Betreuung, Bank und Geschäftsunfähigkeit – Wenn der Alltag plötzlich stillsteht
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Die rechtliche Betreuung soll Schutz bieten – und das ist richtig und wichtig. Doch das System ist nicht auf Geschwindigkeit ausgelegt und führt so zum Stillstand in privaten und geschäftlichen Angelegenheiten.
Denn die Bank haftet für unerkannt geschäftsunfähige Personen: OLG Schleswig, Urteil v. 28.04.2016 – 5 U 36/15.
Fällt ein Kontoinhaber im Zahlungsverkehr unerkannt in die Geschäftsunfähigkeit, so ist ein von ihm veranlasster Zahlungsauftrag rechtlich unwirksam autorisiert. Es handelt sich um einen „nicht autorisierten Zahlungsvorgang“ im Sinne von § 675j BGB. Die Sperrwirkung des § 675u BGB greift: Der Zahlungsdienstleister trägt das Risiko und muss den Betrag unverzüglich erstatten und das Konto korrigieren. Ansprüche der Bank gegen den Kunden – sei es auf Aufwendungsersatz, Schadensersatz oder Bereicherung – sind grundsätzlich ausgeschlossen, da andernfalls die gesetzliche Wertung unterlaufen würde. Geschäftsunfähigkeit schließt somit die wirksame Autorisierung aus; eine Zustimmung des Zahlers liegt mangels Geschäftsfähigkeit nicht vor. Dies ist gefestigte Rechtsprechung des BGH und wird von der überwiegenden Literatur und Instanzrechtsprechung geteilt.
1. Was tun Banken, wenn ihnen ein Betreuerausweis vorgelegt wird?
Sobald eine Bank erfährt, dass für einen Kunden ein Betreuer bestellt wurde – etwa durch Vorlage eines Betreuerausweises – reagieren viele Banken mit einem reflexhaften Sicherheitsverhalten: Sie sperren faktisch den Kontozugang für den bisherigen Kontoinhaber. Dies geschieht, obwohl ein Betreuerausweis rechtlich weder eine Feststellung der Geschäftsunfähigkeit darstellt noch automatisch eine Kontosperre rechtfertigt.
Warum handeln Banken so? Hintergrund ist die Sorge vor Haftung: Hat ein Kontoinhaber etwa aufgrund einer Demenz bereits seine Geschäftsfähigkeit verloren, und führt die Bank auf seine Veranlassung hin dennoch eine Überweisung aus, könnte sie sich schadenersatzpflichtig machen. Denn wie die Rechtsprechung zeigt (siehe etwa § 675u BGB), muss eine Bank bei nicht autorisierten Zahlungsvorgängen haften – und die Autorisierung ist bei einem geschäftsunfähigen Kunden rechtlich ausgeschlossen.
Die Folge: Vorsicht geht vor Kundensouveränität – auch wenn dies für die Betroffenen dramatische Konsequenzen haben kann.
2. Warum zeigen Betreuer der Bank sofort ihre Bestellung an?
Betreuer wiederum – ob ehrenamtlich oder beruflich – legen ihren Betreuerausweis der Bank meist sofort vor. Nicht nur, weil sie ordnungsgemäß handeln möchten, sondern auch aus Angst vor eigener Haftung. Denn sollte sich im Nachhinein herausstellen, dass der Betreute schon vor der Bestellung geschäftsunfähig war, könnten Ansprüche gegen den Betreuer entstehen – vor allem dann, wenn dieser es unterlassen hat, die Bank frühzeitig zu informieren.
Das führt zu einem Dilemma: Um sich abzusichern, zeigen Betreuer der Bank schnellstmöglich ihre Bestellung an – obwohl dies rechtlich keine Pflicht in dieser Form ist. Damit geben sie der Bank ein Signal, das oft eine automatische Einschränkung der Handlungsfähigkeit des Betroffenen auslöst.
3. Keine Entmündigung – aber trotzdem keine Kontrolle mehr über das Konto
Rechtlich gilt: Die Bestellung eines Betreuers sagt nichts über die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen aus. Viele Menschen mit Betreuer sind weiterhin geschäftsfähig – jedenfalls teilweise oder in bestimmten Lebensbereichen. Die Betreuung ist kein Urteil über ihre Zurechnungsfähigkeit.
Aber die Realität sieht anders aus. Ab dem Moment, in dem die Bank vom Bestehen einer Betreuung erfährt, verweigert sie in der Praxis häufig jede Handlung ohne Einbeziehung des Betreuers. Kontoabhebungen, Überweisungen oder Änderungen am Onlinebanking sind dann für den Betroffenen alleine nicht mehr möglich. Selbst wenn er noch klar denken und handeln kann – die Bank behandelt ihn so, als wäre er entmündigt.
4. Solange das Betreuungsverfahren läuft, herrscht faktische Geschäftsunfähigkeit
Noch gravierender ist die Situation während eines laufenden Betreuungsverfahrens. Sobald die Bank erfährt, dass ein Betreuungsverfahren anhängig ist – etwa durch einen Hinweis von Angehörigen oder eine Vorladung des Kunden zur Anhörung – wird häufig bereits der Kontozugang eingeschränkt. Mancher wird ohne Entscheidung des Gerichts faktisch unter Schutzstellung gestellt. Die Angst der Bank, später für angeblich unautorisierte Vorgänge haften zu müssen, ist groß – der Kunde wird im Zweifel blockiert.
Diese Phase kann Wochen oder gar Monate dauern – und in dieser Zeit ist der Betroffene häufig nicht mehr handlungsfähig, selbst wenn er dazu noch in der Lage wäre. Rechtlich ist das nicht vorgesehen – praktisch ist es Alltag.
5. Besonders dramatisch für Unternehmer und Selbstständige
Für Unternehmer, Freiberufler oder Handwerker ist dieser Zustand oft existenzbedrohend. Konten können nicht mehr geführt, Rechnungen nicht mehr bezahlt, Mitarbeiter nicht mehr entlohnt werden. Auch Verträge, Kredite oder Steuerzahlungen geraten ins Stocken. In vielen Fällen kann der Betrieb nicht mehr weitergeführt werden, wenn der Inhaber ohne Zugriff auf sein Konto dasteht – vor allem dann, wenn es keine Prokura oder Kontovollmachten gibt.
Ohne aktive Mitwirkung des Betreuers geht dann nichts mehr – und genau diese Mitwirkung scheitert oft an der Realität.
6. Betreuungsverfahren dauern – und Betreuer kommunizieren selten verlässlich
Was den Zustand zusätzlich verschärft: Betreuungsverfahren dauern häufig lang. Ein medizinisches Gutachten, ein Anhörungstermin, eine gerichtliche Entscheidung – das kann sich über Wochen oder Monate hinziehen. Gleichzeitig ist die Kommunikation mit Betreuern, vor allem beruflichen, nicht selten schleppend. Für Angehörige oder Geschäftspartner ist niemand erreichbar, und selbst wichtige Entscheidungen bleiben auf der Strecke.
Das Ergebnis ist für viele Betroffene eine Mischung aus Machtlosigkeit, wirtschaftlicher Bedrohung und persönlichem Kontrollverlust. Unternehmer geraten nicht selten in Liquiditätsengpässe – bis hin zur Insolvenzgefahr.
7. Rechtliche Haftung – eine Illusion der Gerechtigkeit
Natürlich stellt sich die Frage: Haftet das Betreuungsgericht für die Verzögerung? Die Antwort ist ernüchternd: Zwar ist das Betreuungsgericht verpflichtet, Verfahren zügig zu führen – aber eine Haftung des Staates wegen überlanger Dauer ist in der Praxis kaum durchsetzbar. Auch die Haftung von Betreuern – etwa wegen Verzögerungen, unterlassener Kommunikation oder fehlerhafter Entscheidungen – ist mit hohem Aufwand und hohen Kosten verbunden. Und selbst wenn ein Betreuer haftet: Bis ein Urteil ergeht, ist oft alles zu spät.
Die rechtliche Betreuung soll Schutz bieten – und das ist richtig und wichtig. Aber solange die Banken auf reinen Verdacht hin den Kontozugang blockieren, geraten Betroffene faktisch in einen Zustand völliger Abhängigkeit. Für Unternehmer kann das existenzielle Folgen haben. Es ist höchste Zeit, dass Gerichte, Banken und Betreuer gemeinsam daran arbeiten, praxistaugliche, verantwortungsvolle Lösungen zu finden – ohne den rechtlichen Schutz in einen wirtschaftlichen Schaden zu verwandeln.

Wenn Sie selbst von einem Betreuungsverfahren betroffen sind – als Betroffener, Angehöriger oder Unternehmer –, berate ich Sie gerne. Ich helfe Ihnen, rechtliche Spielräume zu nutzen, den Kontakt zu Gerichten und Betreuern zu strukturieren und Ihre wirtschaftliche Handlungsfähigkeit zu sichern.
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