Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG): Ist Ihr Webshop vom BFSG betroffen?

  • 7 Minuten Lesezeit

Gesetzeszweck und Bedeutung des BFSG


Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) verfolgt das Ziel, Barrierefreiheit im privaten Sektor zu schützen und zu fördern. Anders als das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG), das primär öffentliche Stellen und Behörden zur Barrierefreiheit verpflichtet, nimmt das BFSG private Unternehmen in die Pflicht. Im Interesse von Verbraucherinnen und Nutzerinnen soll das BFSG gewährleisten, dass bestimmte Produkte und Dienstleistungen barrierefrei zugänglich sind. Damit wird Menschen mit Behinderungen die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erleichtert und zugleich den Erfordernissen eines einheitlichen europäischen Binnenmarktes Rechnung getragen.

Hintergrund ist eine EU-Vorgabe: Das BFSG setzt die europäische Richtlinie (EU) 2019/882 (European Accessibility Act) in deutsches Recht um. Durch einheitliche EU-Anforderungen soll Barrierefreiheit auch in der Privatwirtschaft vorangebracht werden – letztlich eine Chance für Unternehmen (insbesondere kleine und mittlere), um neue Kundengruppen zu erreichen und ihre Angebote europaweit anzubieten.


Welche Online-Shops sind vom BFSG erfasst?


Das BFSG gilt für eine Reihe von Produkten und Dienstleistungen, die von Verbraucherinnen genutzt werden – darunter „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr”. Damit sind Online-Shops und vergleichbare E-Commerce-Angebote gemeint. Allerdings fällt nicht der gesamte Internetauftritt eines Unternehmens automatisch unter das BFSG, sondern nur die Teile, die tatsächlich auf einen Vertragsabschluss mit Verbraucherinnen gerichtet sind.

Gemäß § 2 BFSG sind Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr definiert als digitale Dienste, die über Websites oder mobile Anwendungen angeboten werden und elektronisch, auf individuelle Anfrage eines Verbrauchers, der Anbahnung oder dem Abschluss eines Verbrauchervertrags dienen. Praktisch bedeutet dies: Online-Shops (der Bestell- und Kaufprozess, Produktseiten, Warenkorb, Checkout etc.) fallen unter das BFSG.

Reine Informationsinhalte Ihrer Website, die nicht direkt dem Verkauf dienen – etwa Blogartikel, News oder die „Über uns“-Seite – sind nicht vom BFSG erfasst, da sie nicht auf einen Vertragsabschluss ausgerichtet sind. Mit anderen Worten: Kauf- und Buchungsfunktionen müssen barrierefrei sein, während rein redaktionelle Inhalte nicht unter die gesetzlichen BFSG-Pflichten fallen (auch wenn Barrierefreiheit natürlich auch dort wünschenswert ist).

Ist mein Webshop vom BFSG betroffen?


Ob Ihr Webshop unter die BFSG-Pflichten fällt, hängt von einigen Kriterien ab. Stellen Sie sich folgende Fragen:

  • Richtet sich mein Online-Shop (auch) an Verbraucher? Das BFSG erfasst nur B2C-Angebote. Ein reiner B2B-Shop, der ausschließlich an Gewerbekunden verkauft und keinen Verbraucherbezug hat, fällt nicht unter das BFSG. Sobald jedoch auch Endkund*innen angesprochen werden, gilt das Gesetz.

  • Biete ich online den Abschluss von Verträgen an? Wenn Ihr Webshop eine Kauf- oder Buchungsfunktion hat – also es Nutzer*innen ermöglicht, online einen Vertrag (z. B. Kaufvertrag) abzuschließen – dann erbringen Sie eine Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr im Sinne des BFSG. Nur rein informative Webseiten, ohne Bestell- oder Buchungsmöglichkeit, sind ausgenommen.

  • Wie groß ist mein Unternehmen? Das BFSG sieht eine wichtige Ausnahme für Kleinstunternehmen vor. Kleinstunternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten und höchstens 2 Mio. € Jahresumsatz oder Jahresbilanzsumme sind vom BFSG ausgenommen. Betreiben Sie Ihren Webshop also als Kleinstunternehmen, müssen Sie die BFSG-Vorgaben formal nicht erfüllen. (Dennoch kann es sich lohnen, freiwillig Barrierefreiheit umzusetzen – siehe Chancen unten.) Beachten Sie: Im Zweifel müssen Kleinstunternehmen nachweisen, dass sie unter diese Definition fallen.


Fazit: Die meisten kleinen und mittleren Online-Händler (KMU) mit Endkundengeschäft werden vom BFSG erfasst. Wenn Ihr Shop nach dem Stichtag weiterhin Verbrauchern die Möglichkeit zum Online-Kauf bietet, sollten Sie von einer Betroffenheit ausgehen - es sei denn, Sie sind ein Kleinstunternehmen im oben genannten Sinne.


Konkrete Pflichten: Digitale Barrierefreiheit von Website und App

Fällt Ihr Online-Shop in den Anwendungsbereich, müssen Sie konkrete Anforderungen an die digitale Barrierefreiheit erfüllen. Die zentrale Pflicht ist, dass Ihre Website und ggf. mobile App für alle Nutzer*innen – unabhängig von einer Behinderung – barrierefrei nutzbar sein muss. Dabei geht es um technische, gestalterische und inhaltliche Aspekte. Konkret schreibt das BFSG (zusammen mit der BFSG-Verordnung, BFSGV) vor, dass Online-Angebote „intuitive, verständliche und technisch barrierefreie Lösungen“ bieten müssen.

Was bedeutet das im Einzelnen? Orientierungsmaßstab sind etablierte Standards der Web-Barrierefreiheit, insbesondere die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG 2.1). Einige Beispiele für Pflichtmaßnahmen nach BFSG:

  • Alternativtexte für Bilder und grafische Inhalte: Alle non-textuellen Inhalte (Bilder, Icons, Videos etc.) müssen mit einem aussagekräftigen Textäquivalent versehen sein, damit z. B. blinde Nutzer mittels Screenreader erfahren, was dargestellt wird.

  • Kontraste und Gestaltung: Achten Sie auf ausreichend hohen Farbkontrast zwischen Text und Hintergrund, und verwenden Sie gut lesbare Schriftarten. Inhalte sollen skalierbar sein (Zoom/Stichwort Schriftgrößenanpassung), ohne an Funktionalität einzubüßen.

  • Tastatur-Bedienbarkeit: Nutzer*innen dürfen nicht auf die Maus angewiesen sein. Sämtliche Funktionen (Navigation, Formulare, Menü, Checkout) müssen über die Tastatur zugänglich sein. Dies schließt auch Kompatibilität mit Screenreader-Bedienung und anderen assistiven Technologien ein.

  • Klare Navigationsstrukturen und Verständlichkeit: Die Webseite soll übersichtlich gegliedert und logisch navigierbar sein. Verwenden Sie klare Überschriften-Hierarchien, einfache Sprache und vermeiden Sie komplexe Interaktionen, die für Menschen mit kognitiven Einschränkungen hinderlich sein könnten.

  • Audiovisuelle Inhalte: Falls Ihr Shop Videos oder Audio enthält (z. B. Produktvideos), müssen diese Untertitel bzw. Transkripte oder andere Alternativen zur Verfügung stellen, damit auch hörbehinderte oder sehbehinderte Personen die Informationen erhalten.


Diese und weitere Anforderungen entsprechen dem Prinzip der „wahrnehmbaren, bedienbaren, verständlichen und robusten“ Webinhalte, wie es die WCAG-Kriterien vorgeben. Indem Sie diese umsetzen, stellen Sie sicher, dass Ihr Online-Shop für möglichst viele Menschen ohne fremde Hilfe zugänglich ist – sei es für Menschen mit Seh-, Hör-, Motorik- oder kognitiven Beeinträchtigungen.

Wichtig für Mobile Apps: Die BFSG-Pflichten gelten gleichermaßen für mobile Anwendungen Ihres Unternehmens. Betreiben Sie neben der Website also eine Shopping-App, muss auch diese barrierefrei gestaltet werden (z. B. Unterstützung von VoiceOver/ TalkBack, zugängliche App-Navigation etc.).

Neben der eigentlichen Nutzbarkeit verlangt das Gesetz auch begleitende Maßnahmen: So müssen etwa Sicherheits- und Zahlungsfunktionen ebenfalls barrierefrei zugänglich sein. Zudem darf die Barrierefreiheit nicht durch Wartungsmodi oder Zeitabläufe unverhältnismäßig eingeschränkt werden (z. B. bei Bestell-Timeouts entsprechende Hinweise und Verlängerungsoptionen anbieten).

Schließlich verpflichtet das BFSG die Anbieter, Transparenz über den Barrierefreiheits-Status ihres Angebots herzustellen. Konkret heißt das: Online-Shop-Betreiber müssen eine Barrierefreiheitserklärung auf ihrer Website bereitstellen. In dieser Erklärung muss dargelegt werden, inwieweit die Website/App barrierefrei nutzbar ist und welche Bereiche ggf. (noch) nicht barrierefrei sind. Die Erklärung sollte leicht auffindbar sein (ähnlich wie Impressum oder Datenschutzerklärung) und regelmäßig aktualisiert werden. Sie informiert Nutzer*innen z. B. darüber, welche Standards eingehalten werden, welche Inhalte ausgenommen sind und bietet idealerweise eine Kontaktmöglichkeit für Feedback.

Zusammengefasst: Unternehmen müssen ihre Webshops technisch und inhaltlich barrierefrei gestalten und die Erfüllung dieser Anforderungen in einer Barrierefreiheitserklärung offenlegen. Komplexität und Umfang der Pflichten mögen auf den ersten Blick hoch wirken, jedoch existieren klare technische Standards und Best Practices, an denen man sich orientieren kann – von HTML-Struktur über Formularbeschriftungen bis zur Bereitstellung textlicher Alternativen.

Frist: Inkrafttreten zum 28. Juni 2025 – rechtzeitiger Handlungsbedarf

Unternehmen sollten den 28. Juni 2025 rot im Kalender markieren. An diesem Tag tritt das BFSG vollständig in Kraft, und ab dann dürfen Online-Dienstleistungen nur noch angeboten werden, wenn sie den Barrierefreiheitsanforderungen genügen. Für Online-Shops gibt es keine spezielle Übergangsfrist darüber hinaus – sie müssen bis zum Stichtag barrierefrei sein.

Dieser Termin mag noch in der Zukunft liegen, doch die Umsetzung erfordert Zeit. Erfahrungsgemäß sind Last-Minute-Aktionen riskant. Expertinnen raten, frühzeitig mit der BFSG-Umsetzung zu beginnen. Die E-Commerce-Branche erinnert sich an die Einführung der DSGVO: Viele Unternehmen schoben die Anpassungen bis kurz vor knapp auf, was zu Engpässen bei Beraterinnen und Entwicklern führte. Ein solcher Aufwand kurz vor der Deadline lässt sich durch rechtzeitiges Handeln vermeiden.

Aktuell haben Unternehmen (Stand April 2025) nur noch wenige Monate, um ihre Online-Angebote zu prüfen und anzupassen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um interne Ressourcen zu mobilisieren oder externe Unterstützung zu organisieren. Insbesondere technisch komplexe Shops sollten Puffer für Entwicklung, Testing und eventuelle Nachbesserungen einplanen. So vermeiden Sie Hektik zum Stichtag und minimieren das Risiko, in Verzug zu geraten.

Risiken bei Nichtbeachtung und Chancen der Barrierefreiheit

Was passiert, wenn Sie die BFSG-Pflichten ignorieren? Zum einen drohen ab dem 28. Juni 2025 aufsichtsrechtliche Sanktionen. Das BFSG sieht bei Verstößen gegen die Barrierefreiheitsanforderungen Bußgelder vor – in schwerwiegenden Fällen bis zu 100.000 €. Die Marktüberwachungsbehörden der Bundesländer können Kontrollen durchführen und bei festgestellten Mängeln diese Geldbußen verhängen. Zum anderen besteht in Deutschland die Gefahr von Abmahnungen nach dem Wettbewerbsrecht, etwa durch Verbraucherschutzverbände oder Mitbewerber. Ein Online-Shop, der gesetzliche Anforderungen missachtet, kann als wettbewerbswidrig angesehen werden, was Unterlassungsansprüche und Kosten für den Betreiber nach sich ziehen kann. Kurz gesagt: Nichtstun birgt ein erhebliches rechtliches und finanzielles Risiko.

Last but not least: Indem Sie jetzt in Barrierefreiheit investieren, machen Sie Ihr Unternehmen zukunftssicher. Die demografische Entwicklung und weitere regulatorische Trends weisen klar darauf hin, dass Inklusion und digitale Zugänglichkeit an Bedeutung gewinnen. Wer frühzeitig compliant ist, verschafft sich einen Wettbewerbsvorteil, während Nachzügler mit höherem Aufwand und möglichem Reputationsschaden zu kämpfen haben.

Fazit: Die Umsetzung des BFSG ist für KMU zwar eine Herausforderung, aber mit planvollem Vorgehen machbar – und sie lohnt sich. Unternehmen, die rechtzeitig handeln, vermeiden nicht nur Sanktionen, sondern positionieren sich positiv am Markt: Sie erreichen mehr Kund*innen, verbessern das Nutzungserlebnis und zeigen, dass Inklusion für sie kein Fremdwort ist. Mit Blick auf den 28. Juni 2025 heißt es daher: Jetzt aktiv werden und Barrieren abbauen – juristisch und praktisch zahlt es sich aus.

Für weitere Informationen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung

Dr. Sener Dincer
windweiss Rechtsanwaltskanzlei
Stadtwaldgürtel 24, 50931 Köln
E-Mail: mail@windweiss.de
Tel.: 0221 98 65 2726


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Dr. Sener Dincer

Beiträge zum Thema