Die teure Folge einer unwirksamen Kündigung

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„Ohne Arbeit kein Lohn.“ 

Dieser fundamentale Grundsatz kennt eine gewichtige Ausnahme. Diese bekam zuletzt das Land Nordrhein-Westfalen zu spüren. Es musste einem gekündigten Lehrer 23.653,92 Euro zahlen, weil die Kündigung unwirksam war (ArbG Essen, Urteil vom 16.08.2022 – Az. 2 Ca 650/22). Diese Entscheidung soll Anlass sein, einen Blick auf die Frage zu werfen, welche erheblichen finanziellen Folgen eine unwirksame Kündigung für Arbeitgeber haben kann und spiegelbildlich, welche Ansprüche Arbeitnehmer bei einer unwirksamen Kündigung haben.


Der Annahmeverzugslohn


Der Ablauf, der zum geschilderten Zahlungsanspruch des Arbeitnehmers führt, ist wie folgt: 

Der Arbeitgeber kündigt seinem Arbeitnehmer außerordentlich fristlos oder ordentlich. Dieser klagt beim Arbeitsgericht gegen die Kündigung – und gewinnt. Das Arbeitsgericht stellt fest, dass die Kündigung unwirksam ist. Daher war das Arbeitsverhältnis nie beendet. Im Regelfall wird der Arbeitnehmer für den Fall der gerichtlichen Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung zugleich beantragen, seinen Lohn für die Zeit, in der er gekündigt war und nicht arbeiten konnte, vom Arbeitgeber zu erhalten.


Hierbei handelt es sich um den so genannten Annahmeverzugslohn.


Dieser ist zu zahlen, wenn der Arbeitgeber sich nach § 615 S. 1 BGB im sogenannten Annahmeverzug befindet. Im Fall der unwirksamen Kündigung liegt Annahmeverzug des Arbeitgebers vor. Denn der Arbeitgeber wird mit Eintritt der Wirkung seines Kündigungsschreibens den Arbeitnehmer nicht mehr beschäftigen, da er das Arbeitsverhältnis für beendet hält. Klagt nun der Arbeitnehmer und gelangt das Arbeitsgericht zu einer anderen Auffassung als der Arbeitgeber, war die Kündigung von Anfang an unwirksam und daher hätte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer beschäftigen und den Lohn zahlen müssen. Da er dies nicht tat, hat der Arbeitnehmer gemäß §§ 615 S. 1, 611 I BGB Anspruch auf den nicht bezahlten Arbeitslohn. Erfasst ist nicht nur die Grundvergütung, sondern auch sonstige Leistungen mit Entgeltcharakter wie beispielsweise Tantiemen und das 13. Monatsgehalt.
Da ein Kündigungsschutzprozess mehrere Monate oder, sofern er durch mehrere Instanzen geht, Jahre dauern kann, können auf den Arbeitgeber erhebliche Zahlungspflichten zukommen.


Fehlende Leistungsfähigkeit


Allerdings besteht kein Anspruch des Arbeitnehmers auf Annahmeverzugslohn, wenn dieser während des Zeitraums zwischen dem Eintritt der Kündigungswirkung und dem Urteil des Arbeitsgerichtes nicht leistungsfähig oder leistungswillig war, § 297 BGB. Der Arbeitgeber muss darlegen und beweisen, dass der Arbeitnehmer entweder nicht leistungsfähig oder nicht leistungswillig war (BAG NZA 2012, 858, 859). Es reicht jedoch aus, dass der Arbeitgeber konkrete Indizien hierfür nennt. Sodann ist es Sache des Arbeitnehmers, diese zu erschüttern. Erst wenn dem Arbeitnehmer dies gelingt, tritt die Beweispflicht des Arbeitgebers ein. Zur Anschaulichkeit folgender Fall (angelehnt an BAG, NZA 2012, 858): 

Der Arbeitnehmer war lange Zeit erkrankt. Der Arbeitgeber kündigte ihm. Später stellte das Arbeitsgericht fest, dass die Kündigung unwirksam war. Bei der Frage des Annahmeverzugslohns machte der Arbeitgeber im Gerichtsprozess nun geltend, dass der Arbeitnehmer auch während des Rechtsstreits erkrankt und somit gar nicht leistungsfähig war. Als Indiz reichte es hier, dass der Arbeitgeber auf die lange Krankschreibung vor der Kündigung verwies. Denn daraus folgt laut Bundesarbeitsgericht eine Vermutung, dass der Arbeitnehmer auch nach der Kündigung krank war. Der Arbeitnehmer muss hier Gegenindizen vortragen, indem er etwa seinen behandelnden Arzt von der Schweigepflicht freistellt.


Anrechnung von Einkünften


Hat der Arbeitnehmer während der schwebenden Frage, ob die Kündigung unwirksam ist, eine andere Arbeit und hieraus Einkünfte, wird dies vom Annahmeverzugslohn abgezogen (BAG, NZA 2006, 736). Dies stellen § 615 S. 2 BGB und § 11 Nr. 1 KSchG klar. Bei der Frage der Anrechnung aufgrund anderer Einkünfte geht es um die Frage, was der Arbeitnehmer verdient hat, weil seine Arbeitskraft durch die Kündigung frei wurde. Nicht abzuziehen wären etwa Einkünfte, die der Arbeitnehmer sowieso hat, etwa weil er Vermieter einer Wohnung ist. Aber Obacht: handelt es sich nur um eine erlaubte Nebentätigkeit, die der Arbeitnehmer auch während der regulären Arbeit beim Alt-Arbeitgeber hätte tätigen können, kann der Arbeitgeber dies nicht vom Annahmeverzugslohn abziehen.
Hinzuweisen ist noch darauf, dass der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig bezüglich anderweitiger Einkünfte des Arbeitnehmers ist. Jedoch hat er gegenüber dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Auskunft über erzielte Einkünfte. Dieser Anspruch folgt aus § 74 c II HGB analog. Bei Zweifeln über die Einkünfte kann der Arbeitgeber eine eidesstaatliche Versiche-rung vom Arbeitnehmer verlangen.


Böswilliges Unterlassen zumutbarer Arbeit


Der Arbeitnehmer darf es gemäß § 615 S. 2 BGB und § 11 Nr. 2 KSchG nicht böswillig unterlassen, eine zumutbare Arbeit anzunehmen. Dahinter steht der Grundsatz, dass der Arbeitnehmer nicht absichtlich den Annahmeverzugslohn in die Höhe treiben darf. Es handelt sich mithin um eine Art Schadensminderungspflicht. Zu diesen Pflichten gehört unter anderem, Jobangebote entgegen zu nehmen und je nach Jobangebot auch, sich zu bewerben. Jedoch hat das BAG auch klargestellt, dass keine Pflicht des Arbeitnehmers zur Meldung als arbeitssuchend bei der Agentur für Arbeit besteht (BAG NZA 2001, 26). Der Arbeitgeber ist zwar beweispflichtig für die Tatsache des böswilligen Unterlassens, kann aber vom Arbeitnehmer verlangen, Auskunft zu erteilen über Jobangebote. Dies folgt aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, § 242 BGB. Der Arbeitnehmer muss nicht jede Tätigkeit annehmen. Aufgrund der grundgesetzlich garantierten Berufsfreiheit muss das Jobangebot zumutbar sein. Zumutbar ist eine Tätigkeit, die den Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen des Arbeitnehmers sowie seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. So muss der Arbeitnehmer nicht eine Arbeit annehmen, bei der er wesentlich weniger verdienen würde oder einen erheblich gerin-geren Status hätte.


Arbeitslosengeld


Auch das Arbeitslosengeld I und II ist vom Annahmeverzugslohn abzuziehen. Dies folgt aus § 11 Nr. 3 KSchG. Außerdem muss sich der Arbeitnehmer die durch die Agentur für Arbeit als Arbeitnehmeranteil abgeführten Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung „anrechnen“ lassen. Für den Arbeitgeber bringt dies im Ergebnis jedoch keinen Vorteil: Der Anspruch des Arbeitnehmers geht nach § 115 I SGB X auf den Sozialleistungsträger über. Konkret bedeutet dies: Würde der Arbeitnehmer bei einer Klage nach unwirksamer Kündigung den vollen Arbeitslohn verlangen, wird das Gericht die Klage teilweise abweisen, weil er das Arbeitslosengeld hätte abziehen müssen. Jedoch wird die Agentur für Arbeit den Betrag in der Höhe, in der sie das Arbeitslosengeld gezahlt hat, vom Arbeitgeber einfordern.


Was tun?


Eine Kündigung wirft viele Tücken auf und kann für den Arbeitgeber teuer werden. Nicht ohne Grund einigen sich viele Arbeitgeber mit ihren Arbeitnehmern, die sie kündigen wollen, auf eine Abfindung und schließen einen Aufhebungsvertrag. Eine andere Lösung ist die Schaffung eines Prozessarbeitsverhältnisses, um dem Annahmeverzugslohn zu entgehen. Hierbei wird der gekündigte Arbeitnehmer zu den bisherigen Bedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits weiterbeschäftigt. Dem Arbeitnehmer ist die Annahme dieses Angebotes jedenfalls dann zumutbar, wenn die Kündigung personen- oder betriebsbedingt war, nicht jedoch bei einer verhaltensbedingten Kündigung.


Wir empfehlen daher jedem Arbeitgeber, eine geplante Kündigung vorher rechtlich prüfen zu lassen. Für Arbeitnehmer empfiehlt es sich ebenso, die ergangene Kündigung rechtlich prüfen zu lassen, da im Fall ihrer Unwirksamkeit erhebliche Zahlungsansprüche gegen den Arbeitgeber bestehen können.

Weitere Informationen finden Sie unter:

www.rechtsanwaelte-lindemann.de
www.arbeitsrecht-spandau.de

Rechtsanwalt Stephan Kersten

Fachanwalt für Arbeitsrecht

Foto(s): LINDEMANN Rechtsanwälte

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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