Berufsunfähigkeit: Keine Verweisung eines Installateurs auf den Beruf des technischen Zeichners

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Keine Verweisung bei Einkommensdifferenz zwischen altem und neuem Beruf.

Bei der Prüfung, ob der Berufsunfähigkeitsversicherer den Versicherungsnehmer auf eine neu erlernte und ausgeübte Tätigkeit verweisen darf – sodass die Rentenzahlungspflicht entfällt –, muss bei der Bewertung der Vergleichbarkeit das Einkommen aus dem ursprünglichen Beruf entsprechend der Gehaltsentwicklung fortgeschrieben werden.

Eine erfreulich deutliche und klarstellende Entscheidung hat das OLG Oldenburg mit seinem Urteil vom 07.12.2016, Az. 5 U 84/16, gefällt. Zur Entscheidung stand die Frage, ob der beklagte Versicherer den Versicherungsnehmer während der Rentenzahlung auf einen konkret ausgeübten Beruf verweisen konnte. 

Der 1968 geborene Versicherungsnehmer hatte bei der Beklagten eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. Seit 2002 war er in seinem Beruf als Gas- und Wasserinstallateur berufsunfähig und die Beklagte erbrachte die vertraglichen Leistungen und zahlte eine Rente. 

Der Kläger machte im weiteren Verlauf eine Umschulung zum technischen Zeichner und ist seit 2015 in diesem Beruf tätig. Die Beklagte machte daraufhin von ihrem (vermeintlichen) Recht auf Verweisung Gebrauch und stellte die Rentenzahlungen ein. Der Kläger klagte daraufhin auf Feststellung, dass die Leistungspflicht aus der BU-Versicherung fortbestehe. 

Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen, vor dem Oberlandesgericht hatte sie Erfolg. 

Kernpunkt des Rechtsstreits war die Frage, ob der neue Beruf als technischer Zeichner mit dem ursprünglichen Beruf vergleichbar war, sodass der Versicherer den Versicherungsnehmer darauf verweisen konnte.

Das Recht der Verweisung stellt einen häufigen Streitpunkt im Fall der Berufsunfähigkeit dar. Ursprünglich sahen fast alle Verträge das Recht zur Verweisung vor, in den letzten Jahren verzichteten eine Reihe von Versicherern jedoch ausdrücklich auf diese Möglichkeit. Man unterscheidet dabei zwischen dem Recht zur abstrakten und konkreten Verweisung. 

Verweisung ist das Recht des Versicherers, dem Versicherungsnehmer im Versicherungsfall – also wenn der Versicherungsnehmer zu mindestens 50 % außerstande ist, wegen Krankheit oder Kräfteverfalls seinen ursprünglichen Beruf zumutbar auszuüben – einen anderen Beruf aufzuzeigen, den der Versicherungsnehmer noch ausüben könnte und der mit dem ursprünglichen Beruf vergleichbar ist sowie seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. Dabei kommt es zum einen auf die soziale Anerkennung an, die mit einem Beruf verbunden ist, zum anderen aber auch auf die Verdienstmöglichkeiten. Bleibt der Verdienst in dem neuen Beruf deutlich hinter dem Ursprungsberuf zurück – welche prozentuale Abweichung noch zulässig ist, ist jeweils eine Frage des Einzelfalls –, so scheidet eine Verweisung aus.

Der Unterschied zwischen der abstrakten und konkreten Verweisung besteht darin, dass der Versicherer bei Vereinbarung einer abstrakten Verweisung nur einen Beruf aufzeigen muss, den der Versicherungsnehmer ausüben könnte, um von der Leistungspflicht befreit zu werden. Ob der Versicherungsnehmer eine Anstellung in diesem Berufsfeld bekommt, ist irrelevant. Bei der konkreten Verweisung darf der Versicherer nur auf solche Berufe verweisen, die der Versicherungsnehmer auch tatsächlich ausübt. 

Der „neue“ Ansatz des Versicherers, über den das OLG Oldenburg zu entscheiden hatte, war, dass der Versicherer beim Vergleich, ob der neue Beruf mit dem alten im Hinblick auf das Einkommen vergleichbar ist, die Einkünfte als Gas- und Wasserinstallateur im Jahr 2002 mit denen eines technischen Zeichners im Jahr 2015 verglichen hat. Diesem Ansatz ist das OLG – im Gegensatz zum erstinstanzlichen Gericht – nicht gefolgt. Vielmehr hat das OLG deutlich gemacht, dass als Verweisungsberuf nur solche Berufe infrage kommen, die der Ausbildung, Erfahrung und bisherigen Lebensstellung des Versicherungsnehmers entsprechen. Liegen zwischen Eintritt der Berufsunfähigkeit und der Verweisung mehrere Jahre – hier 13 (!) –, so müssen die Einkünfte aus dem ursprünglichen Beruf fortgeschrieben werden. 

Das Urteil ist m.A. nach zu begrüßen. Die Regelungen zur Verweisung im Versicherungsvertrag sind nach dem Verständnis des durchschnittlichen und um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers auszulegen und werden von der Rechtsprechung im Zweifel eng gefasst, insbesondere, wenn sie den vertraglichen Versicherungsschutz des Versicherungsnehmers beschneiden. Dementsprechend ist bei der Bewertung der Vergleichbarkeit auf die soziale Stellung und Anerkennung des Berufs wertzulegen, der sich nicht nach dem reinen Betrag der Einkünfte, sondern der Kaufkraft richtet. Dass diese sich in den 13 Jahren zwischen Eintritt der Berufsunfähigkeit und Bewertung des Vergleichsberufs geändert hat, ist offenkundig. Insofern ist es an sich nur selbstverständlich, dass eine Anpassung der alten Werte erfolgen muss. Die Berücksichtigung der tatsächlichen Lohnentwicklung im Altberuf ist dabei näherliegender und für den Versicherungsnehmer im Zweifel günstiger, als wenn das Gericht lediglich die Inflation ausgeglichen hätte. Lediglich in dem Fall, dass die Lohnentwicklung hinter der Inflation zurückgeblieben wäre – was in einigen Berufen der Fall ist –, stellt sich die Frage, ob auch dann auf die konkreten Verdienstmöglichkeiten abgestellt werden muss. M.E. ist dies der Fall, weil Ansatzpunkt für den Vergleich der konkret ausgeübte Beruf ist, und wenn sich hier die Verdienstmöglichkeiten aus Sicht des Versicherungsnehmers nachteilig ändern, so muss er dies gegen sich gelten lassen. Im Ergebnis dürften aber auch Sonderkonstellationen vorstellbar sein, in denen dies ggf. nicht gilt. 

RA Heiko Effelsberg, LL.M.

Fachanwalt für Versicherungsrecht


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