Die Untersuchungshaft nach § 112 StPO: das schärfste Schwert der Ermittler

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Die Freiheitsentziehung ist die schärfste Maßnahme, die der Staat gegen seine Bürger ergreifen kann. Daher bedarf eine solche Maßnahme, egal ob Vollstreckungshaft oder Untersuchungshaft, immer einer genauen Begründung. In diesem ersten von insgesamt drei Teilen soll es um die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Untersuchungshaft gehen. 

Während für die Verurteilung eines Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe (und natürlich auch zu einer Geldstrafe) die zweifelsfreie Gewissheit des Gerichts, dass der Angeklagte schuldig ist, erforderlich ist, bedarf es bei der Untersuchungshaft lediglich eines dringenden Tatverdachts, eines Haftgrundes und der Verhältnismäßigkeit der Haft.

Dringender Tatverdacht: kurze Abgrenzung

Die deutsche Strafprozessordnung kennt verschiedene Verdachtsarten. 

Wenn ein Anfangsverdacht vorliegt, beginnt die Staatsanwaltschaft bzw. ihre Ermittlungspersonen (meistens die Polizei) mit Ermittlungen. Es dürfen Hausdurchsuchungen und Vernehmungen vorgenommen werden sowie alle weiteren Maßnahmen, die notwendig sind, um den Sachverhalt aufzuklären. 

Der hinreichende Tatverdacht ist für die Staatsanwaltschaft wichtig, wenn sie Anklage bei einem Gericht erheben will. Liegt dieser nicht vor, kann die Staatsanwaltschaft keine Anklage erheben. Der hinreichende Tatverdacht liegt vor, wenn die Wahrscheinlichkeit der Verurteilung höher ist als die eines Freispruches. 

Der dringende Tatverdacht wird für die Anordnung der Untersuchungshaft benötigt. Dieser liegt vor, wenn eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer verfolgbaren Straftat ist. Ob diese hohe Wahrscheinlichkeit gegeben ist, wird danach bewertet, was die bisherigen Ermittlungen gebracht haben. Es ist also immer die Bewertung einer aktuellen Ermittlungssituation. 

Diese drei Verdachtsarten sind nicht so zu verstehen, dass der Anfangsverdacht eine ganz niedrige, der hinreichende eine mittlere und der dringende eine sehr hohe Verdachtsart ist. Alle haben unterschiedliche Voraussetzungen und müssen immer voneinander getrennt betrachtet werden. 

Man kann stark vereinfacht sagen, den Anfangsverdacht braucht man immer, den dringenden und den hinreichenden nur in bestimmten Fällen. 

Wann nimmt die Staatsanwaltschaft einen dringenden Tatverdacht an? 

Dies ist immer von der Beweis- und Ermittlungssituation abhängig. Wenn z. B. die Fingerabdrücke eines Verdächtigen auf der Tatwaffe sind und er mit dem Opfer Streit hatte, könnte der dringende Tatverdacht angenommen werden. Wenn derselbe Verdächtige aber für den Tatzeitpunkt ein Alibi hat, wird die Annahme eines dringenden Tatverdachtes schon schwieriger, obwohl Fingerabdrücke und Motiv immer noch dafürsprechen. Ohne die genauen Umstände des Falles zu kennen, kann ihnen kaum ein Anwalt seriös sagen, ob die Annahme eines dringenden Tatverdachtes rechtlich sauber getroffen wurde.

Der Haftgrund: oft übergangen!

Als zweite Voraussetzung braucht es einen Haftgrund. Die Haftgründe sind in der StPO aufgelistet. Die Haftgründe in § 112 StPO sind Flucht, Fluchtgefahr, Verdeckungsabsicht und in § 112a StPO die Wiederholungsgefahr. 

Flucht liegt vor, wenn der Verdächtige sich bereits der Strafverfolgung entzogen hat, indem er sich abgesetzt hat oder untergetaucht ist. 

Die Fluchtgefahr ist da schon schwieriger zu bestimmen. 

Sie liegt vor, wenn jemand verdächtig ist, sich der Strafverfolgung durch Flucht zu entziehen. Hier muss die Behörde also eine Prognoseentscheidung treffen. In die Entscheidung müssen u. a. mit einfließen, welche Fähigkeiten der Beschuldigte hat. Spricht er z. B. mehrere Sprachen oder hat er viele Freunde im Ausland. Hat er schon einmal längerer Zeit im Ausland verbracht. Besitzt er bereits ein Flugticket (auch ggf. für einen anderen Zweck). Hat er Geld auf ausländischen Konten. Ist er beruflich und gesellschaftlich gebunden oder eher frei. 

Natürlich spielt auch die schwere der zu erwartenden Strafe eine Rolle, sie darf aber niemals einziges Kriterium für diesen Haftgrund sein. 

Dieser Haftgrund wird sehr häufig von den Behörden angenommen. 

Ein weiterer Haftgrund liegt vor, wenn der Beschuldigte einer Tat nach § 112 Absatz 3 StPO dringend verdächtig ist. Hierbei handelt es sich um besonders schwere Taten wie Mord und Totschlag, aber auch die besonders schweren Fälle der Brandstiftung werden erfasst. 

Auch der Haftgrund der Wiederholungsgefahr nach § 112a StPO kommt des Öfteren vor. Er findet vor allem Anwendung bei Sexualdelikten. Aber auch Delikte wie Betrug können zur Annahme dieses Haftgrundes führen. 

Für alle Haftgründe ist notwendig, dass Hinweise vorliegen müssen, die es aus Sicht der ermittelnden Behörde als wahrscheinlich erscheinen lassen, dass dieser Haftgrund vorliegt. Ausgenommen sind hierbei der Haftgrund der Wiederholungsgefahr und die Katalogtaten nach § 112 Absatz 3 StPO. Dafür reicht es aus, dass dringender Tatverdacht bezüglich einer der in §§ 112, 112a StPO genannten Straftaten vorliegt. 

Verhältnismäßigkeit: die letzte Instanz

Weiterhin muss die Anordnung der Untersuchungshaft verhältnismäßig sein.

Das Bundesverfassungsgericht führt aus, dass Untersuchungshaft aufgrund der durch Artikel 2 Absatz 2 GG garantierten Freiheit der Person und der Unschuldsvermutung des Artikel 6 Absatz 2 MRK nur angeordnet und aufrechterhalten werden darf, wenn überwiegende Interessen des Gemeinwohls das zwingend gebieten. 

Hierbei kommt der in dem Haftbefehl angegebenen Tat eine besondere Bedeutung zu. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist eine Freiheitsentziehung durch Untersuchungshaft unverhältnismäßiger, je geringer die Bedeutung der Straftat für die Rechtsgemeinschaft ist. Eine Untersuchungshaft bei dem Verdacht des Diebstahls einer Packung Kaugummi wird verständlicherweise unverhältnismäßig sein. Beim Verdacht auf eine Brandstiftung wird man das wohl schon anders sehen.

Fazit

Die Prüfung, ob eine Untersuchungshaft nötig und möglich ist, ist juristische Schwerstarbeit. Die gesetzlichen Voraussetzungen hat die Staatsanwaltschaft zu überprüfen, wenn sie den Erlass eines Haftbefehls beantragen will. Aber auch ein Richter und der Strafverteidiger müssen jeder Zeit diese Punkte prüfen, wenn es um eine Untersuchungshaft geht. 

Ausblick

Im nächsten Rechtstipp zeige ich Ihnen die prozessualen Voraussetzungen auf, die die Staatsanwaltschaft beachten muss, wenn sie gegen einen Beschuldigten die Untersuchungshaft beantragen möchte. Hier spielt das Thema des Haftbefehls und dessen prozessuale Voraussetzungen eine Rolle. Im dritten Teil geht es um die Verteidigung gegen einen Haftbefehl.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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