Ermittlung des Grades der Berufsunfähigkeit - warum "prägende" Tätigkeiten den Aussschlag geben können.

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Darstellung der eigenen beruflichen Tätigkeit - Augenmerk auch auf prägende Tätigkeiten richten

Immer wieder müssen wir feststellen, dass in Fragebögen, die Versicherte ausfüllen, die konkrete berufliche Tätigkeit nicht hinreichend klar dargestellt worden ist und zu oberflächlich geblieben ist. Versicherungsnehmer tun sich mitunter schwer, die zuletzt "zu gesunden Tagen" ausgeübte eigene berufliche Tätigkeit so darzustellen, dass der mit der Leistungsprüfung befasste Sachbearbeiter des Versicherers diese nachvollziehen und richtig bewerten kann. 

Was vielen Versicherten nicht (hinreichend) bekannt ist, ist der Umstand, dass die Berufsunfähigkeitsversicherung nicht allgemein ein Berufsbild (Maurer, Zimmermann, Rechtsanwalt) versichert, sondern versichert ist der Beruf, wie ihn der Versicherungsnehmer zuletzt "zu gesunden Tagen" konkret ausgeübt hatte. Bei der Feststellung des Versicherers im Rahmen seiner Leistungsprüfung, ob die Leistungsfähigkeit des Versicherungsnehmers auf die (überlicherweise versicherte) Hälfte herabgesunken ist, handelt es sich allerdings nicht um eine Rechenoperation nach der Regel "übliche Arbeitszeit in Stunden = 100 %", "noch mögliche Arbeitszeit in Stunden = Prozentsatz der Berufsfähigkeit". 

Nach einer mittlerweile durch diverse obergerichtliche Urteile geprägten Rechtsprechung ist stets eine wertende Betrachtung der gesamten mit der Berufsausübung verbundenen Tätigkeiten erforderlich.

Diese wertende Betrachtung kann dazu führen, dass auch dann, wenn der Versicherte nicht mehr fähig ist, prägende Verrichtungen seiner Berufstätigkeit zu erledigen, berufsunfähig ist, obgleich die ihm noch möglichen Verrichtungen noch mehr als 50 % der Arbeitszeit wie zu "gesunden Tagen" ausmachen.

Mit einer solchen Konstellation hatte sich im Jahr 2021 auch das Saarländische OLG (Urteil v. 16. Juli 2021) zu befassen. Geklagt hatte ein IT-Systemadministrator, der an einer psychisch bedingten chronischen Schmerzerkrankung litt. Das OLG kam nach der im Berufungsrechtszug ergänzten Beweisaufnahme zur Überzeugung, dass es sich bei der dem Kläger zugewiesenen Aufgabe, als IT-Systemadministrator jederzeit für Störungsbeseitigung auf Abruf zu stehen, um eine vor allem inhaltlich prägende Teiltätigkeit handelt. Deren Ausübung fordere eine erhebliche Konzentration, die der Kläger nicht leisten könne. Unbeachtlich sei daher im Ergebnis, dass er zu anderen "ruhigeren" Teiltätigkeiten durchaus noch in der Lage sei. Das OLG fasst im Ergebnis zusammen: 

"Kann der Versicherungsnehmer eine bestimmte, zu seinem Beruf zählende und diesen prägende
Tätigkeit nicht mehr ausüben, ist er auch dann berufsunfähig, wenn diese im beruflichen
Alltag zeitlich nur einen geringen Umfang hat oder nicht täglich anfällt, wohl aber
notwendigerweise mit ihm verbunden ist."

Nach der Rechtsprechung kommt es mitunter also auch darauf an, ob ein Versicherter einzelne Verrichtungen oderTeile seiner bisherigen Tätigkeit nicht mehr wahrnehmen kann, von deren Erfüllung aber abhängt, ob er noch ein sinnvolles Arbeitsergebnis zu erzielen vermag. Maßgeblich ist folglich die Wertung, ob die restliche Tätigkeit, die ein Versicherter noch ausüben kann, seinem „Beruf“ gleichzusetzen ist. Zu klären ist, ob der Versicherte seine Arbeit mit den sie prägenden Merkmalen noch in dem erforderlichen Ausmaß wahrnehmen kann. 

Zusammenfassung

Die Entscheidung des Saarländischen OLG aus dem Jahr 2021 zeigt aus unserer Sicht, wie wichtig es ist, die eigene berufliche Tätigkeit zuletzt zu gesunden Tagen "sauber" darzustellen. Es kann hierbei von entscheidender Bedeutung sein, die prägenden Teiltätigkeiten pointiert darzustellen, um die Weichen frühzeitig richtig zu stellen. Auch im Fall einer gerichtlichen Anspruchsdurchsetzung ist es unabdingbar, der genauen Ermittlung und Darstellung der beruflichen Tätigkeit die gehörige Aufmerksamkeit zu widmen.

Sprechen Sie uns sehr gerne hierauf an!

Ihre Fachanwälte der Kanzlei MEILENSTEIN Rechtsanwälte.




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