Zwischen Treuepflicht und AfD-Parteimitgliedschaft: Was Soldaten jetzt wissen müssen
- 6 Minuten Lesezeit
Ein Leitfaden zur politischen Treuepflicht, Parteimitgliedschaft und disziplinarrechtlichen Risiken im Lichte der AfD-Einstufung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz
Einleitung
Soldaten der Bundeswehr unterliegen nicht nur allgemeinen Gesetzen, sondern auch einem besonderen Treueverhältnis gegenüber dem Staat. Die Verpflichtung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) ist für sie kein politisches Lippenbekenntnis, sondern eine verbindliche Grundvoraussetzung ihres Dienstverhältnisses und Dienstpflicht. Seit der Einstufung der gesamten Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im Mai 2025 als "gesichert rechtsextremistische Bestrebung" wird die Mitgliedschaft von Soldaten in dieser Partei disziplinarrechtlich wohl kritisch beurteilt werden müssen.
1. Die politische Treuepflicht nach § 8 Soldatengesetz (SG)
Gemäß § 8 SG gilt:
"Der Soldat muss die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes anerkennen und durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung eintreten."
Diese doppelte Pflicht (Anerkennung + aktives Eintreten) stellt die zentrale staatsrechtliche Loyalitätsverpflichtung jedes Soldaten dar. Sie ist nicht bloß theoretischer Natur, sondern wirkt unmittelbar auf das dienstliche wie private Verhalten:
- Anerkennung bedeutet ein aktives Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wie sie im Grundgesetz verankert ist (Art. 1, 20 GG).
- Eintreten umfasst das Verhalten im Dienst, in sozialen Medien, bei Demonstrationen oder Parteiveranstaltungen.
- Die Pflicht besteht auch außerhalb des Dienstes, soweit ein Bezug zur Bundeswehr oder zur Repräsentation staatlicher Werte erkennbar ist.
Die Rechtsprechung betont: Zweifel an der Verfassungstreue können bereits dann entstehen, wenn sich ein Soldat öffentlich mit verfassungsfeindlichen Positionen oder Organisationen identifiziert. Bereits das Hervorrufen von Zweifeln an dieser Dienstpflicht kann ein Dienstvergehen darstellen.
2. Politische Betätigung nach § 15 SG: Erlaubnisse und Grenzen
Die Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) gilt auch für Soldaten. Doch sie ist durch dienstrechtliche Sonderpflichten begrenzt:
- Im Dienst ist jede politische Betätigung zugunsten oder zuungunsten einer Richtung untersagt.
- In dienstlichen Unterkünften gilt die Pflicht zur Kameradschaftspflege. Politische Agitation, Ansprachen oder das Verteilen von Schriften sind untersagt.
- Uniformverbot: Bei politischen Veranstaltungen darf keine Uniform getragen werden, um die Bundeswehr aus parteipolitischen Auseinandersetzungen herauszuhalten.
- Neutralitätspflicht von Vorgesetzten: Diese dürfen ihre dienstliche Autorität nicht zur politischen Einflussnahme nutzen.
Zulässig bleibt:
- das private Gespräch unter Kameraden, sofern keine parteipolitische Werbung erfolgt,
- außerdienstliches Engagement, solange es keine Zweifel an der Verfassungstreue begründet.
3. Beobachtung der AfD durch das BfV: Hintergrund und Folgen
Bereits mit Urteil des OVG Münster vom 13. Mai 2024 (Az. 5 A 1216/22) wurde die Einstufung der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall für zulässig erklärt. Im Mai 2025 erfolgte die Einstufung der Gesamtpartei als "gesichert rechtsextremistische Bestrebung" durch das BfV.
Diese Bewertung beruht u. a. auf:
- völkisch-abstammungsmäßigen Volksbegriffen,
- Abwertungen von Migranten, ethnischen Minderheiten und politischen Gegnern,
- der systematischen Relativierung parlamentarischer Institutionen.
Die Entscheidung hat keine strafrechtlichen Folgen, aber:
- Sie liefert eine tatsachengestützte Grundlage für disziplinarrechtliche Einschätzungen.
- Sie verlagert die Beweislast faktisch auf den Soldaten, der sich erklären muss. Dies stellt besondere Herausforderungen an die Soldaten und die Verteidigung im Falle von Disziplinarverfahren dar.
- Auch eine "stille" Mitgliedschaft kann ausreichen, um Zweifel an der Treuepflicht auszulösen.
4. Relevante Gerichtsentscheidungen und ihre Bedeutung für Soldaten
- BVerwG, Urt. v. 19.04.2024 – 2 WD 9.23: Ein Oberleutnant d.R. wurde das Ruhegehalt aberkannt, weil er für die Identitäre Bewegung aktiv war. Das Halten von Bannern und die Mitwirkung an Propagandavideos wurden als schwerwiegender Verstoß gegen die Treuepflicht gewertet.
- Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 13. März 2025 (Az. 38 K 2590/22): Gehaltskürzung eines Polizeianwärters wegen Aussagen zu Björn Höcke und der AfD bzw. des Flügels. Ein Verstoß gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten außerhalb des Dienstes liegt mithin vor, wenn der Beamte den Eindruck erweckt, sich mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entgegenstehendem Gedankengut zu identifizieren. Einen solchen Rechtsschein hat der Kläger mit der oben dargestellten Sympathiekundgabe und Werbung für die von Teilen der AfD vertretenen rechtsextremistischen Positionen gesetzt und durch die Nutzung des Kommunikationsmediums Facebook zu einer weiteren Verbreitung dieses Gedankenguts beigetragen.
5. Disziplinarmaßnahmen: Was droht Soldaten?
Maßnahme | Rechtsgrundlage / Voraussetzung |
Einleitung Disziplinarverfahren | Bereits bei Anschein eines Treuepflichtverstoßes |
Beförderungssperre / Versetzung | Bei Störung des Vertrauensverhältnisses |
Dienstentfernung | Bei schwerer, andauernder Verfehlung |
Verlust Ruhegehalt (BS) | Bei Entfernung wegen schuldhaften Verhaltens |
Ausschluss sicherheitsrelevanter Tätigkeit | Bei Meldung an MAD, Sicherheitsbedenken |
6. Mögliche Handlungsempfehlungen für Soldaten
- Frühzeitiger Parteiaustritt: Ein dokumentierter Austritt kann ein wichtiges Signal sein. Dabei ist auf die zeitliche Nähe zur dienstlichen Reaktion zu achten. Auch wenn der designierte Innenminister Alexander Dobrindt betont, dass ein Engagement für die AfD keine pauschalen Konsequenzen für Beamte habe, müssen Soldaten die gegenüber den Beamten gesteigerten Pflicht aus § 8 SG beachten. Hiernach kann der Anschein der „politischen Untreue“ bereits ein Dienstvergehen sein, weil der Soldat durch sein gesamtes Verhalten für die Erhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintreten muss.
- Schriftliche Distanzierung: Wer nicht austreten möchte, sollte glaubhaft machen, sich nicht mit verfassungsfeindlichen Positionen der Partei zu identifizieren und sich ggf. auch schon in der Vergangenheit davon distanziert hat.
- Ruhendstellung der Mitgliedschaft: Satzungsgemäße Optionen zur Inaktivität nutzen, wenn vorhanden.
- Juristische Beratung: Wir prüfen, ob tatsächlich ein disziplinarrechtlich relevantes Verhalten vorliegt und eine Kommunikationsstrategie gegenüber dem Dienstherrn entwickeln.
7. Fazit: Rechtzeitig handeln, bevor andere entscheiden
In der aktuellen Bewertungslage durch den Verfassungsschutz hat sich die Ausgangslage für Soldaten erheblich verändert. Wer weiterhin Mitglied in einer als rechtsextremistisch eingestuften Partei ist, gerät automatisch in das Blickfeld der Disziplinaufsicht. Selbst ohne aktives Auftreten genügt der Vorgesetzten und dem BAMAD oft die Mitgliedschaft, um Verfahren zu begründen.
Daher sollten Sie insbesondere vor Gesprächen mit dem BAMAD oder dem Disziplinarvorgesetzten rechtliche Beratung einholen. Aus etlichen Fällen wissen wir, dass die Ermittlungen des BAMAD und insbesondere deren sogenannten „Gespräche“ nicht dokumentiert werden, gleichwohl deren Aufzeichnungen im Nachhinein zur Rechtfertigung von Maßnahmen herangezogen werden. Damit Sie nicht rechtlos gestellt werden, raten wir zur Vorsicht und vorhergehenden Beratung.
Nicht die politische Gesinnung ist ausschlaggebend, sondern die erkennbar fehlende Abgrenzung. Wer rechtzeitig reagiert, behält Handlungsspielraum. Wer wartet, riskiert möglicherweise berufliche und persönliche Konsequenzen.
Juristische Beratung ist in dieser Lage keine taktische Option, sondern eine notwendige Maßnahme zur Wahrung der Karriere, Versorgung und Reputation. Die dafür anfallenden Beratungskosten sind im Vergleich zu den drohenden Folgen zu vernachlässigen.
Nachtrag:
Ergänzende Zusammenfassung zur Stillhaltezusage des BfV – Relevanz für Handlungsempfehlungen an Soldaten:
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat im laufenden verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren gegen die AfD eine sogenannte Stillhaltezusage abgegeben. Diese bedeutet, dass das BfV bis zu einer gerichtlichen Entscheidung öffentlich darauf verzichtet, die AfD als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ zu bezeichnen oder so zu führen. Die fachliche Bewertung bleibt intern bestehen, die öffentliche Kommunikation wird jedoch vorläufig eingestellt. Ziel ist es, der AfD effektiven Rechtsschutz zu gewähren, da eine öffentliche Einstufung weitreichende Konsequenzen haben kann. Die Dauer dieser Zusage ist unbestimmt und hängt vom Fortgang des Gerichtsverfahrens ab.
Auswirkungen auf Handlungsempfehlungen für Soldaten:
Die Stillhaltezusage ist eine rein verfahrensrechtliche Maßnahme und hat keine Auswirkung auf die inhaltliche Bewertung der AfD durch das BfV. Für Soldaten, die unter den besonderen Treuepflichten des § 8 Soldatengesetz (SG) stehen, bedeutet dies: Die Risiken eines parteipolitischen Engagements in der AfD bleiben unverändert hoch. Die politische Zurückhaltungspflicht gilt weiter, da die AfD trotz der ausgesetzten öffentlichen Einstufung weiterhin beobachtet wird und intern als gesichert rechtsextremistisch gilt.
Fazit:
Die Stillhaltezusage des BfV ändert nichts an der dienstrechtlichen Lage für Soldaten. Sie stellt keinen inhaltlichen Rückzug des BfV dar, sondern dient dem vorläufigen Rechtsschutz im laufenden Verfahren. Die Handlungsempfehlungen behalten somit ihre volle Gültigkeit.
----- ----- -----
Rechtsanwalt Michael Giesen hat über 12 Jahre Aktivdienst bei der Bundeswehr geleistet und durch RDL Kontakt zur Truppe gehalten. Er ist seit über 30 Jahren mit dem Wehrrecht beschäftigt und verfolgt in Beratungen ausschließlich Ihre Interessen.
Für eine erste Einschätzung, die in vielen Fällen schon ein "Verfahren" vermeiden kann, stehe er Ihnen kurzfristig auch telefonisch zur Verfügung.
Artikel teilen: