Änderungskündigung nach Drohung der Belegschaft? Landesarbeitsgericht Nürnberg stärkt Schutzpflichten des Arbeitgebers
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Wenn Mitarbeitende drohen, im Fall der Rückkehr einer bestimmten Person ihren eigenen Arbeitsplatz zu kündigen, kann dies den Arbeitgeber in eine schwierige Lage bringen. Häufig sehen sich Unternehmen in dieser Konstellation veranlasst, den „unangenehmen“ Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Kündigung – oft in Gestalt einer Änderungskündigung – auszusprechen, um den restlichen Bestand der Belegschaft zu schützen. Doch wann ist eine solche (Änderungs-)Kündigung arbeitsrechtlich überhaupt zulässig?
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg (Urt. v. 12.12.2023, Az. 7 Sa 61/23) hat sich jüngst ausführlich mit den Voraussetzungen der sogenannten „echten Druckkündigung“ befasst und besonders hervorgehoben, dass Arbeitgeber nicht nur die Interessen der Belegschaft, sondern auch die Rechte der betroffenen Person wahren und sich nach Möglichkeit „schützend vor sie“ stellen müssen. Gelingt dies nicht, scheitert eine Änderungskündigung, die lediglich auf Druck aus der Belegschaft erfolgt, regelmäßig an der mangelnden sozialen Rechtfertigung.
Sachverhalt
Die Klägerin ist seit 1998 in einem Unternehmen tätig, das Druckfarben und Pigmente herstellt und an mehreren Standorten operiert. Sie ist dort als Chemielaborantin in einem sogenannten „Z. Labor“ in Vollzeit beschäftigt. Die vertraglich vereinbarte Wochenarbeitszeit beträgt 37,5 Stunden, bei monatlich rund 5.100 Euro Bruttoentgelt. Zudem ist die Klägerin schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Im Laufe ihrer Betriebszugehörigkeit kam es zwischen der Klägerin und anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in verschiedenen Teams immer wieder zu Unstimmigkeiten; mehrere Versetzungen fanden statt.
Im Jahr 2019 erlitt die Klägerin eine längere Phase der Arbeitsunfähigkeit (Burn-out-Symptomatik, dissoziative Störungen). Währenddessen versuchte die Arbeitgeberin, zusammen mit der Klägerin ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchzuführen. Kurz nach der Zusage, die Klägerin könne nach Ende ihrer Arbeitsunfähigkeit in das Z. Labor zurückkehren, regte sich in jenem Team erheblicher Widerstand: Mehrere Mitarbeitende teilten der Geschäftsleitung mit, man könne sich unter keinen Umständen eine weitere Zusammenarbeit vorstellen. Teilweise wurden persönliche Stellungnahmen verfasst, in denen die Klägerin für eine vergiftete Stimmung im Labor verantwortlich gemacht wurde.
Auf Anfrage der Geschäftsführung äußerten einige Beschäftigte sogar, bei einer Rückkehr der Klägerin würden sie über eine eigene Kündigung oder Versetzung nachdenken. Es sei mit einer „Kündigungswelle“ und steigenden Krankheitsausfällen zu rechnen. Seitens des Arbeitgebers wuchs so die Befürchtung, man könne eine Abwanderung wesentlicher Know-how-Träger nicht verhindern und laufe Gefahr, bestimmte Geschäftsbereiche stark einzubüßen.
Aus Sicht der Arbeitgeberin war deshalb eine Weiterbeschäftigung der Klägerin am bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr möglich. Sie bot ihr eine Änderung des Arbeitsvertrags an, die im Wesentlichen eine Versetzung an einen anderen Standort X. vorsah. Für die Klägerin hätte dies jedoch eine Verlängerung ihres Arbeitsweges von etwa 16 auf rund 90 Kilometer (einfach) bedeutet. Die Arbeitgeberin sagte zwar eine Fahrtkostenerstattung von 0,30 Euro pro Kilometer für ein Jahr zu, doch die Klägerin lehnte diese Versetzung ab, da die Fahrtzeit sich – je nach Verkehrslage – auf bis zu 70 oder gar 90 Minuten pro Strecke belaufen würde.
Daraufhin sprach die Arbeitgeberin eine Änderungskündigung aus. Diese sah eine ordentliche Kündigung zum 30.09.2022 vor, verbunden mit dem Angebot, den Arbeitsvertrag zu ansonsten unveränderten Bedingungen fortzuführen, jedoch künftig am Standort X. als „Colorist“ im Color Matching Center zu arbeiten. Der Betriebsrat wurde dazu gehört, und auch das Inklusionsamt erteilte die Zustimmung zur Änderungskündigung.
Die Klägerin nahm das Änderungsangebot unter Vorbehalt an und klagte gegen die Änderungskündigung. Sie machte geltend, es handele sich um eine unzulässige „echte Druckkündigung“, weil der Arbeitgeber allein auf den Druck einiger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter reagiert habe, anstatt die Klägerin aktiv zu schützen und alternative, mildere Mittel zur Konfliktlösung zu ergreifen. Darüber hinaus verlangte sie Annahmeverzugslohn, weil die Arbeitgeberin sie nach Ablauf einer widerruflichen Freistellung aufforderte, in X. zu arbeiten, was sie verweigerte. Sie hielt die Beschäftigung in X. für unzumutbar, zumal der vertragliche Einsatzort in Y. vereinbart sei.
Entscheidung des LAG Nürnberg
Das Landesarbeitsgericht Nürnberg bestätigte in seinem Urteil vom 12.12.2023 (Az. 7 Sa 61/23) die erstinstanzliche Entscheidung und stellte fest, dass die Änderungskündigung sozial ungerechtfertigt und damit unwirksam sei. Zudem sprach es der Klägerin Annahmeverzugslohn für den Zeitraum ab 15.06.2022 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses zu.
1. Keine ausreichende Rechtfertigung als „echte Druckkündigung“
Zwar erkannte das LAG Nürnberg an, dass bei einer sog. „echten Druckkündigung“ (wenn die Belegschaft den Arbeitgeber zum Ausspruch einer Kündigung drängt) durchaus ernste Risiken für den Betrieb und wirtschaftliche Nachteile entstehen können. Gleichwohl stelle die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hohe Anforderungen an die Zulässigkeit einer solchen Kündigung.
In diesen Fällen müsse sich der Arbeitgeber „schützend“ vor den betroffenen Mitarbeiter oder die betroffene Mitarbeiterin stellen und alles Zumutbare tun, um den Druck aus der Belegschaft abzuwehren. Insbesondere müsse er argumentativ darauf hinwirken, dass es keinen hinreichenden Grund für eine Kündigung gebe und versuchen, die drohenden Eigenkündigungen zu verhindern. Erst wenn alle zumutbaren Maßnahmen scheitern und tatsächliche wirtschaftliche Schäden drohen, dürfe der Arbeitgeber eine Druckkündigung aussprechen.
Im vorliegenden Fall sah das LAG Nürnberg keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Arbeitgeberin versucht hätte, die Mitarbeitenden von ihrer Ablehnung der Klägerin abzubringen. Das Unternehmen hatte vielmehr direkt eine Befragung gestartet, ob die Belegschaft zu einer weiteren Zusammenarbeit bereit sei, und stützte sich im Ergebnis weitgehend auf die ablehnenden Äußerungen, ohne noch größere Vermittlungs- oder Deeskalationsversuche zu unternehmen. Eine solche Vorgehensweise genüge den Anforderungen für eine wirksame Druckkündigung nicht.
2. Kündigung als „letztes Mittel“
Neben dem fehlenden Abwehrversuch betonte das LAG, dass eine Kündigung, selbst als Änderungskündigung, nur dann gerechtfertigt wäre, wenn sie „ultima ratio“, also das letzte zur Verfügung stehende Mittel, sei. Auch das sei hier nicht gegeben. Es wäre laut Gericht durchaus denkbar gewesen, alternative Lösungen auszuprobieren – etwa eine zeitlich befristete Mediations- oder Probephase, möglicherweise räumliche Anpassungen oder organisatorische Trennungen im Arbeitsablauf, ohne gleich eine standortferne Versetzung zu fordern.
3. Annahmeverzug und böswillig unterlassener Erwerb
Die Arbeitgeberin argumentierte weiter, die Klägerin hätte in X. arbeiten müssen und habe „böswillig“ anderweitigen Erwerb unterlassen. Daher sei ihr Lohnanspruch ab 15.06.2022 zu kürzen. Auch dies verwarf das Gericht: Da das Angebot der Arbeitgeberin auf eine – aus Sicht des LAG – deutlich unzumutbare Versetzung hinauslief (u. a. weitaus längere Pendelzeiten), handelte die Klägerin nicht „böswillig“, als sie das Angebot ablehnte.
Im Rahmen von § 615 Satz 2 BGB muss sich ein Arbeitnehmer nur den Verdienst anrechnen lassen, den er in zumutbarer Weise hätte erzielen können. In diesem Fall war die angebotene Stelle für die Klägerin nicht zumutbar – insbesondere wegen der einfachen Fahrstrecke von rund 90 Kilometern und Fahrtzeiten, die schnell 70 bis 90 Minuten erreichen konnten. Auch eine veränderte Arbeitszeitregelung machte die Situation nicht ausreichend tragbar, sodass das LAG einen Annahmeverzugslohnanspruch bestätigte.
Praxishinweise
Das Urteil des LAG Nürnberg verdeutlicht wichtige Grundsätze im Umgang mit „Drucksituationen“ aus der Belegschaft und möglichen Änderungskündigungen:
Sorgfältige Konfliktbearbeitung statt Schnellschüsse
Bevor ein Unternehmen zur Druckkündigung (oder Änderungskündigung) greift, muss es nachweisen, alle zumutbaren Maßnahmen gegen den massiven Druck ergriffen zu haben. Dazu zählen Gespräche, Mediation, Teambuilding, räumliche und organisatorische Anpassungen oder – wo möglich – die Versetzung einzelner Mitarbeitender auf freiwilliger Basis.„Schützendes Verhalten“ des Arbeitgebers
Arbeitgeber sind gehalten, sich zumindest klar und deutlich vor den betroffenen Mitarbeiter oder die betroffene Mitarbeiterin zu stellen und zu verdeutlichen, dass aus ihrer Sicht kein ausreichender Kündigungsgrund vorliegt. Nur wenn Mitarbeiter trotz solcher deutlicher Argumentation und Vermittlungsgespräche ihre Drohungen aufrechterhalten und dem Unternehmen gravierende Schäden drohen, kommt eine Druckkündigung überhaupt in Betracht.Verhältnismäßigkeit und ultima ratio
Jede Kündigung – auch eine Änderungskündigung – muss verhältnismäßig sein. Lässt sich die Situation z. B. durch räumliche Trennung im Betrieb, Dienstanweisungen oder befristete Konzepte abmildern, darf ein Arbeitgeber nicht vorschnell zur Entlassung greifen.Zumutbarkeit der Versetzung
Gerade wenn Mitarbeitende, die bisher wohnortnah arbeiteten, plötzlich einen versetzten Einsatz weit entfernt antreten sollen, muss der Arbeitgeber sorgfältig prüfen, ob ein solcher Wechsel wirklich zumutbar ist. Pendelzeiten von jeweils deutlich über einer Stunde können schnell unzumutbar werden. Eine zeitlich oder finanziell befristete Fahrtkostenerstattung reicht bei sehr langen Fahrtwegen oft nicht aus, um die Zumutbarkeit herzustellen.Dokumentation und Kommunikation
Für beide Seiten – Arbeitgeber und Arbeitnehmer – ist eine ausführliche Dokumentation der jeweiligen Schritte essenziell. Arbeitgeber sollten akribisch belegen können, welche Maßnahmen zur Deeskalation getroffen wurden. Arbeitnehmer wiederum sollten klar aufzeigen, warum etwa eine Versetzung für sie nicht akzeptabel oder gesundheitlich unzumutbar ist.Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)
Das Urteil verdeutlicht außerdem, dass Konflikt- und Gesundheitsprobleme – wie im vorliegenden Fall Burn-out – ineinandergreifen können. Ein strukturiertes BEM und eine aktive Konfliktbewältigung im Team können dazu beitragen, eskalierende Situationen zu vermeiden und eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu ermöglichen.Rechtzeitige Rechtsberatung
Da Druckkündigungen rechtlich komplex sind, sollten sich Betroffene (Arbeitgeber wie Arbeitnehmer) frühzeitig beraten lassen. Gerade im Bereich der Kündigungsgründe, der Beteiligung des Betriebsrats und des Inklusionsamts (bei Schwerbehinderung oder Gleichstellung) ist ein sachkundiger Rechtsbeistand unerlässlich.
Das LAG Nürnberg (Urteil vom 12.12.2023, Az. 7 Sa 61/23) hat die Hürden für eine „echte Druckkündigung“ erneut bestätigt und in diesem Fall eine Änderungskündigung als sozial ungerechtfertigt eingestuft. Arbeitgeber sind verpflichtet, den Druck abzuwehren und sich deutlich schützend vor den betroffenen Beschäftigten zu stellen. Erst wenn dies scheitert und erhebliche wirtschaftliche Schäden drohen, kann eine Kündigung gerechtfertigt sein.
Arbeitnehmende, die sich mit einer solchen Kündigung konfrontiert sehen, sollten wissen: Auf puren Gruppendruck aus dem Kollegenkreis darf der Arbeitgeber nur in engen Grenzen mit einer Kündigung reagieren. Auch eine scheinbar „mildere“ Änderungskündigung muss die Verhältnismäßigkeit wahren und bleibt dann unwirksam, wenn Arbeitgeber nicht alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft oder die notwendigen Schutz- und Vermittlungsanstrengungen unterlassen haben.
(Dieser Beitrag stellt keine konkrete Rechtsberatung dar. Im Einzelfall sollten Sie eine fachkundige anwaltliche Beratung in Anspruch nehmen.)
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