​Überstunden: Welche Nachweise müssen Arbeitnehmer in einem Überstundenvergütungsprozess erbringen?

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Überstunden gehören für viele Arbeitnehmer zum beruflichen Alltag dazu. Einige Arbeitnehmer ärgern sich über die Ableistung von Überstunden und die damit verbundene Reduzierung ihrer Freizeit. Andere Arbeitnehmer freuen sich über Überstunden und versuchen so viele Stunden wie nur möglich anzuhäufen, um ihren Lohn durch die Überstundenvergütung aufzustocken. Doch was ist, wenn der Arbeitgeber sich bei der Bezahlung der Überstunden querstellt und ein gerichtliches Verfahren angestrengt werden muss? Welche Nachweise muss der Arbeitnehmer vor Gericht erbringen? - Mit dieser Frage hat sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seiner jüngsten Entscheidung vom 04.05.2022 befasst.

Vorliegen von Überstunden


Ein Arbeitnehmer leistet Überstunden, wenn er über die Normalarbeitszeit hinaus Arbeit verrichtet und diese Arbeit vom Arbeitgeber angeordnet oder gebilligt wird. Sofern ein Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber die Bezahlung der geleisteten Überstunden verlangen oder gar einklagen möchte, trägt er die sogenannte „Darlegungs- und Beweislast“ für die Ableistung von Überstunden und dessen Anordnung oder Billigung durch den Arbeitgeber. Das bedeutet, dass der Arbeitnehmer dem Gericht die Ableistung der Überstunden schlüssig vortragen und im Falle des Bestreitens durch den Arbeitgeber beweisen muss.

Das BAG hat in seiner vorgenannten Entscheidung ausgeführt, dass der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast genügt, wenn er schriftlich vorträgt, an welchen Tagen er von wann bis wann gearbeitet hat. Damit hat es seine frühere Rechtsprechung aus dem Jahr 2013 bestätigt.  Der Arbeitnehmer kann seiner Darlegungslast beispielsweise durch die Vorlage einer schriftlichen Auflistung seiner Arbeitszeit nachkommen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Auflistung den genauen Tag und die genaue Arbeitszeit, also den Beginn und das Ende der Arbeitszeit, enthalten sollte. Insbesondere hat das BAG entschieden, dass der Arbeitnehmer sich im Zuge der Darlegung der Überstunden auch auf die abgezeichneten elektronischen Arbeitszeitnachweise des Arbeitgebers berufen kann.  

Möchte sich der Arbeitgeber gegen die Behauptung von Überstunden wehren, so muss er die Ableistung von Überstunden substantiiert bestreiten. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber seinerseits die Arbeitszeiten des Arbeitnehmers in dem konkreten Zeitraum auflisten und vortragen muss. Bestreitet der Arbeitgeber die Überstunden nicht oder nicht substantiiert, gelten die behaupteten Überstunden als zugestanden, § 138 Abs. 3 ZPO.

Zurechnung zum Arbeitgeber


Neben der Darlegung von geleisteten Überstunden, muss der Arbeitnehmer auch die Anordnung oder Billigung derselben durch den Arbeitgeber darlegen und beweisen. Die Überstunden müssen dem Arbeitgeber also zuzurechnen sein, damit der Arbeitnehmer dessen Bezahlung fordern kann. Das ist der Fall, wenn der Arbeitgeber sie anordnet, billigt oder duldet oder sie zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig sind. Die Zurechenbarkeit der Überstunden soll vermeiden, dass Arbeitnehmer ihren Arbeitgebern Überstunden „aufdrängen“ und somit die Höhe ihres Lohnanspruches bestimmen können. Eine solche Handhabung würde den Grundsätzen des Arbeitsvertrages aus §§ 611a, 612 BGB widersprechen. Grundlage der Vergütung und der geschuldeten Arbeit ist der zwischen den Parteien geschlossene Arbeitsvertrag. Sämtliche überobligatorische Handlungen, die der Arbeitnehmer ohne jedweden Zusammenhang zum Arbeitsvertrag tätigt, begründen keinen Vergütungsanspruch.

Der Arbeitnehmer kommt seiner Darlegungs- und Beweislast nach, wenn er die ausdrückliche oder konkludente Anweisung der Überstunden durch den Arbeitgeber vorträgt. Von einer konkludenten Anweisung zur Ableistung von Überstunden wird ausgegangen, wenn der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer eine Aufgabe überträgt, die nicht im Rahmen der allgemeinen Arbeitszeit erledigt und nur durch die Ableistung von Überstunden bewältigt werden kann. Diese Umstände muss der Arbeitnehmer dem Gericht vortragen.

Der Arbeitnehmer kommt seiner Darlegungs- und Beweislast auch dann nach, wenn er die Billigung der Überstunden durch den Arbeitgeber nachweist. Eine Billigung liegt vor, wenn der Arbeitgeber zu erkennen gibt, dass er mit der Ableistung der Überstunden einverstanden ist. Das ist beispielsweise der Fall, wenn der Arbeitgeber die aufgezeichneten Überstunden abzeichnet. Der Arbeitnehmer muss sich auf die Billigung des Arbeitgebers berufen, wenn es sowohl an einer ausdrücklichen als auch an einer konkludenten Anordnung der Überstunden fehlt oder diese nicht nachgewiesen werden kann.

Eine Duldung der Überstunden liegt vor, wenn der Arbeitgeber Kenntnis von der Ableistung von Überstunden durch seine Arbeitnehmer hat und keinerlei Maßnahmen zur Verhinderung von weiteren Überstunden trifft. In diesem Fall muss der Arbeitnehmer nachweisen, dass der Arbeitgeber Kenntnis von den Überstunden gehabt, keine Verhinderungsmaßnahmen getroffen und weitere Überstunden hingenommen hat.

Ob Überstunden zur Erledigung der übertragenen Aufgaben erforderlich gewesen sind, muss unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles dargelegt werden. Pauschale Hinweise reichen für die Erfüllung der Darlegungs- und Beweislast in der Regel nicht aus. Vielmehr bedarf es einer einzelfallbezogenen und ausführlichen Begründung, weshalb die Überstunden für die Erledigung der konkreten Aufgabe erforderlich gewesen sind. So ließ das BAG in seiner Entscheidung vom 04.05.2022 den Vortrag des Arbeitnehmers, dass „sämtliche Überstunden für die Erledigung der Auslieferungsaufträge erforderlich gewesen sein“, für die Erfüllung der Darlegungs- und Beweislast nicht ausreichen.


Fazit


Einen pauschalen Anspruch auf Bezahlung von Überstunden gibt es nicht. Um einen Überstundenvergütungsprozess zu gewinnen, muss der Arbeitnehmer das Vorliegen von Überstunden und dessen Zurechnung zum Arbeitgeber nachweisen. Für die Praxis bedeutet dies, dass Arbeitnehmer die Ableistung von Überstunden dokumentieren und möglichst durch ihren Arbeitgeber oder einen berechtigten Vorgesetzten abzeichnen lassen sollten, um sich eine spätere gerichtliche Geltendmachung zu vereinfachen.


Foto(s): LINDEMANN Rechtsanwälte

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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