Abrechnungsbetrug durch Pflegedienst
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In einem bemerkenswerten Urteil bezieht der BGH (BGH, Beschluss vom 16.6.2014 − 4 StR 21/14) Stellung zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen bei der Abrechnung von Pflegedienstleistungen gegenüber einer Krankenkasse strafbarer Betrug vorliegen kann (§ 263 StGB). Im Ergebnis genügt bereits die bloße Vorspiegelung einer höheren Qualifikation des Personals, zumindest wenn Vertragspartner eine Krankenkasse ist.
Zum Sachverhalt des Falles
Die Angeklagte, eine ausgebildete Krankenschwester, betrieb seit 2003 verschiedene Pflegedienste.
Herr O. befand sich seit dem Frühjahr 2007 infolge einer schweren Erkrankung im Wachkoma; es entwickelte sich ein apallisches Syndrom. Ab September 2007 wurde er zu Hause gepflegt. Als sich der Gesundheitszustand des Herrn O. verschlechterte, entschloss sich dessen Ehefrau, den Pflegedienst der Angeklagten zu beauftragen.
Die zuständige Kranken- und Pflegekasse genehmigte eine 24-stündige häusliche Krankenpflege.
Der Pflegedienst der Angeklagten schloss mit der zuständigen Kranken- und Pflegekasse eine Ergänzungsvereinbarung, in welcher festgelegt wurde, dass der Pflegedienst sicherstellt, dass er die Vertragsleistungen nur von dazu fachlich qualifizierten und berufsrechtlich legitimierten Pflegekräften durchführen lässt. Dazu gehörte, dass er genügend fachlich weitergebildete Fachgesundheits- und Krankenpfleger/-innen für Intensivpflege und Anästhesie bzw. genügend Krankenpfleger/-innen und Kinderkrankenpfleger/-innen für pädiatrische Intensivpflege beschäftigt.
In der Folgezeit setzte die Angeklagte zu keinem Zeitpunkt Personal ein, das über die in der Zusatzvereinbarung beschriebene Qualifikation verfügte, sondern vielmehr examinierte Krankenschwestern, Altenpfleger/-innen, Altenpflegehelfer/-innen und Auszubildende zur Krankenschwester. Auch wurde das Personal nicht durch entsprechend qualifizierte Fachkräfte, die im Pflegedienst der Angeklagten auch nur kurzzeitig beschäftigt waren, eingearbeitet oder überwacht. Die Angeklagt selbst wies die eingesetzten Kräfte in die routinemäßig anfallenden Arbeiten ein und hielt sie an, sich im Übrigen an die anwesenden polnischen Frauen zu halten oder den Notarzt zu rufen. Die Pflege des Herrn O. erfolgte auch nicht über 24 Stunden bzw. 14 Stunden täglich.
Die Angeklagte reichte unter dem Namen verschiedener von ihr betriebener Pflegedienste insgesamt 123 Rechnungen samt Leistungsnachweisen bei der Krankenkasse ein. Die Rechnungen über Krankenversicherungsleistungen waren hinsichtlich der geleisteten Arbeitsstunden überhöht. Die Unterschriften unter den beigefügten Leistungsnachweisen waren in 91 Fällen gefälscht.
Die zuständigen Mitarbeiter der Krankenkasse gingen bei der Prüfung der Rechnungen davon aus, dass die Leistungen entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen und in dem abgerechneten Umfang erbracht worden waren. Hätten sie von der tatsächlichen Qualifikation und der tatsächlichen Art und Weise der Einarbeitung und Überwachung des eingesetzten Personals oder der Fälschung der Unterschriften auf den Leistungsnachweisen erfahren, hätten sie die Bezahlung der Rechnungen vollständig verweigert.
Insgesamt erlangte die Angeklagte aus den eingereichten Rechnungen einen Betrag in Höhe von € 247.154,51 von der Krankenkasse.
Während des gesamten Vertrags war es zu keinen Zwischenfällen gekommen, die das Eingreifen qualifizierten Personals erforderlich gemacht hätten.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Betrugs in 96 Fällen, davon in 91 Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung verurteilt. Ihre Revision wurde als unbegründet verworfen.
Rechtliche Bewertung des BGH
Der BGH bestätigt die Verurteilung wegen Betruges nach § 263 StGB.
Täuschungshandlung durch Irrtumserregung
Durch die Einreichung von Abrechnungen und Leistungsnachweisen wurde den Mitarbeitern der Krankenkasse konkludent die Erbringung der vereinbarten Leistung vorgespiegelt:
Zwar fordert das SGB V bezüglich der häuslichen Krankenpflege keine besondere Qualifikation der von den Leistungserbringern eingesetzten Personen. Die Krankenkassen sind jedoch berechtigt, den Abschluss eines Vertrages über die Leistung häuslicher Krankenpflege von einer bestimmten formalen Qualifikation des Pflegepersonals abhängig zu machen.
Irrtumsbedingte Vermögensverfügung und Vermögensschaden
Die irrtumsbedingte Bezahlung führte zu einem Vermögensschaden, weil ihr bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise kein entsprechender Ausgleich gegenüber stand.
Dies liegt auf der Hand, soweit die Angeklagte mehr Stunden abgerechnet hat, als erbracht wurden.
Aber auch soweit ihre Mitarbeiter Pflegeleistungen tatsächlich erbracht haben, lag ein Schaden vor, weil die Kasse wegen mangelnder Qualifikation der Pflegekräfte nicht zur Zahlung verpflichtet war:
Das Unterschreiten der nach dem Vertrag vereinbarten Qualifikation führt nach den insoweit maßgeblichen Grundsätzen des Sozialrechts auch dann zum vollständigen Entfallen des Vergütungsanspruchs, wenn die Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht wurden („streng formale Betrachtungsweise”, vgl. BGH Urt. v. 5.12.2002 – 3 StR 161/02, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 62 m. Anm. Beckemper/Wegner NStZ 2003, 315, 316; Beschl. v. 28.9.1994 – 4 StR 280/94, NStZ 1995, 85 f.; Sächs. LSG Urt. v. 18.12.2009 – L 1 KR 89/06, Rn 36, juris).
Nach der im Sozialrecht geltenden streng formalen Betrachtungsweise führt das Unterschreiten der vertraglich vereinbarten Qualifikation auch dann zum vollständigen Wegfall des Vergütungsanspruchs, wenn die Leistung im Übrigen ordnungsgemäß erbracht wurde. Ein Vermögensschaden lag auch deshalb vor, weil die Qualität der pflegerischen Leistung so gemindert war, dass ihr wirtschaftlicher Wert gegen Null ging.
Stellungnahme
Die Entscheidung stellt klar, dass eine Täuschung über die Qualifikation des eingesetzten Personals auch dann strafrechtlich zum Betrug führt, wenn tatsächlich eine höhere Qualifikation mangels entsprechender medizinischer Zwischenfälle nicht in Anspruch genommen wurde. Auch die insoweit unbrauchbare ,,Überwachung" des Pflegebedürftigen durch un- oder minderqualifiziertes Personal ist ein Vermögensschaden.
Der BGH hat hier den abgeschlossenen Vertrag mit der Krankenkasse beim Wort genommen. Betreiber von Pflegediensten sollten daher tunlichst darauf achten, dass die vertraglich zugesicherten Eigenschaften des Personals mit der Realität übereinstimmen, um eine Strafbarkeit wegen Abrechnungsbetruges zu vermeiden.
Im Umkehrschluss ergeben sich im Rahmen der Strafverteidigung vielfache Ansätze, voreilige Schlüsse der Krankenkassen und Strafverfolgungsbehörden anzugreifen.
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