Erbengemeinschaft: Kündigung eines Darlehens gegenüber einem Miterben mit Stimmenmehrheit

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Wie geschieht die Verwaltung eines Nachlasses, wenn mehrere Erben vorhanden sind?

Geht der Nachlass im Erbfall auf mehrere Erben über, so wird er grundsätzlich von der dann entstehenden Erbengemeinschaft verwaltet. Die Miterben bilden mit dem Eintritt des Erbfalls per Gesetz eine bestimmte Form der Vermögensgemeinschaft, und zwar eine „Gemeinschaft zur gesamten Hand” bzw. „Gesamthandsgemeinschaft”. Außerhalb des Erbrechts bestehen solche Gemeinschaften zum Beispiel auch bei der BGB-Gesellschaft und bei der ehelichen Gütergemeinschaft.

Kennzeichen der Gesamthandsgemeinschaft ist, dass Rechte und Verbindlichkeiten den Gesamthändern in dieser Eigenschaft jeweils in vollem Umfang als gemeinschaftliches Vermögen zustehen und nicht etwa nach Bruchteilen. Die Aufteilung der Nachlassgegenstände auf die einzelnen Miterben geschieht erst bei der Beendigung der Erbengemeinschaft durch Auseinandersetzung. Bis dahin gehört gleichsam „allen alles”. Die Verwaltung des Gesamthandsvermögens (Nachlass) erfolgt daher durch alle Erben gemeinschaftlich. Die Maßnahmen der Verwaltung müssen folglich einstimmig beschlossen werden.

Gibt es Ausnahmen vom Prinzip der Einstimmigkeit?

Das Erfordernis der gemeinschaftlichen Verwaltung bringt das Problem des „blockierenden Erben” mit sich, also die Gefahr, dass ein Miterbe die Verwaltungsmaßnahmen nicht mitträgt und somit faktisch verhindert. Dies hat das Gesetz vorausgesehen und daher Ausnahmen vom Grundsatz der Einstimmigkeit vorgesehen.

Sogenannte Maßnahmen der „ordnungsgemäßen Verwaltung” können auch von einer Mehrheit der Miterben vorgenommen werden. Das ist im Prinzip die laufende Verwaltung, so zum Beispiel Regelungen über die Nutzung von Nachlassgegenständen durch Miterben oder die Einziehung von Miet- oder Pachtzinsen oder anderen Nachlassforderungen. Zur Mitwirkung an den Maßnahmen „ordnungsgemäßer Verwaltung” ist jeder Miterbe darüber hinaus auch verpflichtet, wenn diese Maßnahmen „erforderlich” sind, wenn sie also nach vernünftigen, wirtschaftlichen Maßstäben im Interesse aller Miterben liegen und keine wesentliche Veränderung des Nachlasses herbeiführen.

Eine weitere Gruppe von Maßnahmen, die keine Einstimmigkeit erfordern, betrifft die „notwendigen Maßregeln” zur Erhaltung des Nachlasses. Solche Maßnahmen kann sogar jeder Miterbe ohne Mitwirkung der anderen treffen. Dies sind Maßnahmen, die zur Erhaltung eines gemeinschaftlichen Gegenstands notwendig sind, wie etwa die Abwehr der Zwangsvollstreckung in einen Nachlassgegenstand.

Was ist der Unterschied zwischen „Verwalten” und „Verfügen”?

Die Verwaltung des Nachlasses umfasst alle Maßregeln zu seiner Verwahrung, tatsächlichen oder rechtlichen Erhaltung, Sicherung und Vermehrung sowie zur Gewinnung der Nutzungen und Bestreitung der laufenden Verbindlichkeiten.

Verfügungen sind Rechtsgeschäfte, die unmittelbar darauf gerichtet sind, auf ein bestehendes Recht einzuwirken, es zu verändern, es zu übertragen oder aufzuheben. Hierzu gehören insbesondere die Veräußerung und Belastung eines Gegenstandes, aber auch die Ausübung von Gestaltungsrechten wie Rücktritt, Anfechtung, Aufrechnung und Kündigung.

Für die Verfügung über einzelne Nachlassgegenstände ordnet das Gesetz ausdrücklich an, dass die Miterben diese grundsätzlich nur gemeinschaftlich bewirken können. Da in der Gesamthandsgemeinschaft „allen alles” gehört, sollen bei der unmittelbaren Umgestaltung von Rechten, die zum Nachlass gehören, auch alle Erben beteiligt sein.

Was gilt, wenn eine Verfügung gleichzeitig eine Maßnahme der „ordnungsgemäßen Verwaltung” darstellt?

Bis vor wenigen Jahren ging die Rechtsprechung davon aus, dass Verfügungen stets nur gemeinschaftlich ausgeführt werden können, selbst wenn diese Verfügungen Maßnahmen der „ordnungsgemäßen Verwaltung“ – bei denen ja eine Mehrheit der Erben entscheiden kann – darstellen. Stimmte also ein Miterbe einer solchen Verfügung nicht zu, so musste er von den übrigen Erben auf Mitwirkung verklagt werden. Die Klage hatte Erfolg, wenn die beschlossene Maßnahme „erforderlich” war und also eine Mitwirkungspflicht aller Miterben bestand.

Nachdem der Bundesgerichtshof bereits in den Jahren 2005 und 2006 Zweifel an der bis dahin vorherrschenden Auffassung angedeutet hatte, hat er dann im Jahr 2009 für den Fall der Kündigung eines Mietverhältnisses eine Mehrheitsentscheidung für zulässig erklärt, soweit in der Kündigung eine Maßnahme der „ordnungsgemäßen Verwaltung” lag (Urteil vom 11. November 2009, Az. XII ZR 210/05). Das Gericht argumentierte, es sei nicht einzusehen, wieso die Erbengemeinschaft zwar mit Mehrheitsbeschluss Verträge mit Dritten abschließen könne, es den Erben aber verwehrt sein soll, die vertraglich begründeten Rechte ebenfalls mehrheitlich wieder aufzuheben. Es liege nahe, dem Recht, einen Vertrag zu begründen, auch das Recht folgen zu lassen, diesen wieder zu kündigen, und zwar unabhängig davon, ob das betreffende Vertragsverhältnis bereits zum Zeitpunkt des Erbfalls bestanden habe oder erst von den Erben eingegangen worden sei. Die Erben, die sich in der Minderheit befinden, seien hinreichend dadurch geschützt, dass die Verfügung unwirksam sei, wenn sich in einem gerichtlichen Verfahren herausstelle, dass der Mehrheitsbeschluss den Anforderungen einer „ordnungsgemäßen Verwaltung” nicht genüge. Die Verfügung sei dann rückabzuwickeln, zudem bestünden Schadensersatzansprüche gegen die Mehrheitserben.

In einer aktuellen Entscheidung hat das Oberlandesgericht Schleswig nunmehr ausgesprochen, dass auch die Kündigung eines Darlehens gegenüber einem Miterben nicht der Einstimmigkeit bedarf, wenn sich die Kündigung als Maßnahme der „ordnungsgemäßen Verwaltung” darstellt. Die Kündigung kann vielmehr mit der Stimmenmehrheit der Erbengemeinschaft beschlossen werden (Urteil vom 18. September 2014, Az. 3 U 82/13, veröffentlicht in: Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge (ZEV) 2/2015, Seiten 101 ff. mit Anmerkungen von C. Eberl-Borges).

Welche Verfügungen der Erben sind nunmehr durch Mehrheitsbeschluss möglich?

Für die Zulässigkeit eines Mehrheitsbeschlusses kommt es entsprechend der Argumentation des Oberlandesgerichts Schleswig somit nur darauf an, ob es sich um eine Maßnahme der „ordnungsgemäßen Verwaltung” handelt, ob also die Maßnahme dem Interesse aller Miterben nach billigem Ermessen entspricht. Gerichtlich überprüfbar sei ein Mehrheitsbeschluss nur darauf hin, ob er die Grenzen der „ordnungsgemäßen Verwaltung” einhält. Die Zweckmäßigkeit der Maßnahme unterliege hingegen keiner gerichtlichen Überprüfung, ebenso wenig wie die Frage, ob es sich um eine „erforderliche” Maßnahme (Mitwirkungspflicht der Erben!) handelt.

Unter diesen Voraussetzungen hat das Oberlandesgericht in der genannten Entscheidung die Kündigung eines Darlehens gegenüber einem der Miterben (Darlehensnehmer) als „ordnungsgemäße” Verwaltungsmaßnahme anerkannt. Denn erst die Kündigung führte zur Fälligkeit der Nachlassforderung und ermöglichte ihre Einziehung. Die Einziehung einer Nachlassforderung liegt grundsätzlich im Interesse der Erbengemeinschaft. Dies gilt zumal dann, wenn der Erbengemeinschaft aus der offenstehenden Forderung keinerlei Nutzen wie insbesondere Zinsengewinn zufließt, den sie bei einer Anlage des Geldes nach Forderungseinzug aber erzielen könnte.

Neben der Kündigung eines Darlehens hat die Rechtsprechung inzwischen auch die Einziehung von Forderungen, die Kündigung eines Mietverhältnisses (vgl. oben) und die Kündigung von Verträgen über ein Giro- und ein Sparkonto als Mahnahmen der „ordnungsgemäßen Verwaltung” anerkannt, welche durch Mehrheitsbeschluss der Erben bewirkt werden können.

Nicht ohne weiteres anzuwenden sind diese Grundsätze demgegenüber auf Verfügungen, zu deren Vollzug es weiterer, formgebundener Schritte bedarf. Bei den wirtschaftlich in der Regel besonders gewichtigen eintragungspflichtigen Geschäften (zum Beispiel Verfügungen über Grundbuchrechte) dürfte es auch nach der neueren Rechtsprechung beim Erfordernis der Einstimmigkeit bleiben. Etwa die Löschung eines Grundpfandrechts bedarf für den Vollzug im Grundbuch auch künftig der Zustimmung aller Miterben. Denn die Frage, ob die Löschung eine mit Mehrheitsbeschluss durchführbare Maßnahme der „ordnungsgemäßen Verwaltung” ist, kann im Grundbuchverfahren nicht geprüft werden. Deshalb muss hier die Zustimmungserklärung jedes einzelnen Erben vorliegen. 

Im Ergebnis beschreibt die hier dargestellte aktuelle Rechtsprechung einen weiteren Schritt zur Entwicklung einer funktionsfähigen Handlungsorganisation der Erbengemeinschaft. Sie führt zu einer größeren Beweglichkeit der Erbengemeinschaft im Geschäftsverkehr, indem der Anwendungsbereich für Mehrheitsentscheidungen erweitert wird und dementsprechend die Einflussmöglichkeiten von „blockierenden Erben” begrenzt werden.

Nikolai Nikolov
Rechtsanwalt

 


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