Anlegerdaten aus Insolvenzakten: ein Fall berufsrechtswidriger Anwaltswerbung

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Wenn das Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Kapitalanlageunternehmens eröffnet wird, kommt es gelegentlich vor, dass Rechtsanwälte Anleger anschreiben und ihre Dienste anbieten. Beispielsweise wird auf die Fachkompetenz im Kapitalmarktrecht hingewiesen und dafür geworben, dass man die Interessen der Anlegergläubiger im jeweiligen Insolvenzverfahren bei der Forderungsanmeldung oder in sonstiger Weise vertritt. Nicht selten ergeben sich daraus auch Folgemandate wie Schadensersatzprozesse gegen Dritte. Hinzu kommt die Ratlosigkeit der Geschädigten bei der Frage, wie sie trotz Insolvenz retten könnten, was noch zu retten ist. Grundsätzlich handelt es sich damit um eine gute Ausgangslage für die Akquise von Anlegermandaten. 

Der angeschriebene Anleger wiederum fragt sich, wie der werbende Rechtsanwalt an die Adresse des Anlegers gelangt ist sowie an die Information, dass und ggf. wieviel der Angeschriebene in das insolvente Unternehmen investiert hat. In Zeiten intensiv diskutierter Datenschutzthemen dürfte sich der Anleger zudem fragen, ob oder wann die Erlangung und/oder Nutzung seiner personenbezogenen Daten durch den Rechtsanwalt rechtens ist.

Üblicherweise führen die anschreibenden Rechtsanwälte dazu aus, dass sie bzw. ein Mandant die Anlegerdaten in Erfüllung eines entsprechenden, von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) gedeckten Herausgabeanspruchs von der Anlagegesellschaft, dem Treuhänder oder dem Insolvenzverwalter erhalten haben. Bisweilen wird aber auch angegeben, dass man sie der Insolvenzakte entnommen habe.

Zutreffend ist, dass der BGH mehrfach entschieden hat, dass ein Anleger, der einer Publikumspersonengesellschaft unmittelbar oder mittelbar betritt, Anspruch auf Namen und Adressen der Mitgesellschafter hat, und zwar ohne besonderen Grund und ohne dass Belange des Datenschutzes insoweit dagegenstehen. Eine Grenze findet das Herausgabebegehren nur im Rechtsmissbrauch; vgl. BGH II ZR 134/11 und BGH II ZR 136/11, Urteile vom 5. Februar 2013 m. w. N. Es ist an sich auch nicht zu beanstanden, wenn Rechtsanwälte, welche die Interessen von Insolvenzgläubigern vertreten, in die Verfahrensakte des Insolvenzgerichts Einsicht nehmen, §§ 299 ZPO, 4 InsO.

Doch was gilt jenseits des mitgliedschaftlichen Rechts bei Publikumspersonengesellschaften, zum Beispiel bei schuldrechtlichen Anlagen (z. B. Nachrangdarlehen, Schuldverschreibungen, Genussrechten, bestimmten Direktinvestments) oder bei der (insoweit) speziellen zweigliedrigen stillen Gesellschaft, wo Anleger untereinander keine Innengesellschaft bilden? Dürfen Rechtsanwälte personenbezogene Daten, die sie aus der Insolvenzakte erlangt haben, zu werblichen Zwecken nutzen und so die Anleger anschreiben?

Das Anwaltsgericht Berlin verneinte dies in seinem Beschluss vom 05. März 2018 (1 AnwG 34/16) für den Fall, dass eine Einwilligung des Betroffenen oder ein gesetzlicher Erlaubnistatbestand nicht vorliegen. Ist beides nicht gegeben, so verstößt bzw. verstieß die Nutzung der verwendeten personenbezogenen Daten zum Zweck der anwaltlichen Eigenwerbung gegen § 43 BRAO (gewissenhafte Berufsausübung) i. V. m. §§ 4, 28 BDSG in der bis Mai 2018 geltenden Fassung. 

Die Voraussetzungen der Erlaubnistatbestände des § 28 BDSG a.F. waren nicht erfüllt. Zum einen stellt die Insolvenzakte keine frei bzw. allgemein zugängliche Quelle im Sinne von § 28 Abs. 1 Nr. 3 BDSG a.F. dar, wie sich aus §§ 4 InsO, 299 ZPO ergibt (ohne Partei-/Vertretereigenschaft oder rechtliches Interesse eines Dritten ist die Prozess- bzw. Insolvenzakte eben nicht allgemein einsehbar). Zum anderen sah das Anwaltsgericht Berlin nicht, wie die Nutzung der aus der Insolvenzakte gewonnen Anlegerdaten für die Wahrung berechtigter Interessen des Rechtsanwalts oder seiner Mandanten im Sinne von § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG a.F. erforderlich gewesen sein sollte. Schließlich waren auch die Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 BDSG a.F. nach Ansicht der Kammer nicht erfüllt. Die Vorschrift schloss die Verwendung personenbezogener Daten, die weder aus allgemein zugänglichen Quellen, noch aus einer bereits bestehenden Geschäftsbeziehung stammen, noch durch Einwilligung des Betroffenen erlangt sind, zu Werbezwecken weitgehend aus. Im zu entscheidenden Fall hatte das anwaltliche Anlegeranschreiben zur Überzeugung des Gerichts werblichen Charakter, und auch die Lockerung des anwaltlichen Werbeverbots erlaubte keinen Verstoß gegen das Datenschutzgesetz.

Nunmehr gilt die EU-DSGVO; das BDSG wurde geändert und adressiert ganz überwiegend öffentliche Stellen. Indes finden sich die Regelungen der §§ 4, 28 BDSG a.F. größtenteils inhaltlich in den Artikeln 5 und 6 EU-DSGVO wieder. Der Grundsatz des Verbots der „Verarbeitung“ (als Oberbegriff auch für die Verwendung) personenbezogener Daten mit den Ausnahmen der Einwilligung und gesetzlicher Erlaubnistatbestände bleibt erhalten. Zwar enthält die EU-DSGVO keine Norm, die sich wie § 28 Abs. 3 BDSG a.F. speziell mit der Erlaubnis des Direktmarketings beschäftigt, jedoch erschließt sich die entsprechende Einschränkung aus der Auslegung der allgemeinen Erlaubnistatbestände. Und selbstverständlich sind die Regelungen zur Verarbeitung personenbezogener Daten nicht auf die vorherige Erlangung aus Insolvenzakten beschränkt.

BEMK Rechtsanwälte PartGmbB, Juli 2019



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