um eine Behandlung zu erwirken. 

Doch dies dauert schlichtweg unter den zu erwartenden Bedingungen einer Triage zu lange, sodass in vielen Fällen nur eine nachträgliche Überprüfung verbleibt, ob hier eine fehlerhafte Entscheidung getroffen wurde oder nicht. Entscheidend ist dabei letztlich, ob das Handeln bzw. Unterlassen der Behandlung unter den gegebenen Umständen als Behandlungsfehler einzuordnen war.

Wie verhält es sich, wenn eine Behandlung abgebrochen werden soll? 

Ist eine medizinische Indikation der Behandlung nicht mehr gegeben, so muss der Arzt die Behandlung nicht fortführen und zwar auch, wenn die Angehörigen dem widersprechen. Solange eine medizinische Indikation der Behandlung noch nicht entfallen ist, darf die Behandlung nicht einfach abgebrochen werden, ohne zuvor den tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Patienten zu ermitteln. 

Trotz umfassender Besuchsbeschränkungen sollten die Angehörigen daher auf einen möglichst engen Austausch mit den Ärzten bestehen, um hier die Interessen des Patienten zu wahren. Sollte der Arzt ohne Rücksprache mit den Angehörigen eine Behandlung einstellen, so bleibt im Falle einer Triage auch hier nur die Möglichkeit einer nachträglichen Überprüfung der Entscheidung.

Da zwischenzeitlich die ersten praktischen Lösungsresultate und gerichtliche Praxis vorliegen, zeichnet sich lobenswerterweise ein ausreichender Schutz der Betroffenen ab.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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