''Wittenberger Sau'' - Beleidigung oder Gedenkstätte?

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Am 30.05.2022 wird sich der für das allgemeine Persönlichkeitsrecht zuständige VI. Senat mit der Frage beschäftigen, ob das Sandsteinrelief von der Kirchenfassade der Wittenberger Stadtkirche in analoger Anwendung von § 1004 BGB in Verbindung mit §§ 823 Abs. 2, 31 BGB, 185 StGB oder wegen Verletzung des aus Art. 1, 2 GG abgeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts entfernt werden muss. 


Das umstrittene Sandsteinrelief auf der Wittenberger Kirche bildet zwei Menschen mit Spitzhütten ab, die an den Zitzen einer Sau saugen. Die beiden Personen sind auch als Juden identifizierbar, da beide für das Judentum typische Spitzhütte tragen. Daneben ist auf der Abbildung auch ein Rabbiner (erkennbar ebenfalls am Hut) dargestellt. Dieser hebt den Schwanz der Sau an und schaut in deren After. In unmittelbarer Nähe der Abbildung ist ein Aufsteller angebracht, auf dem es unter anderem wörtlich heißt:


"An der Südostecke der Stadtkirche Wittenberg befindet sich seit etwa 1290 ein Hohn- und Spottbild auf die jüdische Religion. Schmähplastiken dieser Art, die Juden in Verbindung mit Schweinen zeigen - Tiere, die im Judentum als unrein gelten - waren besonders im Mittelalter verbreitet. Es existieren noch etwa fünfzig derartige Bildwerke. 

Judenverfolgungen fanden in Sachsen Anfang des 14. Jahrhunderts und 1440 statt, 1536 wurde Juden der Aufenthalt in Sachsen grundsätzlich verboten. "  

 

Der Kläger, ein jüdisches Gemeindemitglied, empfindet das Sandsteinrelief auf der Wittenbergerkirche als eine Beleidigung und ist der Meinung, dass dieses den Tatbestand des § 185 StGB verwirklicht.

 

In welchen Fällen liegt konkret eine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB vor? 

 

Nach § 185 StGB versteht man unter einer Beleidigung die Kundgabe der Missachtung bzw. Nichtachtung der Ehre einer anderen Person, die geeignet ist, den anderen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen.

 

Die Tiermetapher der Judensau galt insbesondere im Mittelalter als ein häufig abgebildetes Bild der antijudaistischen christlichen Kunst. Motiv einer solchen Darstellung von Juden war es, diese zu demütigen und auszugrenzen. Auch die Nationalsozialisten griffen in diesem Kontext Begrifflichkeiten wie ,,Judensau'' oder ,,Judenschwein'' auf und verwendeten sie, um die jüdische Bevölkerung zu degradieren. Zu Recht stellt sich deshalb in dem vorliegenden Fall die Frage, inwiefern derartige Motive zeitgerecht sind und tatsächlich den Tatbestand der Beleidigung erfüllen.

 

Bei isolierter Betrachtung des Sandsteinreliefs könnten wohl die Tatbestandsvoraussetzungen einer Beleidigung im Sinne des § 185 StGB erfüllt sein.

Das Sandsteinrelief ohne den Inhalt der Aufstellertafel zu betrachten scheint jedoch ''out of context''. Aus diesem Grund wird der BGH daher klären müssen, ob das Sandsteinrelief unter Betrachtung des Aufsteller eher als Beleidung oder als Gedenkstätte zu verstehen ist.

Sowohl das Landgericht Dessau-Roßlau (LG Dessau-Roßlau - 2 O 230/18 - Entscheidung vom 24. Mai 2019) als auch die Berufungsinstanz am Oberlandesgericht Naumburg (OLG Naumburg - 9 U 54/19 - Entscheidung vom 4. Februar 2020) sahen bereits in dem Sandsteinrelief unter Betrachtung der konkreten Umstände keine Beleidigung im Sinne des § 185 BGB. Vielmehr fungiert das Sandsteinrelief als Gedenkstätte und beabsichtigt keinesfalls die Herabsetzung des Klägers.

 

Das OLG Naumburg führte dazu wie folgt aus:

 

...dass die Beklagte mit der Zurschaustellung des Reliefs an der Kirchenwand nicht die Ehre der Juden und somit auch nicht die Ehre des Klägers verletzt, weil das Relief inzwischen Teil eines Ensembles von Exponaten ist, das eine andere Zielrichtung der Beklagten erkennen lässt, nämlich diejenige, das Relief in Verbindung mit dem auf einem Schrägaufsteller lesbaren Informationstext und einem Mahnmal als Teil einer Gedenk- und Erinnerungskultur zu erhalten.

 

Unter Betrachtung des derzeitigen Prozessverlaufs deutet vieles darauf hin, dass der BGH den Vorinstanzen folgen und eine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB unter Betrachtung der Gesamtumstände ablehnen wird. In einem solchen Fall müsste die Beklagte evangelische Kirchengemeinde der Stadtkirche zu Wittenberg das Sandsteinrelief nicht entfernen. Die endgültige Entscheidung des BGH bleibt daher mit Spannung abzuwarten. 


Über den Ausgang des Verfahrens werden wir auf unserem Blog berichten.

Foto(s): pixabay @ https://www.pexels.com/de-de/foto/stadt-menschen-strasse-bau-415713/

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