BAG: Außerordentliche Verdachtskündigung und (Un)Maßgeblichkeit strafrechtlicher Wertungen

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Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einer aktuellen Entscheidung die Grundsätze für eine außerordentliche Verdachtskündigung betont sowie sich zur (Un)Maßgeblichkeit strafrechtlicher Wertungen bzw. strafgerichtlicher Entscheidungen für die Wirksamkeit der Kündigung geäußert. Die Ausführungen des BAG sind in der Praxis für ein erfolgreiches Vorgehen wesentlich.

BAG, Urteil vom 2.3.2017 – 2 AZR 698/15

Das BAG hat folgende über den konkret entschiedenen Fall hinausgehenden, allgemeinen Grundsätze erneut bestätigt und hins. der (Un)Maßgeblichkeit strafrechtlicher Wertungen bzw. strafgerichtlicher Entscheidungen weiterentwickelt:

  • Eine wirksame Verdachtskündigung erfordert starke, auf konkrete objektive Tatsachen gründende Verdachtsmomente. Diese müssen vom Kündigenden dargelegt und ggf. zu bewiesen werden.
  • Es muss zudem eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Verdacht zutrifft. Nur Vermutungen reichen dazu nicht aus.
  • Erkenntnisse oder Maßnahmen der Staatsanwaltschaft und/oder Entscheidungen eines Ermittlungsrichters wie eine Anklageerhebung oder der Erlass eines Haftbefehls allein reichen als Verdachtsmomente nicht aus.
  • Entscheidungen im Strafverfahren binden die Arbeitsgerichte nicht. Die Arbeitsgerichte haben alle relevanten Umstände vielmehr selbst zu würdigen. Ein Freispruch im Strafverfahren kann aber durchaus zu einer Entlastung des Arbeitnehmers im arbeitsgerichtlichen Verfahren führen.
  • Die Arbeitsgerichte dürfen die vom Strafgericht getroffenen Feststellungen berücksichtigen, aber nicht unbesehen übernehmen. Sie haben diese einer eigenen kritischen Überprüfung zu unterziehen und den Beweiswertsorgfältig zu prüfen. Außerdem müssen sich die Arbeitsgerichte grundsätzlich einen persönlichen Eindruck von einem Zeugen verschaffen, wenn sie auf dessen (Un-)Glaubwürdigkeit abstellen wollen, es sei denn, dass die für die Würdigung maßgeblichen Umstände in den Strafakten festgehalten worden sind und die Parteien Gelegenheit hatten, sich dazu zu erklären.
  • Eine hohe Wahrscheinlichkeit für ein strafbares Verhalten oder eine sonstige erhebliche Pflichtverletzung des Arbeitnehmers kann sich daraus ergeben, dass mehrere Zeugen unabhängig voneinander und bezogen auf unterschiedliche Begebenheiten ähnliche Verhaltensweisen des Arbeitnehmers schildern.
  • Aus der Entscheidung des BAG geht aber auch hervor, dass es mitunter schädlich sein, weil es zu Unklarheiten im Sachverhalt/Vorwurf führen kann, wenn Begriffe – wie im konkreten Fall etwa „sexuelle Belästigung“ und „sexueller Missbrauch“ – wild durcheinandergeworfen werden, ohne dass die zugrunde liegenden Tatsachen und Wertungen klar werden (die verwendeten Begriffe also allenfalls hinzutreten).

Beraterhinweis: 

Die Entscheidung bringt die maßgeblichen Grundsätze für im Zusammenhang mit (mutmaßlichen) Straftaten (bzw. dem entsprechenden Verdacht) stehende (Verdachts-)Kündigungen gut auf den Punkt. Sowohl Arbeitgeber, die solche Kündigungen durchsetzen wollen, als auch sich dagegen verteidigende Arbeitnehmer sind gut beraten, insbes. zu beachten, dass das eigene Vorbringen zum Sachverhalt sorgfältig herausgearbeitet wird sowie – darauf aufbauend – weitgehend allein die arbeitsrechtliche Wertung maßgeblich ist, während die strafrechtliche Wertung und die im Strafverfahren gewonnenen Erkenntnisse zumeist allenfalls ergänzend herangezogen werden können.

Nur nebenbei weist das BAG – wieder einmal – darauf hin, dass es der Behandlung einer Kündigung auch als Tatkündigung (wegen bewiesenen Fehlverhaltens) nicht entgegensteht, wenn ein Arbeitgeber die Kündigung (nur) als Verdachtskündigung erklärt hat (und nicht als Tatkündigung sowie lediglich hilfsweise als Verdachtskündigung) . In der Praxis wird immer noch häufig angeführt, dass eine Verdachtskündigung dann nicht auch als Kündigung wegen bewiesenen Fehlverhaltens gerechtfertigt sein kann (dies kann entscheidend sein, wenn andere Voraussetzungen der Verdachtskündigung, wie insbes. die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers, problematisch sind). 


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