Zusammenfassung des Urteils (9 AZR 227/23) vom 9. Juli 2024 durch das Bundesarbeitsgericht

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Das Bundesarbeitsgericht (BAG) befasste sich in diesem Fall mit der Frage, ob eine Arbeitnehmerin (Beklagte) die von ihrer Arbeitgeberin (Klägerin) übernommenen Studienkosten zurückzahlen muss, weil die Beklagte das Arbeitsverhältnis vorzeitig beendete und somit die vertraglichen Bedingungen zur Bindung an die Arbeitgeberin nicht erfüllte. Diese Kosten wurden im Rahmen eines dualen Studiums von der Klägerin finanziert. Nach Abschluss des Studiums beendete die Beklagte den Vertrag, woraufhin die Klägerin die Rückzahlung der Studienkosten forderte.

Hintergrund des Falls

Die Beklagte und die Klägerin schlossen einen "Ausbildungs- und Studienvertrag", in dem vereinbart wurde, dass die Klägerin die Studienkosten übernimmt. Im Gegenzug verpflichtete sich die Beklagte, nach dem Studium für mindestens fünf Jahre bei der Klägerin zu arbeiten. Sollte sie diese Verpflichtung nicht erfüllen, drohten ihr erhebliche finanzielle Konsequenzen, da sie die von der Klägerin übernommenen Studienkosten vollständig zurückzahlen müsste. Sollte sie vorzeitig aufgrund einer Eigenkündigung ohne wichtigen Grund ausscheiden oder eine Festanstellung ablehnen, müsste sie die entstandenen Studienkosten erstatten.

Die Beklagte kündigte jedoch den Vertrag, woraufhin die Klägerin die Rückzahlung forderte. In den unteren Instanzen (Arbeitsgericht Koblenz und Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz) wurde die Klage abgewiesen, da die Rückzahlungsklausel als unangemessen benachteiligend eingestuft wurde. Die Klägerin legte daraufhin Revision beim BAG ein.

Entscheidungsgründe

Das BAG wies die Revision der Klägerin zurück und bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen.

1. Unzulässige Klageänderung

Das BAG stellte fest, dass die Klägerin in der Revisionsinstanz eine neue Anspruchsgrundlage einbrachte, die sich auf tarifvertragliche Regelungen stützte. Diese Klageerweiterung war jedoch unzulässig, da in der Revisionsinstanz gemäß § 559 Abs. 1 ZPO keine neuen prozessualen Ansprüche eingebracht werden dürfen, wenn diese nicht bereits in den vorherigen Instanzen behandelt wurden.

2. Unangemessene Benachteiligung durch AGB-Klausel (§ 307 Abs. 1 BGB)

Das Gericht prüfte die Rückzahlungsklausel gemäß § 307 BGB, da es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) handelte. Die Klausel wurde als unangemessen benachteiligend eingestuft, weil sie die Beklagte auch dann zur Rückzahlung verpflichtete, wenn die Kündigung zwar ohne wichtigen Grund im Sinne von § 626 BGB erfolgte, aber dennoch durch Umstände im Verantwortungsbereich der Klägerin verursacht wurde, wie beispielsweise fehlende Unterstützung während des Studiums, unangemessene Arbeitsbedingungen oder die Verletzung von Fürsorgepflichten seitens der Klägerin. Die Klausel sah keine ausreichenden Ausnahmen für solche Fälle vor.

3. Härtefallregelung als unzureichender Ausgleich

Zwar enthielt der Vertrag eine Härtefallklausel, die einen Verzicht auf die Rückzahlung ermöglichte, wenn dies eine besondere Härte für die Beklagte darstellen würde. Das Gericht befand jedoch, dass diese Regelung die Unzulänglichkeiten der Rückzahlungsklausel nicht beheben konnte. Die Härtefallklausel gab der Klägerin zudem ein Ermessen, auf die Rückzahlung zu verzichten, was keine verbindliche Regelung darstellte und somit keinen fairen Ausgleich bot.

4. Einschränkung der Berufswahlfreiheit (Art. 12 GG)

Das BAG stellte weiter fest, dass die Kombination aus Rückzahlungsverpflichtung und der fünfjährigen Bindungsfrist für ein Beschäftigungsverhältnis einen erheblichen Druck auf die Beklagte ausübte, der ihre berufliche Freiheit unangemessen einschränkte. Diese Einschränkung verletzte die Berufsfreiheit, die durch das Grundgesetz geschützt ist.

Fazit des Gerichts

Da die Rückzahlungsklausel gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstieß und die Beklagte unangemessen benachteiligte, wurde sie für unwirksam erklärt. Die Klägerin konnte daher keine Erstattung der Studienkosten verlangen. Auch eine ergänzende Vertragsauslegung kam nicht in Frage, da die Rückzahlungsverpflichtung aufgrund ihrer Gestaltung nicht aufrechterhalten werden konnte.

Das Urteil des BAG bestätigt, dass Rückzahlungsklauseln in Ausbildungsverträgen, die einseitig zu Lasten des Vertragspartners ausgestaltet sind und keine angemessene Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Arbeitnehmers, wie etwa die Berücksichtigung persönlicher Umstände oder die Möglichkeit zur beruflichen Weiterentwicklung, enthalten, unwirksam sein können. Dies gilt insbesondere für Vertragsgestaltungen, die eine langfristige Bindung und finanzielle Belastung für Arbeitnehmer vorsehen, ohne ausreichend Flexibilität für unvorhersehbare Umstände zu bieten.

Schlüsselthemen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer:

  • AGB-Kontrolle in Arbeitsverträgen: Rückzahlungsvereinbarungen in Aus- und Weiterbildungsverträgen unterliegen der AGB-Kontrolle und müssen die Interessen beider Parteien fair abwägen.

  • Vermeidung von unverhältnismäßigem Druck: Klauseln, die die berufliche Freiheit durch hohe finanzielle Belastungen bei Eigenkündigung einschränken, müssen gut begründet und ausgewogen sein.

  • Härtefallklauseln: Härtefallregelungen sind nur dann wirksam, wenn sie nicht allein im Ermessen des Arbeitgebers stehen und für den Arbeitnehmer eine echte Ausnahme darstellen.

  • Berufsfreiheit und Vertragsbindung: Längere Bindungsfristen müssen verhältnismäßig sein und dürfen die Berufsfreiheit nicht unangemessen einschränken.

Dieses Urteil hat Bedeutung für die Gestaltung von Ausbildungsverträgen, insbesondere in Branchen, in denen Weiterbildungen häufig durch den Arbeitgeber finanziert werden. Arbeitgeber müssen bei der Formulierung solcher Klauseln sicherstellen, dass Rückzahlungspflichten den rechtlichen Rahmenbedingungen entsprechen und einer gerichtlichen Prüfung standhalten können.



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