Das Urteil für Björn Höcke wegen § 86a StGB - eine rechtliche Einschätzung

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Am 14. Mai 2024 wurde der AfD-Politiker Björn Höcke vom Landgericht Halle (Saale) wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a Strafgesetzbuch) verurteilt. Die Strafe wurde festgesetzt auf eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 130,00 Euro, mithin insgesamt 13.000,00 Euro.

Björn Höcke (geb. am 1. April 1972 in Lünen, Nordrhein-Westfalen) ist ein deutscher Politiker. Er ist Mitglied der Alternative für Deutschland (AfD) und seit 2014 Vorsitzender der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag. Darüber hinaus war er im März 2015 einer der Mitbegründer der rechtsextremen parteiinternen Gruppe „Der Flügel“, welche zumindest formell im März 2020 aufgelöst wurde.


Hintergrund des Verfahrens

Das Strafverfahren gegen den Politiker wurde geführt, weil dieser am 29. Mai 2021 im Rahmen seiner Wahlkampfrede seiner Partei in Merseburg (Sachsen-Anhalt) vor ca. 250 Zuhörenden „Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland“ gesagt haben soll.

Am 8. Juni 2021 erstattete der Politiker Sebastian Striegel (Bündnis 90/ Die Grünen) Strafanzeige gegen Höcke. Zwar verfügt er als Landtagsabgeordneter grundsätzlich über Immunität, sodass er vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt ist. Der Justizausschuss des Thüringer Landtages hat jedoch die Aufhebung seiner Immunität beschlossen und damit zunächst Ermittlungen gegen den Politiker und später auch eine Anklageerhebung ermöglicht.


Die Strafvorschrift des § 86a StGB 

Die Verurteilung erfolgte wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen nach § 86a StGB.  

Durch die Strafvorschrift soll primär der demokratische Rechtsstaat und der öffentliche Friede geschützt werden.

Im Vordergrund der Strafbarkeit steht das Tatobjekt „Kennzeichen“ von verbotenen Parteien oder Vereinigungen.

In § 86a Abs. 2 StGB sind einige Beispiele von Kennzeichen enthalten, konkret Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformeln. Zudem werden gleichermaßen auch Inhalte und Gegenstände erfasst, die solchen Kennzeichen zum Verwechseln ähnlich sind (Abs. 2 S. 2). Dabei kommt es darauf an, ob der Anschein eines Kennzeichens erweckt und dessen Symbolgehalt vermittelt wird.

Bei dem verwendeten Kennzeichen muss es sich aber einschränkend um eines einer verbotenen Partei oder Vereinigung im Sinne von § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 oder Abs. 2 StGB handeln.

Es werden also die gleichen Definitionen herangezogen, wie beim strafbaren Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (§ 86 StGB).

Bei einem bestehenden Zusammenhang zu einer Partei (Abs. 1 Nr. 1) ist erforderlich, dass diese von dem Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurde. Dies geschieht, wenn sie nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder gar zu beseitigen, beziehungsweise den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden (Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz).

Parteien oder Vereinigungen, welche vom Bundesverfassungsgericht unanfechtbar als Ersatzorganisationen einer verfassungswidrigen Partei festgestellt wurden.

Im Übrigen gilt für Vereinigungen (Abs. 1 Nr. 2), dass sie nach Art. 9 Abs. 2 GG verboten wurden, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Auch Ersatzorganisationen einer solchen Vereinigung sind umfasst.

Zudem sind Kennzeichen ehemaliger NS-Organisationen (Abs. 1 Nr. 4), d.h. der NSDAP, ihrer Gliederungen oder eines ihr angeschlossenen Verbandes, tatbestandlich.

Zuletzt gilt dies auch für terroristische Organisationen (Abs. 2), die im Anhang der Durchführungsverordnung (EU) 2021/138 des Rates als solche geführt werden, darunter beispielsweise die Hamas, Hisbollah-Mudschaheddin oder Kurdische Arbeitspartei (PKK).


Die Tathandlung besteht in der Verbreitung, Verwendung oder entsprechender Vorbereitungshandlungen durch die Herstellung, Ein- oder Ausfuhr oder das Vorrätighalten.   

Unter dem Verbreiten ist zu verstehen, dass der Inhalt körperlich weitergegeben wird, um ihn einem größeren, unkontrollierbaren Personenkreis bekannt zu machen.

Ein Verwenden liegt vor, wenn das Kennzeichen gebraucht und dadurch einer unüberschaubaren Anzahl an Personen wahrnehmbar gemacht wird. Dies gilt besonders für das Tragen, Ausstellen oder Vorführen.

Das Verwenden ist jedoch nur strafbar, wenn es öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Inhalten geschieht.


Die Vorbereitungshandlungen müssen in der Absicht vorgenommen werden, der Verbreitung oder Verwendung im In- oder Ausland zu dienen.

Herstellen ist insbesondere das Verfassen, Drucken oder Vervielfältigen. Die Ein- und Ausfuhr meint das Verbringen über die Grenze der Bundesrepublik Deutschland ins In- oder Ausland. Das Vorrätighalten erfasst den Besitz zum vorausgesetzten Zweck, wobei es nicht zwangsläufig um einen Vorrat im Sinne von größeren Mengen geht.


Der Tatbestand wird wegen des Sinnes und Zweckes der Vorschrift insofern begrenzt, als dass diejenigen Handlungen ausgenommen werden, die dem Schutzzweck der Norm erkennbar nicht zuwiderlaufen. Dies ist beispielsweise anzunehmen, wenn das Kennzeichen offenkundig zum Zwecke der Kritik eingesetzt wird oder erkennbar karikaturhafter Verwendungsweise.

Zudem ist keine Strafbarkeit gegeben, wenn die Handlung legitimen Zwecken dient. Ausdrücklich genannt sind hierbei Zwecke der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, Forschung oder Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte (vgl. § 86a Abs. 3 i.V.m. § 86 Abs. 4 StGB). Auch diesen ähnelnde Zwecke kommen in Betracht.


Entscheidend ist zudem, inwieweit vorsätzlich gehandelt wurde, d.h. insbesondere die tatsächlichen Voraussetzungen für die Charakterisierung als Kennzeichen bekannt waren. Dabei ist das Bewusstsein „irgendein“ verbotenes Kennzeichen zu verwenden nicht ausreichend, in der Regel bedarf es der Zuordnung zu einer bestimmten Organisation.


Die strafbare Handlung von Björn Höcke 

Die Formulierung „Alles für Deutschland“ stellt ein Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation dar.  

Es handelt es sich um eine verbotene Parole der paramilitärischen „Sturmabteilung“ der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeitspartei (NSDAP) während der Weimarer Republik. Sie war unter anderem auch auf den Ehrendolchen der SA eingraviert.


Die tatbestandliche Handlung besteht in diesem Fall in der öffentlichen Verwendung. Der Rahmen des Ausspruches war eine Wahlkampfrede vor rund 250 Personen. Dabei handelt es sich um eine für den Politiker unüberschaubare Anzahl von Personen, welche die Parole wahrnehmen konnten.

Nicht ersichtlich war ein legitimer Zweck oder sonstige außerhalb der tatbestandlichen Grenzen liegende Handlung.


Für den Vorsatz kam es darauf an, ob der Politiker wusste, dass es sich bei dem Ausspruch um eine SA-Losung handelt.

Zwar berief sich Höcke maßgeblich darauf nicht gewusst zu haben, dass dies eine verbotene Parole mit NS-Bezug darstellt, welche heutzutage kaum noch bekannt sei. Zu seiner Verteidigung führte er zudem aus, dass er mit dem Ausspruch lediglich auf das AfD-Programm für die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt nehmen wollte, welches unter dem Titel „Alles für unsere Heimat“ lief.

Dabei ist ihm jedoch insbesondere entgegengehalten worden, dass eine fehlende Kenntnis als studierter Historiker sowie ehemaliger Geschichtslehrer nicht nachvollziehbar und unglaubhaft sei. „Sie sind ein redegewandter, intelligenter Mann, der weiß, was er sagt“ erklärte der Vorsitzende Richter im Rahmen der Urteilsverkündung.


Schlussendlich hat das Gericht alle Strafbarkeitsvoraussetzungen bejaht und ist im Ergebnis zu einer Verurteilung des Politikers gekommen.


Die verhängte Strafe 

Der Strafrahmen des § 86a StGB sieht eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vor.

Höcke wurde durch das Gericht zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 130,00 Euro (insgesamt 13.000 Euro) verurteilt.


Geldstrafen werden in sogenannten Tagessätzen verhängt. Dabei wird unterschieden zwischen der Tagessatzanzahl und der Tagessatzhöhe.

Die Anzahl der Tagessätze stellt dabei die eigentliche Strafe dar, während die Höhe lediglich für eine gleichmäßige und „gerechtere“ Belastung bei unterschiedlich finanziell aufgestellten Personen, aber gleicher Tat sorgt.

Die Tagessatzanzahl kann zwischen fünf und 360 Tagessätzen liegen (§ 40 Abs. 1 S. 2 StGB). Die höchstens zu verhängende Tagessatzanzahl kann durch gesetzliche Regelungen jedoch auch geringer sein.

Die Tagessatzhöhe kann zwischen 1 Euro und 30.000 Euro liegen (§ 40 Abs. 2 S. 3 StGB) und wird gemessen an den wirtschaftlichen Verhältnissen der angeklagten Person, insbesondere dem durchschnittlichen täglichen Nettoeinkommen zum Zeitpunkt der Entscheidung.

Ausgangspunkt für die Berechnung ist das monatliche Nettoeinkommen, von welchem bestimmte Belastungen abgezogen werden können, beispielsweise für Unterhaltverpflichtungen.

Die Tagessatzhöhe bemisst sich dann schlussendlich daran, dass das Nettomonatseinkommen nach Abzug durch 30 (Tage) geteilt wird.


Die Strafe von Björn Höcke liegt bei 100 Tagessätzen. Bei einer Strafe über 90 Tagessätzen folgt ein Eintrag in das Führungszeugnis, woraus sich eine Vorstrafe ergibt.

Die Staatsanwaltschaft hat eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung beantragt zuzüglich einer Zahlung von 10.000 Euro möglichst an eine gemeinnützige Organisation, während sein Verteidiger einen Freispruch gefordert hat.


Zur Einordnung der verhängten Strafe ein Vergleich mit ähnlich gelagerten Fällen:

  • Ausruf „Heil Hitler“ aus dem Fenster der eigenen Wohnung: 60 Tagessätze (AG Köln, Urteil vom 22.02.2023 – 534 Ds 169/22)


  • Unterlassen der Entfernung einer Abbildung von dem Rollladen des Infoladens eines Arbeitsjugendzentrums welche die Flagge der ERNK (nationale Befreiungsfront Kurdistans, einer verbotenen Teilorganisation der PKK) im Hintergrund hat, trotz Aufforderung der Polizei: 30 Tagessätze (AG Bielefeld, Urteil vom 23.09.2019 – 800 Cs 61/19).


  • Transport von 100 schwarzen T-Shirts mit u.a. dem Aufdruck „Blood & Honour“ (engl. „Blut und Ehre“, eine Parole der Hitlerjugend), welche zum Verbreiten bestimmt waren: 120 Tagessätze (LG Gera, Urteil vom 12.12.2008 – 103 Js 41310-05 1 KLs (1)/20; jedoch Aufhebung durch den BGH, Urteil vom 13.08.2009 – 3 StR 228/09)


Die Höhe von 130,00 EUR je Tagessatz würde ein Nettomonatseinkommen inklusive Abzügen von 3.900,00 EUR bedeuten.

Zumindest vor dem Hintergrund einer monatlichen Diät in Höhe von 6.548,12 Euro für Landtagsabgeordnete in Thüringen scheint dies eine angemessene Höhe zu sein.


Aussichten in dem Verfahren 

Wie unmittelbar nach dem Urteil angekündigt, legte der Verteidiger des AfD-Politikers Revision ein. Das Urteil ist daher noch nicht rechtskräftig.

Auch die Staatsanwaltschaft prüft in diesem Zusammenhang, ob sie das Rechtsmittel der Revision einlegen werde.


In der Revision wird das Urteil durch eine höhere Instanz, hier den Bundesgerichtshof auf Rechtsfehler geprüft. Sollte das Revisionsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass ein solcher Fehler vorliegt, kann es das Urteil aufheben und an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückweisen. Grundsätzlich könnte das der Bundesgerichtshof Höcke auch freisprechen, in der Praxis kommt dies jedoch nur selten vor.

Der Verteidiger sieht hier insbesondere den Grundsatz „in dubio pro reo“ („Im Zweifel für den Angeklagten“) im Hinblick auf die vorsätzliche Begehungsweise verletzt.

Inwieweit Höcke schlussendlich wegen dieser Formulierung bestraft wird, hängt nunmehr von der Entscheidung des Bundesgerichtshofes ab.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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