Zur Patentierbarkeit von embryonalen Stammzellen – EuGH-Rechtsprechung

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In 2014 hat der EuGH seine Rechtsprechung aus 2011 in einem wichtigen Punkt korrigiert: Mit Urteil vom 18.12.2014 stellt das Gericht in der Sache „International Stem Cell Corporation ./. Comptroller General of Patents“ (EuGH C-364/13) klar, dass so genannte Parthenoten keine menschlichen Embryonen seien.

Die International Stem Cell Corporation hatte sich Verfahren zur Herstellung aus Parthenoten und gemäß diesen Verfahren hergestellte Stammzellen patentieren lassen wollen, zum anderen Verfahren zur Erzeugung von Hornhaut aus Stammzellen, die wiederum aus Parthenoten gewonnen wurden und gemäß diesen Verfahren hergestellte Hornhaut. Mit Rücksicht auf das Brüstle-Urteil des EuGH lehnte das britische Patentamt beide Patentanmeldungen ab. Hiergegen richtete sich die Klage von ISCO vor dem englischen High Court of Justice. Dieses Gericht legte dem EuGH die Sache mit der Auslegungsfrage vor, ob Parthenoten, weil und soweit sie gerade nicht fähig sind, sich zu einem Menschen zu entwickeln, „menschliche Embryonen“ seien.

Parthenoten sind unbefruchtete Eizellen, welche durch chemisch-elektrische Aktivierung in einen Prozess embryonalähnlicher Entwicklung eintreten. Der Begriff des Parthenots leitet sich vom griechischen „parthenos“ (Jungfrau) ab. Seine Verwendung verweist darauf, dass die aktivierte weibliche Eizelle, der Parthenot nicht durch männliche Samenzellen befruchtet wird. Sie beginnt sich also gleichsam jungfräulich zu teilen und weiter zu entwickeln.[1]

In der Natur wird die Parthenogenese bei einer Reihe von Organismen, nicht aber bei Säugetieren beobachtet. Seit 2003 konnte bei verschiedenen Tierarten festgestellt werden, dass den dabei entstehenden Embryo-ähnlichen Stadien Zellen entnommen werden können, die zu Zelllinien mit Eigenschaften von Stammzellen weiterkultiviert werden können.[2] Die Potenziale dieser Zelllinien können gegenwärtig noch nicht abgeschätzt werden, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob sich eine solche Zelle zu einem vollständigen Individuum entwickeln kann. Menschliche parthenogenetische Stammzellen wurden erstmals 2007 erzeugt.[3]

Bei seiner Entscheidung stellt der EuGH ausdrücklich auf die „inhärente Fähigkeit ab, sich zu einem Menschen zu entwickeln“. Diese Fähigkeit bejahte der EuGH noch in der Brüstle-Entscheidung. Nunmehr stellt er fest, dass Parthenoten gerade nicht geeignet seien, den Entwicklungsprozess in Gang zu setzen, der zur Entstehung eines Menschen führe. Damit zollt der Gerichtshof offensichtlich neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen Tribut. Im Ergebnis stellt sich daher die Frage, ab wann ein Organismus bereits ein „Mensch“ ist: Da Parthenoten sich noch in die Gebärmutter einnisten können, beginnt das „Menschsein“ nach Auffassung des EuGH wohl nicht schon mit der Nidation. Für die patentrechtliche Ausgangsfrage gilt damit derzeit, dass Erfindungen, deren Ausführung die Verwendung von Parthenoten voraussetzt, jedenfalls bis auf weiteres patentierbar sind.

Mit seiner aktuellen Rechtsprechung hat der EuGH eine vermittelnde Grundlage dergestalt geschaffen, dass den beiden widerstreitenden Aspekten, nämlich dem absoluten Schutz des menschlichen Lebens auf der einen und dem medizinischen Fortschritt auf der anderen Seite Rechnung getragen wird: Dadurch, dass Erfindungen, deren Ausführung die Verwendung von Parthenoten voraussetzt, bis auf Weiteres patentierbar sind, kann weiterhin – mit den nötigen finanziellen Mitteln – auf diesem Gebiet, wenn auch eingeschränkt, geforscht werden und die Therapierbarkeit von bislang unheilbaren Krankheiten immer weiter optimiert und auf diese Weise der Fortbestand auch bereits bestehenden Lebens geschützt werden.

Gleichzeitig berücksichtigt die Rechtsprechung, zumindest weitestgehend, auch ethische Einwände, insbesondere der katholischen Kirche. Zwar sind Theologen und Ethiker unterschiedlicher Religionen der Meinung, eine Patentierung gentechnologischer Erfindungen sei mit der Achtung von Gott unvereinbar. Denn nach ihrer Vorstellung nimmt sich der Mensch das Recht heraus, schöpferisch tätig zu werden. Zudem würden Lebewesen als bloße Ware behandelt und aus kommerziellen Gewinnstrebungen patentiert. In dem rein technischen Begriff des Patents eine Verneinung der göttlichen Autorität zu sehen, überbewertet indes das Patentrecht.

Erkenntnisleitend für die Ansicht der Katholischen Kirche ist der Gedanke, dass jedwedes menschliches Leben, auch das embryonale, unantastbar ist. Der Weg zur Heilung, mit dem Ziel, Krankheiten zu therapieren und Leiden zu lindern, dürfe nicht über die Selektion und die Vernichtung menschlichen Lebens führen.

Dieser Kritik hat der EuGH jedenfalls insoweit Rechnung getragen, als er lediglich Erfindungen, deren Ausführung die Verwendung von Parthenoten voraussetzt, für patentierbar erklärt hat, also nur die Verwendung solcher Zellen, die von vorneherein gar nicht die Fähigkeit besitzen, sich zu einem menschlichen Wesen zu entwickeln.

Ob allein infolge ökonomischer Verwertungsinteressen eine Würdeverletzung des menschlichen Lebens angenommen werden kann, wird in der Zukunft weiter zu heißen Debatten zwischen Wissenschaftlern, Politikern, Juristen und Theologen führen. Gesetzgebern gelingt es nicht, mit der rasanten Entwicklung in der Medizin Schritt zu halten. Gerade die Erfolge in der Stammzellenforschung sind in der jüngeren Vergangenheit enorm.

[1] Dederer, H.-G., „Zellhaufen, Embryo, Mensch? Die jüngste Entscheidung des EuGH zu Stammzell-Patenten“ in www.verfassungsblog.de/zellhaufen-embryo-mensch-die-juengste-Entscheidung-des-EuGH-zu-Stammzell-Patenten/ (abgerufen am 08.10.2015).

[2] Kim, K. et al.: „Histocompatible Embryonic Stem Cells by Parthenogenesis“, Science 315 (5811): 482-486, 2007.

[3] Qingyun, M. et al.: „Derivation of human embryonic stem cell lines from parthenogenetic blastocysts“, Cell Research 17: 1008-1019, 2007.


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