Abgasskandal: BGH stärkt die Rechte von Neuwagenkäufern

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Neuwagenkäufer die Opfer vom Abgasskandal geworden sind, können trotz Einrede der Verjährung Restschadenersatz gemäß § 852 S. 1 BGB erhalten. Dies hat der BGH in seiner Entscheidung vom 08.02.2022 (Aktenzeichen: VIa ZR 8/21) entschieden und somit die Rechte von Neuwagenkäufer im Abgasskandal gestärkt.

Was war geschehen?


Im April 2013 erwarb der Kläger von der Beklagten ein neuen VW Golf Cabrio Life TDI zu einem Preis von 30.213,79 Euro. Nachdem der Kläger durch die Beklagte im August 2016 davon informiert wurde, dass auch in seinem Wagen eine unzulässige Abschalteinrichtung zur Reduzierung von Stickoxiden verbaut worden ist (Abgasskandal), forderte der Kläger am 24.04.2020 die Beklagte dazu auf, den Kaufpreis für den Neuwagen zu erstatten.

Nachdem die Beklagte dies verweigerte, erhob der Kläger erfolgreich Klage beim Landgericht Trier auf Rückerstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe und Rückübereignung des betroffenen Fahrzeugs - abzüglich gezogener Nutzungen für den Wagen.

Hiergegen erhob die Beklagte Berufung vor dem Oberlandesgericht Koblenz unter erstmaliger Erhebung der Einrede der Verjährung. Das Oberlandesgericht verwarf anschließend die Entscheidung des Landgerichts Trier. Die Berufungsinstanz war hierbei der Auffassung, dass der vom Kläger geltend gemachte Schadenersatzanspruch gemäß § 826, 31 BGB analog, durch die Einrede der Verjährung gemäß §§ 194 Abs. 1, 195, 199 Abs. 1 Nr. 2, 214 Abs. 1 BGB dauerhaft nicht durchsetzbar sei. Die dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) sei zu Klagebeginn bereits abgelaufen gewesen und der Kläger hätte trotz intensiver Medienberichterstattung es grob fahrlässig (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB) unterlassen, seine Ansprüche rechtzeitig geltend zu machen. Darüber hinaus sei der Anwendungsbereich des § 852 S. 1 BGB nicht eröffnet, der die Verfolgung des Schadenersatzanspruches jenseits der Verjährung erlaubt und den Schadenersatzanspruch im Umfang auf eine ungerechtfertigte Bereicherung beschränkt. 

Zu letzt wies das OLG Koblenz darauf hin, dass der Schutzbereich des § 852 S. 1 BGB nur dann greifen würde, wenn der Kläger aufgrund einer unklaren Rechtslage, also aufgrund des bestehenden Prozessrisikos oder aufgrund der Ungewissheit über die Solvenz des Ersatzpflichtigen (hier Beklagten) den Anspruch nicht rechtzeitig erhoben hätte. Hierzu argumentierte das OLG, dass die Beklagte gerade nicht vermögenslos sei und dem Kläger die Möglichkeit offenstand, an einer Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte teilzunehmen. Zuletzt führte das OLG auch aus, dass aufgrund der Tatsache, dass der Kläger für den Kaufpreis ein funktionsfähiges Fahrzeug und ein nachträgliches Software-Update zur Behebung der Abschaltvorrichtung erhielt, ein wirtschaftlicher Schaden nicht vorläge. Im Anschluss an die Entscheidung erhob der Kläger Revision vor dem Bundesgerichtshof. 

Entscheidung des BGH


Die Entscheidung des Oberlandesgerichtes hielt der rechtlichen Überprüfung durch den BGH nicht stand. Der BGH bejahte einen Anspruch auf Restschadenersatz des Klägers nach Maßgabe der §§ 826, 852 S. 1 BGB. 

Hierzu führte der BGH aus, dass weder dem Wortlaut des § 852 S. 1 BGB, noch dem Sinn und Zweck der Vorschrift oder gar dessen Entstehungsgeschichte, eine Begrenzung des Schutzbereiches zu entnehmen ist. Sinn und Zweck der Vorschrift bestünde gerade darin, dass jemand der durch eine unerlaubte Handlung gegen einen anderen einen Vermögensvorteil erlangt hat, diesen Vorteil nicht aufgrund kurzer Verjährungsfristen behalten soll. Weiterhin habe der Gesetzgeber zwar in der Schuldrechtsmodernisierung aufgrund der Einführung der dreijährigen Verjährungsfrist (§ 195 BGB) die Abschaffung des § 852 BGB diskutiert, jedoch blieb die Vorschrift trotz einer Neufassung inhaltlich unverändert bestehen. Darüber hinaus gab der BGH auch zu erkennen, dass die Einführung der Musterfeststellungsklage die Rechtsposition der Verbraucher stärken und gerade nicht die individuelle Durchsetzung von Ansprüchen wie beispielsweise nach   § 852 S. 1 BGB beschränken soll.

Hinsichtlich des wirtschaftlichen Schadens hätte das OLG auch verkannt, dass im Falle einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung wie hier, selbst bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung, zumindest ein subjektbezogener Vermögensschaden vorliegt. Der Beklagte hat durch sein sittenwidriges Verhalten das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht des Klägers verletzt, da der Kläger bei Kenntnis der wahren Sachlage, den Kauf des Wagens nicht abgeschlossen hätte, da seine konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen berücksichtigt worden wären. Der eingetretene Schaden setzte sich im Verlust des Kaufpreises fort, der in Erfüllung der ungewollten Kaufvertragsverpflichtung gezahlt wurde. Dieser Schaden entfällt auch nicht beim Eintreten späterer Umstände, wie etwa einem nachträglich durchgeführten Programmupdate. Weiterhin sind erbrachte Leistungen der Beklagten wie etwa die Entfernung der alten Steuerungssoftware nach Maßgabe der §§ 818 Abs. 3 BGB nicht zur Minderung des Erstattungsanspruches des Klägers heranzuziehen, da der Beklagte von den Problemen der Fahrzeuge gemäß § 814 Abs. 4, 819 Abs. 1 BGB von Anfang an Kenntnis hatte. Abschließend betonte der BGH, dass die Ermittlung der konkreten Höhe des Restschadenersatzanspruches stets nach den Umständen des Einzelfalls zu erfolgen habe.

Fazit für die Praxis


Die vorliegende Entscheidung steht imKontrast zur kürzlich getroffenen Entscheidung des BGH im Falle des Kaufs von Gebrauchtwagen (Urt. v. 10.02.2022, Az. VII ZR 365/21 u.a.) und sollte Betroffene der Abgasaffäre aufhorchen lassen. Nichtsdestotrotz gilt es zu beachten, dass die Erwartungen der Betroffenen gedämpft werden müssen, da der BGH die konkrete Höhe des Schadenersatzes von den Umständen des Einzelfalles abhängig macht und etwaige Nutzungsziehungen wie z.B. gefahrene Kilometer berücksichtigt werden müssen.



LINDEMANN Rechtanwälte

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