Wo wohnt das Kind? - Das Aufenthaltsbestimmungsrecht

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Die tatsächliche Sorge für ein minderjähriges Kind umfasst auch das sog. Aufenthaltsbestimmungsrecht, d. h. das Recht zu bestimmen, an welchem Ort das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Dieses Aufenthaltsbestimmungsrecht ist vom sog. Recht zur Umgangsbestimmung abzugrenzen.

Das gemeinsame Sorgerecht ist nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht. D. h. ein Verzicht auf die Ausübung der Sorge ist nicht möglich.

Die gemeinsame Sorge beider Eltern bedeutet grundsätzlich, dass ein Handeln für das Kind im Einvernehmen beider Elternteile stattzufinden hat. Dies erfordert jedoch die Möglichkeit, einer Kooperationsfähigkeit und -willigkeit.

Ist eine solche nicht möglich, kann auf Antrag gem. § 1671 BGB die elterliche Sorge oder ein Teil davon einem Elternteil allein übertragen werden (hierzu unten).

Während des (nicht nur vorübergehenden) Getrenntlebens der Elternteile haben diese in Angelegenheiten des Kindes, die von erheblicher Bedeutung sind (hierzu zählen z. B. der Aufenthalt des Kindes, eine einseitige Schulanmeldung durch einen Elternteil), gem. § 1687 BGB ein gegenseitiges Einvernehmen herzustellen.

Grundsätzlich kann bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern gem. § 1628 BGB eine Entscheidung des Familiengerichts dahingehend, dass einem Elternteil die alleinige Entscheidungsgewalt übertragen wird, beantragt werden.

Dies gilt jedoch nur für einzelne Angelegenheiten von entscheidender Bedeutung für das Kind, nicht jedoch für grundsätzliche Fragen, wie z. B. dem dauerhaften Wohnsitz des Kindes.

Insofern bleibt zur Klärung der Meinungsverschiedenheiten der Eltern lediglich die Möglichkeit jedes Elternteils, einen Antrag auf Übertragung des alleinigen (Teil-)Sorgerechts nach § 1671 BGB zu stellen.

Dies ist nach der Rechtsprechung nötig, da eine Übertragung der elterlichen Sorge oder Teilbereichen, nur durch gerichtliche Entscheidung erfolgen darf.

Das alleinige Sorgerecht wird grundsätzlich immer dann übertragen, wenn

  • der andere Elternteil zustimmt und das Kind, sobald es das 14. Lebensjahr erreicht hat, nicht widerspricht

ODER

  • zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und die Übertragung der alleinigen Sorge auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entsprechen.

Das Gericht prüft daher, ob die Aufhebung der gemeinsamen Sorge (in diesem Teilbereich) und die Übertragung auf den antragstellenden Elternteil allein dem Kindeswohl am besten entspricht.

  • Vorab ist also seitens des Gerichts zu prüfen, ob eine gemeinsame elterliche Sorge in Betracht kommt. Hierzu ist eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern und ein Mindestmaß an Übereinstimmung erforderlich. Fehlt eine solche Kooperationsbereitschaft gegenwärtig und auch zukünftig (Prognose!) wird das Gericht die gemeinsame elterliche Sorge aufheben und demjenigen Elternteil übertragen, bei dem das Wohl des Kindes am besten gewahrt zu werden verspricht. 

Hierzu führt das Gericht eine 2-Stufen-Prüfung (doppelte Kindeswohlprüfung) durch:

1. Entspricht die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl?

Dies wird dann bejaht, wenn obige Voraussetzungen nicht vorliegen, sprich nicht beide Elternteile uneingeschränkt zur Pflege und Erziehung des Kindes geeignet sind und eine Kooperation zwischen den Elternteilen nicht möglich sein wird. Eine Gefährdung des Kindeswohls muss hierzu nicht vorliegen. Ein Vorrang der Alleinsorge ggü. der gemeinsamen Sorge und umgekehrt exisitert dabei nicht.

Geprüft werden daher, insbesondere

  • Eignung beider Elternteile zur Erziehung (z. B. Vernachlässigungen des Kindes, allgemeines Erziehungsunvermögen, psychische Erkrankungen, Suchterkrankungen, Gewalt)
  • Kooperationsbereitschaft (Akzeptanz des anderen Elternteils als gleichwertigen Bindungspartner des Kindes). Entscheidend sind die Auswirkungen fehlender Einigungen auf die Entwicklung und das Wohl des Kindes. Bei Streit über das Aufenthaltsbestimmungsrecht wird eine fehlende Kooperationsbereitschaft in der Regel vermutet.
  • Andere Gründe zur Aufhebung der gemeinsamen Sorge (z. B. Gleichgültigkeit eines Elternteils, Verletzungen der Unterhaltspflicht; nicht bloße äußere Lebensumstände) 

2. Entspricht die Übertragung des Alleinsorgerechts für den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten?

Es geht hierbei nicht darum festzustellen, welcher Elternteil der „bessere“ ist. Allein die Möglichkeit fehlender Einigung kann ausreichen.

Geprüft wird hier insbesondere:

  • Kontinuitätsgrundsatz (d. h. Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit der Erziehungsgrundsätze). Entscheidend ist insoweit, welcher Elternteil in der Vergangenheit die größeren Erziehungsanteil hatte. Dies um ständige Wechsel des sozialen Umfelds des Kindes zu vermeiden.
  • Förderungsgrundsatz (d. h. Eignung der Eltern das Kind besser zu fördern durch Unterstützungsleistungen, insbesondere durch Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit der Erziehung sowie Verlässlichkeit als Betreuungsperson). Die Zuhilfenahme dritter Personen (z. B. Großmütter) ist insofern kein Hinderungsgrund im Rahmen einer Erwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils. Geprüft werden auch der Erziehungsstil (z. B. Gewalt etc.) sowie die Erziehungseignung der Elternteile (z. B. spricht Sucht gegen die Übertragung des alleinigen Sorgerechts, solange der betroffene Elternteil sich der Krankheit nicht bewusst ist und insofern keine Hilfe annimmt) und das Verhalten ggü. dem anderen Elternteil im Zusammenhang mit Umgang bei Streitsituationen.
  • Bindungen des Kindes
  • Kindeswille, d. h. mit zunehmendem Alter wird der Kindeswille mehr zu berücksichtigen sein. Dies gilt selbst dann, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Wille auf einer Beeinflussung durch einen Elternteil beruht.

Der Kindeswille allein kann jedoch nicht streitentscheidend sein, sodass insbesondere, wenn andere Gründe dem Kindeswillen entgegenstehen, dieser seitens des Gerichts auch übergangen werden kann.

Das entsprechende Verfahren nach § 1671 BGB findet – wie immer im Familienrecht – unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Das Kind ist notwendigerweise zu beteiligen. 

Für es wird ein sog. Verfahrensbeistand bestellt, eine entsprechend geschulte Person, die allein die Interessen des Kindes vertritt („Anwalt des Kindes“). Hierzu wird dieser das Kind nach seinen Wünschen befragen und den Ursachen etc. auf den Grund gehen.

Zudem wird der zuständige Richter das Kind (insbesondere bei einem Alter von mehr als 14 Jahren) auch selbst befragen. Dies geschieht jedoch in der Regel nicht im Rahmen der Verhandlung, sondern vorab unter Ausschluss der sonstigen Beteiligten.

Zwingend angehört werden auch die Mitarbeiter des Jugendamtes, welche ebenfalls eine Stellungnahme abzugeben haben.

Entscheidungen des Gerichts obiger Art können grundsätzlich entweder

  • vorläufig im Rahmen eines einstweiligen Eilverfahrens 

ODER

  • endgültig im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens 

geregelt werden.

Zuständig ist (außerhalb von der Anhängigkeit eines Eheverfahrens) das Gericht, in dessen Bezirk das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Gerne beraten wir Sie im Rahmen einer kostenpflichtigen Erstberatung oder machen im Rahmen einer Beauftragung unserer Kanzlei Ihre Rechte im Sinne des Kindeswohls geltend.


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