Die 10-Jahresfrist bei der Arglistanfechtung

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Der BGH hat im November 2015 ein Urteil zur Anfechtungsfrist im Falle arglistiger Täuschung verkündet (BGH, Urteil vom 25.11.2015 – IV ZR 277/14). Das Urteil ist an sich nur klarstellend, bestätigt, was der Gesetzestext uns ohnehin sagt und ändert nichts an der Rechtslage. Trotzdem scheint diese Entscheidung von Versicherern, Vermittlern und Juristen im Allgemeinen besonders beachtet worden zu sein.  Deshalb soll an dieser Stelle auf diese Entscheidung eingegangen werden.

Um zu verstehen, worum es hier geht, muss man sich in Kürze den Fall vereinfacht und abstrahiert vor Augen führen.

Der Versicherungsnehmer war bereits seit 1990 schwer erkrankt, was er wusste. Im Februar/ März 2002, mit Vertragsschluss zum April 2002, schloss er unter Beantwortung von Gesundheitsfragen eine Lebensversicherung (LV) mit angeschlossener Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZ) zur Deckung der Prämien bzw. Beiträge für die LV im Falle seiner BU ab.  Seine ihm bekannte Vorerkrankung verschwieg er aber bei Antragsstellung. Seit 2008 war der Versicherungsnehmer unstreitig berufsunfähig, stellte jedoch erst 2012 Leistungsansprüche aus der BUZ. Im Juli 2012 focht der Versicherer die Vertragserklärung aus dem Jahr 2002 wegen arglistiger Täuschung an und lehnte eine Beitragsfreistellung des Versicherten in der LV ab.

Die Prozessbevollmächtigten des Versicherungsnehmers prüften sodann natürlich als erstes, ob eine Anfechtung überhaupt noch wirksam möglich gewesen war. Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ist im Versicherungsrecht in § 22 VVG geregelt. Zu den Fristen steht dort aber nichts drin. Und hier muss man zwangsläufig auf das Bürgerliche Gesetzbuch Rückgriff nehmen. Dort ist die Anfechtung wegen Täuschung in den §§ 123 und 124 BGB geregelt. Danach kann die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nur binnen Jahresfrist erfolgen, beginnend ab Kenntnis des Anfechtungsgrundes. Aber es gibt in § 124 BGB auch eine absolute Ausschlussfrist für die Anfechtung. Danach ist diese in jedem Falle ausgeschlossen, wenn seit Abgabe der Vertragserklärung zehn Jahre verstrichen sind. In unserem Fall war es so, dass der Versicherungsvertrag im April 2002 geschlossen wurde. Die Anfechtung erfolgte jedoch erst im Juli 2012, mithin, nachdem bereits über zehn Jahre seit Vertragsbeginn verstrichen waren. Damit war eine wirksame Anfechtung ausgeschlossen. Folgerichtig verfolgte der Versicherungsnehmer (nach dessen Tod dessen Witwe) den Leistungsanspruch gerichtlich weiter.

Im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzung wurde sodann die Frage aufgeworfen, ob nicht trotz des unstreitigen Ablaufs der 10-Jahresfrist die Anfechtung nicht doch noch wirksam möglich gewesen war. Und zwar sah das Berufungsgericht, das OLG Stuttgart, einen Widerspruch des § 22 VVG (Anfechtung) zu § 21 Abs. 3 VVG (Rücktritt).

 21 Abs. 3 VVG lautet wie folgt:

„Die Rechte des Versicherers nach § 19 Absatz 2 bis 4 erlöschen nach Ablauf von fünf Jahren nach Vertragsschluss; dies gilt nicht für Versicherungsfälle, die vor Ablauf dieser Frist eingetreten sind. Hat der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht vorsätzlich oder arglistig verletzt, beläuft sich die Frist auf zehn Jahre.“

Geht es bei der Arglistanfechtung um die Frist zwischen Versicherungsbeginn und den Zugang der Anfechtungserklärung (maximal zehn Jahre), kommt es bei der Berechnung der Frist für den Rücktritt auf die Zeit zwischen Versicherungsbeginn und Versicherungsfall an. Der Versicherungsfall lag hier im Jahr 2008, mithin nur sechs Jahre nach Vertragsschluss. Seitdem war der Versicherungsnehmer unstreitig berufsunfähig.

Mithin meinte das Berufungsgericht, dass in Ansehung von § 21 Abs. 3 Satz 2 VVG, wonach zumindest dem Wortlaut nach (die Kommentierung sieht dies anders, vgl. Prölss in Prölss / Martin, VVG Kommentar, 28 Auflage, § 21 Rand Nr. 31 m. w. Nachw.) bei Vorsatz und Arglist der Rücktritt auch noch möglich ist, wenn der Versicherungsfall innerhalb von zehn Jahren eintritt, auch die Anfechtung noch im Juli 2012 möglich gewesen sein könnte.   

Einfacher gesagt: Was für die Möglichkeit des Rücktritts im Fall von Vorsatz und Arglist gelte, müsse auch für die Anfechtung gelten, mit der Folge, dass es auch für die Anfechtung auf den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls ankäme und nicht auf die Zeit zwischen Vertragsschluss und Anfechtungserklärung. Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, so das Berufungsgericht, müsse diese Einschränkung der zehnjährigen Ausschlussfrist des § 21 Abs. 3 Satz 2 VVG erst recht für die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gelten.

Die Frage ist dem BGH vorgelegt worden. Der BGH hat für Klarstellung gesorgt: § 21 Abs. 3 VVG befasse sich nur mit den Rechten des Versicherers nach § 19 Abs. 2 bis 4 VVG, also mit Kündigung und Rücktritt. § 21 VVG habe nichts mit der Arglistanfechtung zu tun. Das hat der BGH im Einzelnen noch näher erläutert, um es auch systematisch einzuordnen. Der Einfachheit halber wird an dieser Stelle nicht weiter darauf eingegangen.

Im Ergebnis ist das Urteil nicht überraschend, obwohl es offenbar viel Staub aufgewirbelt hat. Den Praktiker muss verwundern, dass das Berufungsgericht überhaupt die dann vom BGH zu beantwortende Frage dort vorgelegt hat. Die Gesetzeslage ist klar, wie auch klar war und ist, dass § 21 Abs. 3 Satz 2 VVG als Anpassung der Rücktrittsmöglichkeiten an die Regelungen zur Anfechtung gedacht war und nicht umgekehrt. Immerhin ist die Anfechtung mit den damit verbundenen Wirkungen für den Versicherungsnehmer die im Verhältnis zum Rücktritt schärfere Sanktion. Hier gibt es keine Regelungslücke und keinen Widerspruch.

Nicht ausgeschlossen ist allerdings in anderen Fällen, in denen nach über zehn Jahren nach Vertragserklärung wegen Arglist angefochten wird, dass der Versicherer dieser ganz offensichtlichen Verfristung versucht, mit dem Argument, zu begegnen, die Überschreitung führe nicht zur Unwirksamkeit der Anfechtung, weil man im Rückgriff auf § 21 Abs. 3 VVG auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalles abstellen müsse. Und insofern ist diese Entscheidung des BGH natürlich wichtig, wie es für Rechtsanwälte und Richter wichtig ist, sie zu kennen.

Das Urteil macht auch noch weitere Aussagen, die für den Praktiker wichtig sein könnten. Denn es stand in dem hier zitierten Rechtsstreit auch in Rede, ob der Versicherer nicht auch auf Anspruchsgrundlagen aus dem BGB zurückgreifen kann, um dem vom Versicherungsnehmer  geltend gemachten Anspruch zu begegnen. Der Versicherer ärgerte sich nachvollziehbar, dass der Versicherungsnehmer Jahre mit der Geltendmachung der Versicherungsleistung (2012) nach Eintritt des Versicherungsfalls (2008) gewartet hatte. Er warf dem Versicherungsnehmer Verstoß gegen Treu und Glauben vor, berief sich auf Verschulden bei Vertragsschluss wegen Täuschung und erhob die in § 853 BGB normierte Arglisteinrede wegen unerlaubter Handlung. Diesen Ansprüchen hat der BGH eine klare Absage erteilt, weil die Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) nun mal spezieller als die des BGB sind.

In der Quintessenz hat sich also nichts mit dieser Entscheidung geändert. Zehn Jahre sind zehn Jahre. Anfechtung ist Anfechtung. Rücktritt ist Rücktritt. Jede dieser dem Versicherer offenstehenden Möglichkeiten hat ihre eigenen Regelungen im VVG. Aber nun haben Rechtsanwälte, die den Versicherungsnehmer vertreten, ein weiteres höchstrichterliches Urteil als Argument gegen die Versicherer in der Hand. Denn eines ist klar: Dieses Urteil dient vor allem dem Versicherungsnehmer.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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