Darf der Arbeitgeber berufliche E-Mails mitlesen?
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Die Digitalisierung hat die Kommunikation im Arbeitsalltag grundlegend verändert. Dienstliche E-Mails sind heute ein zentrales Arbeitsmittel – nicht nur zur Korrespondenz mit Kunden, sondern auch intern im Unternehmen. In diesem Zusammenhang stellt sich regelmäßig die arbeitsrechtlich und datenschutzrechtlich brisante Frage: Darf der Arbeitgeber auf das dienstliche E-Mail-Konto eines Mitarbeiters zugreifen und dessen Nachrichten mitlesen?
Die Antwort hängt von mehreren Faktoren ab, insbesondere von der Erlaubnis oder dem Verbot privater Nutzung, vom Datenschutzrecht und – soweit vorhanden – von der Mitbestimmung des Betriebsrats. Arbeitgeber sind hier gut beraten, klare Regelungen zu treffen. Für Arbeitnehmer ist es wichtig zu wissen, welche Rechte sie haben.
Grundsatz: Berufliche E-Mails sind nicht automatisch frei zugänglich
Zwar stellt der Arbeitgeber in der Regel das E-Mail-Konto zur Verfügung und bleibt Eigentümer der technischen Infrastruktur – dennoch ist das Mitlesen von E-Mails keine Selbstverständlichkeit. Denn auch die Kommunikation über ein dienstliches Konto kann durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG), das Fernmeldegeheimnis (§ 88 TKG) und das Datenschutzrecht (DSGVO) geschützt sein.
Die Abwägung zwischen dem Direktionsrecht des Arbeitgebers und den Persönlichkeitsrechten des Arbeitnehmers ist entscheidend.
Maßgeblich: Ist die private Nutzung erlaubt oder untersagt?
Ein zentrales Kriterium für die Zulässigkeit des Mitlesens ist, ob die private Nutzung des dienstlichen E-Mail-Accounts ausdrücklich erlaubt, verboten oder geduldet ist.
Private Nutzung ist verboten
Hat der Arbeitgeber die private Nutzung des E-Mail-Kontos ausdrücklich untersagt – z. B. durch Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder schriftliche IT-Richtlinie – handelt es sich beim E-Mail-Verkehr ausschließlich um dienstliche Kommunikation.
In diesem Fall ist ein Zugriff auf das Postfach grundsätzlich zulässig, etwa:
zur Kontrolle von Arbeitsleistungen,
zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs (z. B. bei Krankheit oder Urlaub),
zur internen Dokumentation oder Nachvollziehbarkeit von Vorgängen.
Wichtig: Auch wenn die private Nutzung untersagt ist, muss der Zugriff verhältnismäßig und zweckgebunden erfolgen. Eine pauschale, dauerhafte oder verdachtsunabhängige Überwachung ist nicht zulässig.
Private Nutzung ist erlaubt oder geduldet
Erlaubt oder duldet der Arbeitgeber die private Nutzung – auch stillschweigend –, wird er datenschutzrechtlich wie ein Anbieter von Telekommunikationsdiensten behandelt. Dann gilt das Fernmeldegeheimnis nach § 88 TKG.
In diesem Fall ist das Mitlesen von E-Mails grundsätzlich unzulässig, es sei denn:
der Mitarbeiter hat ausdrücklich eingewilligt,
es liegt ein konkreter Verdacht auf strafbares Verhalten oder schwere Pflichtverletzungen vor und
die Maßnahme ist das letzte Mittel (Ultima Ratio).
Die private Mitnutzung macht den Zugriff also deutlich risikoreicher. Arbeitgeber sollten daher in ihrem eigenen Interesse klar regeln, ob und in welchem Umfang private Nutzung erlaubt ist.
Datenschutzrechtliche Rahmenbedingungen (DSGVO)
Unabhängig von der Frage der privaten Nutzung greift bei der Einsichtnahme in E-Mails regelmäßig das Datenschutzrecht. Denn dienstliche E-Mails enthalten in der Regel personenbezogene Daten – sei es des Absenders, Empfängers oder Dritter.
Gemäß der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ist jede Verarbeitung personenbezogener Daten nur erlaubt, wenn sie auf einer Rechtsgrundlage beruht (Art. 6 DSGVO).
Zulässige Rechtsgrundlagen können sein:
Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO: zur Erfüllung arbeitsvertraglicher Pflichten.
Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO: zur Wahrung berechtigter Interessen (z. B. IT-Sicherheit, Aufklärung von Pflichtverstößen).
Art. 6 Abs. 1 lit. c DSGVO: zur Erfüllung gesetzlicher Pflichten (z. B. Aufbewahrungspflichten nach HGB, AO).
Zusätzlich sind folgende Datenschutzgrundsätze einzuhalten (Art. 5 DSGVO):
Zweckbindung
Datenminimierung
Speicherbegrenzung
Transparenz
Integrität und Vertraulichkeit
Auch eine Interessenabwägung ist stets vorzunehmen. Der Zugriff darf nur erfolgen, wenn er geeignet, erforderlich und angemessen ist – etwa bei schwerwiegendem Verdacht auf Vertrags- oder Gesetzesverstöße.
Mitbestimmungspflicht des Betriebsrats
In Unternehmen mit Betriebsrat ist zusätzlich § 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zu beachten:
Die Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen, die das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer überwachen können, ist mitbestimmungspflichtig.
Dies gilt insbesondere für:
automatisierte E-Mail-Filter,
Archivierungssoftware,
Zugriffsmöglichkeiten durch Dritte.
Ohne die Zustimmung des Betriebsrats sind entsprechende Kontrollmaßnahmen rechtswidrig und damit unwirksam.
Rechtsprechung: Keine pauschale Überwachung zulässig
Die Rechtsprechung hat in den vergangenen Jahren mehrfach Leitlinien zur Einsichtnahme von E-Mails entwickelt:
LAG Niedersachsen, Urt. v. 31.05.2010 – 12 Sa 875/09: Der Zugriff auf dienstliche E-Mails ist bei Verbot der privaten Nutzung zulässig.
ArbG Mannheim, Urt. v. 15.09.2016 – 6 Ca 190/15: Auch bei erlaubter Privatnutzung kann bei konkretem Verdacht auf Pflichtverletzungen eine Auswertung gerechtfertigt sein – unter Beachtung des Datenschutzes.
EuGH, Urt. v. 05.09.2017 – C-13/16 (Barbulescu): Eine Überwachung der Kommunikation bedarf einer konkreten Interessenabwägung und vorheriger Information der Beschäftigten. Heimliche Kontrolle ohne Vorwarnung ist regelmäßig unzulässig.
Handlungsempfehlungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer
Für Arbeitgeber:
Klare Regelungen zur E-Mail-Nutzung im Arbeitsvertrag oder in einer IT-Richtlinie treffen.
Transparente Informationen über Kontrollmöglichkeiten bereitstellen.
Zugriffe dokumentieren und zweckgebunden ausgestalten.
Bei erlaubter Privatnutzung: Zugriffsrechte stark einschränken.
Mitbestimmungspflichten des Betriebsrats beachten.
Für Arbeitnehmer:
Klären, ob private Nutzung des E-Mail-Kontos erlaubt ist.
Sensible private Nachrichten über private Kanäle führen.
Bei unklaren Zugriffen: Akteneinsicht und Rechtsberatung in Erwägung ziehen.
Bei Verdacht auf unzulässige Überwachung: Datenschutzaufsicht oder Rechtsanwalt kontaktieren.
Fazit: Rechtssicherheit durch klare Kommunikation und Transparenz
Das Mitlesen dienstlicher E-Mails durch den Arbeitgeber kann unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein – aber niemals pauschal oder heimlich. Entscheidend ist, ob die private Nutzung erlaubt ist und ob die datenschutzrechtlichen Voraussetzungen eingehalten werden. Arbeitgeber sollten klare interne Regelungen schaffen, um Rechtssicherheit zu gewährleisten. Arbeitnehmer wiederum haben ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung – auch am Arbeitsplatz.
FAQ: Häufig gestellte Fragen
Darf mein Arbeitgeber meine E-Mails im Urlaub lesen?
Nur wenn die private Nutzung untersagt ist, darf der Arbeitgeber auf das Postfach zugreifen – etwa zur Bearbeitung dringender Vorgänge. Ist die private Nutzung erlaubt, sollte eine vorherige Einwilligung vorliegen oder eine automatische Weiterleitung eingerichtet werden.
Darf der Arbeitgeber heimlich meine E-Mails überwachen?
Nein, heimliche Kontrollen sind in aller Regel unzulässig. Es besteht eine Pflicht zur Information über Überwachungsmaßnahmen.
Kann ich kündigen, wenn mein Arbeitgeber meine privaten Mails gelesen hat?
Unter Umständen ja – insbesondere bei schwerwiegenden Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht. Ein solcher Vorfall kann einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 BGB darstellen.
Rechtsanwalt & Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. jur. Jens Usebach LL.M. von der kanzlei JURA.CC bearbeitet im Schwerpunkt das Kündigungsschutzrecht im Arbeitsrecht. Der Fachanwalt für Arbeitsrecht vertritt Mandanten außergerichtlich bei Aufhebungsverträgen und Abwicklungsverträgen bei der Kündigung des Arbeitsvertrages durch den Arbeitgeber. Soweit erforderlich erfolgt eine gerichtliche Vertretung bei der Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht mit dem Ziel für den Arbeitnehmer eine angemessene und möglichst hohe Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes, ein sehr gutes Arbeitszeugnis für zukünftige Bewerbungen oder auch die Rücknahme der Kündigung und die Weiterbeschäftigung zu erzielen.
Mehr Informationen unter www.JURA.CC oder per Telefon: 0221-95814321
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