Wer erbt eigentlich was? Die gesetzliche Erbfolge kurz erklärt

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Jeder weiß es, jedem ist es bewusst: Sterben müssen wir alle. Und doch wird oft die Frage an mich herangetragen, wer denn nun eigentlich was erbt, wenn kein Testament oder eine sonstige letztwillige Verfügung existiert. Dabei stelle ich immer wieder fest, dass populäre Mythen und Binsenweisheiten scheinbar nicht aus der öffentlichen Meinung verschwinden wollen, obwohl es gefühlt immer mehr Dokumentationen und Zeitungsartikel zum Thema Erben und Erbfolge gibt und es täglich mehr werden.

Aus diesem Grund möchte ich hiermit noch einmal kurz und kompakt erklären, wer erbrechtlich gesehen Ansprüche stellen kann, wenn jemand stirbt, ohne eine letztwillige Verfügung zu hinterlassen (Testament, Erbvertrag etc.). Dann kommt das sogenannte gesetzliche Erbrecht zum Tragen, bei dem das Gesetz bestimmt, wer erbt.

1. Das Grundprinzip im deutschen Erbrecht: Kinder, Enkel und Urenkel an die Macht!

Es muss und sollte jedem klar sein: Hat der Verstorbene (juristisch „Erblasser“ genannt) Abkömmlinge und leben diese noch, schließen diese alle anderen Personen als Erben aus. Als Abkömmlinge gelten dabei übrigens nicht nur die direkten Kinder, sondern auch deren Kinder, also Enkel und Urenkel. Das heißt also: Ist wenigstens ein Kind, Enkel oder Urenkel vorhanden, erbt dieser Abkömmling und schließt alle anderen potenziellen Erben aus (sofern er nicht enterbt wurde - dann steht ihm oder ihr aber wiederum ein Pflichtteilsanspruch zu).

Was ist mit adoptierten Kindern?

Adoptionen sind eine etwas kompliziertere Geschichte, bei der man unterscheiden muss: Wurden die Kinder schon als Minderjährige adoptiert, werden dadurch grundsätzlich die „alten“ Verwandtschaftsverbindungen (z. B. zur leiblichen Mutter und deren Verwandten) gekappt und es entsteht eine neue Beziehung zur Adoptionsfamilie, mit der das Kind nun offiziell verwandt ist, auch wenn genau genommen keine Blutsverwandtschaft besteht. Die Adoption ersetzt sozusagen die Blutsverwandtschaft und macht das Kind für die Adoptiveltern zu einem leiblichen Abkömmling. Dadurch bestehen auch keine Erbansprüche mit Blick auf die „alte“ Familie mehr (also auch kein Pflichtteilsanspruch). Steuerrechtlich ist aber folgendes interessant: Sollte das von einer anderen Familie adoptierte Kind von seinen leiblichen Eltern bedacht worden sein (z.B. durch Testament oder Erbvertrag), gilt für die Erbschaftsteuer eine günstigere Steuerklasse (§ 15 Abs. 1a des Erbschaftsteuer- und Schenkungssteuergesetzes).

Eine Besonderheit gibt es, wenn Verwandte zweiten oder dritten Grades (z.B. Geschwister und Großeltern) ein Kind innerhalb der Familie adoptieren. Dann erlischt nur die Verwandtschaft zu den ursprünglichen Eltern (§ 1756 Abs. 1 BGB), also z. B. zur Mutter; alle anderen Verwandtschaftsbeziehungen bleiben erhalten.

Bei Volljährigenadoptionen sieht es dagegen anders aus: Der Adoptierte bleibt mit seiner „alten“ Familie grundsätzlich verwandt, aber es entsteht zusätzlich auch mit der „neuen“ Familie ein Verwandtschaftsverhältnis. Man schafft sich also quasi eine neue Großfamilie mit vier Elternteilen, von denen man Erb- und Pflichtteilsansprüche hat. Dabei ist aber zu beachten, dass man als volljährig Adoptierter nicht mit den Verwandten der „neuen“ Eltern verwandt wird, d.h. gegen diese hat man auch keine erbrechtlichen Ansprüche. Die Verwandtschaft bezieht sich also nur auf die „neuen“ Eltern

Merke: In besonderen Ausnahmefällen kann eine Adoption Volljähriger auch die gleichen Wirkungen haben wie eine Minderjährigenadoption (d. h. die Verwandtschaft zur „alten“ Familie wird ausgelöscht). Das kann z.B. laut Gesetz der Fall sein, wenn der zu Adoptierende schon als Minderjähriger in der entsprechenden Familie gelebt hatte (z.B. als Pflegekind) und dadurch eng mit ihr verbunden ist. Im Einzelfall entscheidet das Familiengericht.

2. Mama, du hast geerbt!

Sind keine Kinder oder Kindeskinder vorhanden, denen das Erbe übertragen werden kann, erben nach deutschem Recht die Eltern des Verstorbenen zu gleichen Teilen. Das ist natürlich besonders bitter für Verstorbene ohne Kinder, die mit den Eltern eigentlich zerstritten waren und auf keinen Fall wollten, dass diese etwas erben. Liegt aber kein Testament vor, passiert genau das.

Was passiert, wenn ein Elternteil verstorben ist?

Ist ein Elternteil vor dem Erblasser (also dem Sohn oder der Tochter) verstorben, kommt es für die Erbfolge darauf an, ob der Erblasser (also der, von dem geerbt werden soll) noch Geschwister oder Halbgeschwister hatte, d.h. ob der verstorbene Elternteil noch Kinder hinterlässt. Ist dies der Fall, dann bekommt der überlebende Elternteil 50% und die (anderen) Kinder des verstorbenen Elternteils erhalten zusammengerechnet ebenfalls 50%.

Beispiel: Anton ist kinderlos und unverheiratet gestorben. Er hinterlässt kein Testament, dafür aber ein Sparvermögen von 100.000 EUR. Von seinen Eltern lebt nur noch seine Mutter Gerda. Sein Vater Bernd war bereits lange vor ihm verstorben. Bernd hatte aus der Ehe mit Gerda noch einen Sohn, Michael (Antons Bruder). Aus einer späteren Ehe hatte er noch eine Tochter, Paula (Antons Halbschwester), zu der Anton aber nie Kontakt hatte und auch nicht wollte.

Gerda als überlebender Elternteil erbt die Hälfte von Antons Geld (50.000 EUR). Die Kinder des verstorbenen Vaters (Michael und Paula) treten in seine Stellung ein. Dass Paula aus einer späteren Ehe stammt, interessiert das Gesetz nicht, denn sie ist juristisch gesehen Bernds Tochter (also sein „Abkömmling“). Faktisch erben Michael und Paula also je 25.000 EUR.

Daran sieht man, wie wichtig die Erstellung eines „wasserdichten“ Testaments ist, denn nur dadurch stellt man sicher, dass nach dem Tod auch das geschieht, was man will.

3. Geschwisterliebe?

Hatte der Verstorbene keine Kinder und sind beide Eltern auch schon verstorben, erben seine Geschwister, sofern es davon welche gibt.

Bei Halbgeschwistern kommt es für ihr Erbrecht bzw. ihren Anspruch auf einen Pflichtteil immer auf die Verwandtschaft mit dem Erblasser an:

Beispiel: Cordulas Vater stirbt ohne Testament und unverheiratet. Sein Vermögen beträgt 100.000 EUR. Neben Cordula als Tochter hatte er aus einer früheren Ehe noch den Sohn Connor (Cordulas Halbbruder).

Cordula und Connor bilden eine Erbengemeinschaft und erben zu gleichen Teilen, d.h. jedem stehen 50.000 EUR zu. Wäre Connor vom verstorbenen Vater enterbt und Cordula als Alleinerbin eingesetzt worden, stünde Connor trotzdem ein Pflichtteils-anspruch in Höhe von 25.000 EUR (Hälfte des gesetzlichen Erbteils) zu, den Cordula erfüllen müsste.

Anders hätte es ausgesehen, wenn z. B. Cordulas Mutter verstorben wäre. Da sie mit Connor nicht blutsverwandt ist, würde in einem solchen Fall nur Cordula als ihr Abkömmling erben. Connor wäre weder erb- noch pflichtteilsberechtigt.

Was passiert, wenn auch die Geschwister schon gestorben sind?

 

Hatten die Geschwister Kinder (d. h. die Neffen oder Nichten des Erblassers), treten diese an die Stelle des verstorbenen Bruders bzw. der verstorbenen Schwester und erben stattdessen. Der Grund dafür: Der Stamm des verstorbenen Geschwisterteils setzt sich in dessen Kind fort, ist also sozusagen noch nicht „ausgestorben“, sondern erbberechtigt.

Beispiel: Michael ist kinderlos mit einem Vermögen von 50.000 EUR verstorben. Seine Eltern waren lange vor ihm gestorben. Von seinen Geschwistern Paul und Paula lebt nur noch der kinderlose Paul. Paula war schon Jahre vor Michael gestorben, hat aber zwei Kinder (Kevin und Ken).

Die Folge ist, dass Paul und die Kinder von Paula eine Erbengemeinschaft bilden, in der Paul 25.000 EUR erbt (= die Hälfte) und Kevin und Ken je 12.500 EUR (25.000 EUR geteilt durch zwei).

4. Oma ist die Beste

Für den seltenen Fall, dass

- der Erblasser keine Kinder hatte,

- seine Eltern vor ihm gestorben sind,

- er keine Geschwister hatte oder diese auch schon verstorben sind, und

- die Geschwister keine Kinder hatten,

sieht das Gesetz vor, dass die Großeltern erben sollen, und zwar wieder zu gleichen Teilen. Ist ein Großelternteil verstorben, treten an Opas oder Omas Stelle deren Kinder (d.h. die Onkel und Tanten des Erblassers) und erben gemeinsam mit dem noch lebenden Großelternteil. Insofern verhält es sich quotenmäßig genau wie beim Erbrecht der Eltern (siehe oben unter 2.).

5. Wenn Tante Emma erbt...

Sind die Großeltern bereits beide verstorben, treten deren Abkömmlinge vollständig auf den Plan, also die Onkel und Tanten des Erblassers. Als Abkömmlinge zählen hier aber nicht die (verschwägerten) Ehepartner, sondern immer nur die „direkten“ Kinder der Großeltern.

6. Die verlorene Cousine

Leben auch keine Onkel oder Tanten mehr, treten deren Kinder auf den Plan, sofern davon welche existieren. Das heißt also, die Cousins und Cousinen des Erblassers und deren Kinder stehen fast ganz am Ende der Erbfolge, so dass eine Erbschaft zu ihren Gunsten eher unwahrscheinlich ist (sofern sie nicht im Testament als Erben eingesetzt wurden!).

7. Uromas Erbschaft

Den krönenden Abschluss des deutschen Erbrechts bildet die Erbschaft eines Urgroßelternteils. Eine solche kommt angesichts der obigen Ausführungen nur im folgenden Fall in Betracht, der einem Lottogewinn mit Sechser und Zusatzzahl gleicht:

- Der Erblasser hatte keine Kinder,

- seine Eltern sind vor ihm gestorben,

- er hatte keine Geschwister oder diese auch schon verstorben sind,

- die Geschwister hatten keine Kinder,

- es leben keine Großeltern mehr,

- die Kinder der Großeltern (Onkel und Tanten) leben nicht mehr,

- es leben keine Cousins oder Cousinen mehr, und

- es leben keine Kinder der Cousins oder Cousinen mehr.

Es besteht ferner die Besonderheit, dass, sofern nur noch ein Urgroßelternteil lebt (also Uropa oder Uroma), dieser alles allein erbt. Es gilt also nicht die Regel wie bei verstorbenen Eltern und Großeltern (siehe oben unter 2. und 4.), dass deren Kinder an ihre Stelle treten und neben dem noch lebenden Eltern- bzw. Großelternteil ebenfalls erben. Solange zumindest noch ein Uropa oder eine Uroma lebt, erbt dieser bzw. diese bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen allein.

8. Vater Staat

Sind keinerlei Verwandten mehr vorhanden, was extrem selten sein dürfte, erbt der Staat. Das gilt übrigens auch dann, wenn alle verfügbaren Erben das Erbe ausschlagen, weil der Nachlass überschuldet ist. Im Gegensatz zu allen anderen Erben der obengenannten Reihenfolge hat der Staat nicht das Privileg, die Erbschaft ausschlagen zu dürfen, sondern der Nachlass fällt ihm mit allen negativen und positiven Aspekten zu. Das heißt also, es gibt faktisch kein Erbe, das „herrenlos“ im deutschen Rechtssystem herumwandert.

Für alle Beratungen in erbrechtlichen Fragen stehe ich Ihnen gern zur Verfügung!


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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