Zweifel an der Krankschreibung? (Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung)

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Bisher konnte der Arbeitnehmer davon ausgehen, dass im Regelfall, wenn er eine Krankschreibung vorlegt, der Arbeitgeber diese hinnimmt.

Das Bundesarbeitsgericht hat jedoch jüngst entschieden, dass wenn ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis kündigt und am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben wird, dies den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern kann. Insbesondere dann, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst.

In der erwähnten Entscheidung verweigerte der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung. Der Beweis der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei erschüttert, weil diese genau die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses nach der Eigenkündigung abdecke. Die Arbeitnehmerin hat hingegen vorgetragen, sie sei ordnungsgemäß krankgeschrieben gewesen und habe kurz vor einem Burnout gestanden.

In den Vorinstanzen wurde der Arbeitgeber verurteilt, die Entgeltfortzahlung zu leisten. Das BAG hat jedoch anders entschieden.

Die Arbeitnehmerin hatte zwar die von ihr behauptete Arbeitsunfähigkeit im Streitzeitraum zunächst mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen. Diese ist auch das gesetzlich vorgesehene Beweismittel. Dessen Beweiskraft kann der Arbeitgeber jedoch erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und diese gegebenenfalls beweist, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit geben.

Wenn dies dem Arbeitgeber gelingt, so muss der Arbeitnehmer  durch Tatsachen darlegen und beweisen, dass er arbeitsunfähig war. Insbesondere steht dem Arbeitnehmer dabei die Vernehmung des behandelnden Arztes nach entsprechender Befreiung von der Schweigepflicht zur Verfügung.

Das gemeinsame Vorliegen der Kündigung und der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit, ausgestellt ab dem Tag der Kündigung bis zum letzten Tag der Kündigungsfrist begründet einen ernsthaften Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit. In diesem Fall muss der Arbeitnehmer zum Bestehen seiner Arbeitsunfähigkeit hinreichend konkret vortragen. In der erwähnten Entscheidung ist es der Arbeitnehmerin nicht gelungen.

Diese Entscheidung sollte als Ermutigung verstanden werden, dass der Arbeitgeber künftig nicht jede Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als „höhere Gewalt“ hinzunehmen braucht.  Als Arbeitnehmer sollte man sich jedoch bewusst sein, dass Krankschreibungen von den Arbeitsgerichten in Zukunft kritischer geprüft werden.

(Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. September 2021 – 5 AZR 149/21 –)


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