Wirecard – Klagen von Anlegern

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Die Insolvenz der Wirecard AG zeigt leider einmal mehr, dass die präventiven Kontrollsysteme zum Beispiel durch Wirtschaftsprüfer, die Deutsche Börse, bei der Bundesanstalt für Kapitalmarktaufsicht (BaFin) und der Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung DPR e. V. leider nicht funktionieren. Für Anleger (Aktie: WKN 747206 / ISIN DE0007472060 und Anleihe WKN A2YNQ5 / ISIN DE000A2YNQ58) droht möglicherweise ein Debakel. Gegenwärtig stellt sich die Situation für uns wie folgt dar:

Bonität der Haftungsschuldner

Bei Anlegern und Vertragspartnern sind Schäden in Milliardenhöhe entstanden. Die meisten Verursacher und ihre D&O Versicherungen/Haftpflichtversicherungen düften sie aber nur zu einem Teil abdecken können: 

  • Vielleicht kann man Vorstand (z. B. Dr. Markus Braun, Alexander von Knoop, Jan Marsalek, Susanne Steidl) und Aufsichtsrat (z. B. Wulf Matthias, Stefan Klestil, Thomas Eichelmann, Dr. Anastassia Lauterbach, Vuyiswa V. M´Cwabeni, Susanna Quintana-Plaza) ein "multiples Organversagen" oder vorsätzliche Straftaten (z. B. Betrug, Untreue, Marktmanipulation, Bilanzdelikte) vorwerfen. Auch wenn sie ihre Vermögen nicht z. B. auf Familienmitglieder übertragen, werden sie hier nicht ausreichen. Etwaige Vermögensverlagerungen lassen sich zwar unter bestimmten Voraussetzungen anfechten. Verfahren dieser Art sind aber aufwendig und kostenintensiv.
  • Auch bei Wirtschaftsprüfern und anderen Vertragspartnern wie Treuhändern wird das Vermögen nicht ausreichen. Bei EY (Ernst & Young) stellt sich die Frage, ob es ihr wie Arthur Anderson im Enron-Skandal ergehen wird.
  • Deutlich besser sieht es bei einer Staatshaftung aus, wenn der gesetzliche Auftrag der BaFin sowie der DPR eine umfassende Prüfung vorgeschrieben hätten und die erforderlichen Hinweise vorlagen. Allerdings ordnet § 4 Abs. 4 Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz (FinDAG) an, dass die Aufgaben und Befugnisse nur im öffentlichen Interesse wahrgenommen werden.
  • Ähnliches gilt für die Deutsche Börse. Sie haftet – wie die anderen Haftungsschuldner – nur dann, wenn die gesetzlichen Anspruchsgrundlagen auch einen drittschützenden Charakter haben.
  • Eine völlig andere Situation eröffnet die Beraterhaftung: Der Berater zum Beispiel einer Bank haftet für eine objektgerechte und anlegergerechte Beratung. Wenn der Nachweis gelingt, haftet dann der Arbeitgeber.

Zugang zum relevanten Sachverhalt/zu Beweismitteln

Der Insolvenzverwalter Michael Jaffe hat – im Gegensatz zu Anlegern und Vertragspartnern – Zugang zu allen relevanten Beweismitteln. Auch er ist dazu verpflichtet, Ansprüche auf Schadensersatz gegenüber den zuvor genannten Haftungsschuldnern bzw. Versicherungen durchzusetzen. Er kann zeitnahe Klagen erheben und ein Arrestverfahren anstrengen, um Vermögensverlagerungen aufzugreifen. Die meisten anderen Anspruchsinhaber sind erst einmal auf eine Auswertung der Wirtschaftspresse angewiesen, um den haftungsrelevanten Sachverhalt zu erfahren.

Mögliche Anspruchsgrundlagen

Für Anleger bieten sich zunächst einmal § 97 WpHG (Schadenersatz wegen unterlassener unverzüglicher Veröffentlichung von Insiderinformationen) und § 98 WpHG (Schadenersatz wegen Veröffentlichung unwahrer Insiderinformationen) an. 

  • Die Staatsanwaltschaft München I geht davon aus, dass bereits im Jahr 2014 der Entschluss gefasst wurde, die Bilanz mit vorgetäuschen, also erfundenen Einnahmen, die Umsätze und Erlöse künstlich aufzublähen. Die gesamte Finanzmarktkommunikation einschließlich der Insiderinformationen nach Art. 17 Marktmissbrauchsverordnung (MAR) VO (EU) Nr. 596/2014 (MMVO) bzw. zuvor der §§ 15 ff. WpHG stellt die sich daraus ergebenden kursrelevanten Tatsachen nicht dar.
  • Die Insiderinformationen nach Art. 17 MAR vom 12.03.2020 und 22.04.2020 geben die Auswirkungen der Sonderprüfung von KPMG für den Aufsichtsrat nicht richtig wieder. Erst in der Mitteilung vom 22.06.2020 räumt der Vorstand ein, das die bisher ausgewiesenen Bankguthaben auf Treuhandkonten in der Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden Euro nicht bestehen.
  • Eine weiteren Einschätzung kann erst dann erfolgen, wenn die bilanziellen Auswirkungen (Versagung / Widerruf von Testaten) auf die bereits verabschiedeten Jahresabschlüsse bzw. Bilanzen bekannt werden.

Gegenwärtig ist von einer regelmäßigen Verjährung von drei Jahren aus § 195 BGB auszugehen. 

Vorläufige Einschätzung

Die juristische Arbeit beginnt am Sachverhalt! Zunächst einmal gilt es abzuwarten, 

  • ob, in welchem Umfang und mit welcher Begründung es zum Widerruf/Versagung von Testaten durch die Jahresabschlussprüfer/Wirtschaftsprüfer kommt,
  • welche Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft München I bekannt werden und
  • über welche Unterlagen und anderen Beweismittel die Wirtschaftspresse berichtet. Die Vorlage dieser Beweismittel kann nach § 142 ZPO verlangt werden.

Erst auf dieser Grundlage kann nach einer umfassenden Chancen-, Kosten- und Risikoabwägung überlegt werden, welche Vorgehensweise Aussicht auf Erfolg bietet. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, dass der Insolvenzverwalter gegen die gleichen Verursacher vorzugehen hat und vor den Anlegern Klagen erheben wird. Im Augenblick spricht alles für eine Staatshaftung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), wenn die Normen entgegen § 4 Abs. 4 FinDAG dritthaftenden Charakter haben. Bei der Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung DPR e. V. ist zusätzlich noch der rechtliche Status zu klären. 

Über die weitere Entwicklung berichtet die Verbraucherzentrale für Kapitalanleger e. V. (VzfK) auf ihrer Homepage (Watchlist/Wirecard), mit der wir eng zusammenarbeiten.

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