Erwerbspflicht bei Kindesunterhalt
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Ist ein Elternteil seinem Kind unterhaltspflichtig, muss er alles tun, um Geld zu verdienen. Es besteht eine „gesteigerte“ Erwerbspflicht. Fehlt es an dem dafür notwendigen Engagement, kann ein „fiktives“ Einkommen zugrunde gelegt und danach der Kindesunterhalt bemessen werden. Welche Arbeitsleistungen und welche Bemühungen um Arbeit sind dem unterhaltspflichtigen Elternteil konkret zuzumuten? Wie viele Bewerbungen müssen bei Arbeitslosigkeit nachgewiesen werden? In diesem Beitrag erfahren Sie, welche Anforderungen an die gesteigerte Erwerbsobliegenheit im Detail gestellt werden.
Was bedeutet die gesteigerte Erwerbsobliegenheit beim Kindesunterhalt?
Eltern sind ihren Kindern unterhaltspflichtig. Sie sind verpflichtet, alle verfügbaren Mittel für den Unterhalt einzusetzen und sich in zumutbarer Weise um ein Arbeitseinkommen zu bemühen. Es besteht eine so genannte gesteigerte Erwerbsobliegenheit, was bedeutet, dass der Elternteil ein besonderes Engagement an den Tag legen muss, um finanziell der Verantwortung für das Kind gerecht zu werden.
Diese Verpflichtung gilt vornehmlich gegenüber minderjährigen Kindern und privilegiert volljährigen Kindern, die bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres im Haushalt eines Elternteils leben und sich in der Schul- oder Berufsausbildung befinden. Wichtig ist, dass alle Kinder gleiche Rechte haben, egal ob es ein Kind
- aus erster Ehe,
- aus zweiter Ehe
- oder ein außereheliches Kind ist.
Gegenüber einem volljährigen Kind ist die Erwerbsobliegenheit insoweit weniger verpflichtend, als der Elternteil sich auf einen höheren Selbstbehalt berufen kann (1.400 EUR statt 1.160 EUR/960 EUR).
Erwerbsobliegenheit beim Kindesunterhalt bei Teilzeit oder Nebentätigkeit
Diese Erwerbsobliegenheit betrifft auch Elternteile, die in Teilzeit arbeiten oder nur im Rahmen einer Nebentätigkeit Geld verdienen. Reicht der Verdienst nicht aus, um den Kindesunterhalt zu gewährleisten, muss sich der Elternteil um eine Vollzeitstelle oder eine besser bezahlte Arbeit bemühen. Auch insoweit besteht also eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit. Gleiches gilt aber auch für einen in einer Vollzeitbeschäftigung tätigen Elternteil, falls nötig muss er eben eine Nebenbeschäftigung zusätzlich ausüben. Dabei kommt es immer auf den Einzelfall an, sodass sich einige Details aus verschiedenen Urteilen angesammelt haben. Dazu folgende Gerichtsentscheidungen als Praxisbeispiele:
Bis zu 48 Wochenstunden Arbeit zumutbar
Elternteile müssen als Arbeitnehmer ihre volle Arbeitskraft einsetzen und jede zumutbare Arbeits-, Erwerbs- und Kreditmöglichkeit ausnutzen, um den Kindesunterhalt zu gewährleisten. Das Oberlandesgericht Brandenburg (Beschluss vom 4.9.2019, Az. 13 UF 77/19) entschied, dass es dem Vater eines Kindes als gelernten Kfz-Mechaniker möglich und zuzumuten sei, über die 30 Wochenstunden und den Mindestlohn hinaus sich um eine besser bezahlte Beschäftigung zu bemühen. Konkret können 48 Wochenstunden von ihm erwartet werden. Der Mann müsse entsprechend seiner Vorbildung, seinen Fähigkeiten und der Arbeitsmarktlage jede Arbeit annehmen, die zumutbar sei.
Kindesunterhalt geht eigener Ausbildung des Elternteils vor
Ein unterhaltspflichtiger Elternteil verweigerte die Zahlung des Kindesunterhalts und berief sich darauf, dass er im Alter von 45 Jahren eine Erstausbildung begonnen und deshalb kein Geld habe. Das Oberlandesgericht Bamberg (Beschluss vom 9.2.2022, Az. 7 UF 196/21) belehrte den Mann, dass die Erstausbildung gegenüber der Unterhaltspflicht für sein Kind nicht vorrangig sei, vor allem weil der Mann seit vielen Jahren ungelernte Tätigkeiten ausgeübt und Geld verdient habe. Zwar sei anerkannt, dass eine Erstausbildung auch gegenüber einer gesteigerten Unterhaltspflicht Vorrang genieße, da diese zum eigenen Lebensbedarf gehöre. Habe sich der Elternteil in der Vergangenheit aber stets auf die Ausübung ungelernter Tätigkeiten beschränkt, könne er sich jetzt gegenüber seinem Kind nicht mehr auf das Recht auf Erstausbildung berufen, selbst wenn er dadurch seine Arbeits- und Verdienstchancen verbessern würde.
Was ist ein fiktives Einkommen?
Ein fiktives Einkommen ist ein Einkommen, das ein Elternteil theoretisch erzielen könnte, wenn er oder sie sich angemessen um eine zumutbare Arbeit bemühen würde. In der Konsequenz führt die Zurechnung eines fiktiven Einkommens dazu, dass der Eigenbedarf (Selbstbehalt) des unterhaltspflichtigen Elternteils reduziert werden kann. Ein Elternteil, der beispielsweise nur über ein Arbeitslosengeldgeld verfügt, das unter seinem Selbstbehalt liegt, muss damit rechnen, dass der Selbstbehalt auf gerichtlichen Beschluss herabgesetzt wird und er aus dem Arbeitslosengeld wenigstens teilweise den Kindesunterhalt bedienen muss.
Tipp: Der Selbstbehalt eines erwerbstätigen und unterhaltspflichtigen Elternteils beträgt beim Kindesunterhalt gegenüber einem minderjährigen oder privilegiert volljährigen Kind 1.160 EUR und 960 EUR, wenn er nicht erwerbstätig ist. Gegenüber einem nicht privilegierten volljährigen Kind beträgt der angemessene Selbstbehalt 1.400 EUR. Hierbei sind Zuschläge möglich, wenn beispielsweise die Belastungen für ein selbstgenutztes Haus berücksichtigt werden müssen.
Unterhaltspflicht trotz Arbeitslosigkeit
Das Oberlandesgericht Hamm (Beschluss vom 23.12.2015, Az. 2 UF 213/15) belehrte den Vater eines minderjährigen Kindes, dass ihm als ungelernte Arbeitskraft im Rahmen seiner gesteigerten Erwerbsobliegenheit ein monatliches fiktives Nettoeinkommen von wenigstens 1.300 EUR zuzurechnen ist, wenn er ein derartiges Einkommen bereits vorher in einer Vollbeschäftigung erzielt hatte. Der Mann berief sich auf seine derzeit bestehende Arbeitslosigkeit und behauptete, deshalb keinen Kindesunterhalt leisten zu können.
Da der Mann eine reale Beschäftigungschance gehabt habe, könnten ihm fiktiv erzielbare Einkünfte zugerechnet werden. Gerade für gesunde Arbeitnehmer im mittleren Erwerbsalter gelte auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit kein Erfahrungssatz, nach dem ungelernte Kräfte nicht in eine vollschichtige Tätigkeit vermittelbar seien. Unter Einsatz aller zumutbaren und möglichen Mittel habe sich der Mann nachhaltig darum bemühen müssen, eine angemessene Beschäftigung zu finden. Dafür genüge es nicht,
- sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos zu melden oder
- sich lediglich auf die vom Jobcenter vorgeschlagenen Stellenangebote zu bewerben.
Vielmehr hätte der Mann vortragen müssen, welche Bemühungen er unternommen habe, um eine Erwerbstätigkeit zu finden. Er sei insoweit darlegungs- und beweispflichtig.
Fiktives Einkommen kann über dem Mindestlohn liegen
Geht es darum, ein fiktives Einkommen zu bestimmen, kommt es nicht auf die untersten beruflichen Möglichkeiten und somit nicht auf den gesetzlichen Mindestlohn an. Ein unterhaltspflichtiger Elternteil sei vielmehr so zu behandeln, als ob er eine nach seinen Fähigkeiten gut bezahlte Stelle annimmt (OLG Brandenburg, Beschluss vom 27.6.2019, Az. 10 UF 139/17).
Im Fall verweigerte ein Mann die Unterhaltszahlungen für seinen Sohn, weil er Arbeitslosengeld beziehe und aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkung keinen Job finde. Das Gericht stellte klar, dass sich der Mann so behandeln lassen müsse, als würde er eine seinen Fähigkeiten entsprechende gut bezahlte Stelle annehmen. Es genüge nicht, sich um eine Vergütung nach dem Mindestlohngesetz zu bemühen. Seine Bemühungen müssten sich danach ausrichten, eine besser dotierte Stelle zu finden.
Wie viele Bewerbungen sind nachzuweisen?
Ist ein unterhaltspflichtiger Elternteil arbeitslos, kann ein theoretisch erzielbares (fiktives) Einkommen angerechnet werden, wenn er sich nicht in zumutbarer Weise um eine Erwerbstätigkeit bemüht. Insoweit ist der Nachweis erforderlich, dass der Elternteil monatlich 20 - 30 Bewerbungen verfasst und abgeschickt hat. Arbeitslose müssten genauso viel Zeit verwenden wie für eine Vollzeittätigkeit (OLG Brandenburg, Beschluss vom 28.2.2006, Az. 10 UF 133/05). Im zugrunde liegenden Fall wollte eine Mutter wegen ihrer Arbeitslosigkeit das Kind, das beim Vater lebte, nicht mehr weiter unterhalten. Das Gericht setzte jedoch ein fiktives Einkommen von 1.000 EUR monatlich an und verurteilte die Mutter zur Zahlung von 160 EUR Unterhalt für das Kind.
Die Frau habe nicht ausreichend Anstrengungen unternommen, um entsprechend
- ihrer Vorbildung,
- ihren Fähigkeiten
- und der Arbeitsmarktlage
in zumutbarer Weise Arbeit zu finden. Dazu gehörten neben der Meldung beim Arbeitsamt intensive eigene Bemühungen in Form von rechtzeitigen Bewerbungen auf Stellenangebote in Zeitungen, eigene Stellenanzeigen sowie mündliche und schriftliche Bewerbungen. Dabei seien 20 - 30 Bewerbungen im Monat zumutbar. Sie hätte die Arbeitsplatzsuche auch nicht auf ihren Wohnort beschränken dürfen. Auch wurde nicht anerkannt, dass 20 - 30 Bewerbungen im Monat hohe finanzielle Kosten verursacht hätten. Im Zeitalter moderner Kommunikationsmittel könnten Bewerbungen auch über das Internet getätigt oder per E-Mails verschickt werden.
Kurzarbeit rechtfertigt nicht, den Kindesunterhalt zu kürzen
Leistet der Elternteil Kurzarbeit, begründet die Kurzarbeit kein Recht, laufende Unterhaltszahlung zu reduzieren. Vor allem, soweit die Unterhaltszahlung rechtsverbindlich festgestellt oder vereinbart (tituliert) wurde, bleibt die Verpflichtung bestehen. Die Kurzarbeit ändert daran nichts.
Eine Ausnahme kommt nur in Betracht, wenn die Vereinbarung die Option enthält, in begründeten Fällen die Unterhaltszahlungen abzuändern. Hinzu kommt, dass sich die Unterhaltspflicht, soweit diese tituliert wurde, bei Angestellten nach dem Jahreseinkommen der letzten zwölf Monate bemisst. Das Einkommen, das der Elternteil infolge der Kurzarbeit bezieht, zählt also nicht unmittelbar zum unterhaltsrelevanten Einkommen. Möchte der Elternteil den bestehenden Unterhaltstitel ändern, muss er beim Familiengericht eine Abänderungsklage einreichen und den Unterhalt neu bemessen lassen. Ungeachtet dessen kann es sich empfehlen, auf die aktuellen Einkommensverhältnisse die gebotene Rücksicht zu nehmen, um überhaupt noch Kindesunterhalt zu bekommen.
Kindesunterhalt und Erwerbsobliegenheit bei Kinderbetreuung
Eine schwierige Situation kann sich ergeben, wenn Sie Ihrem Kind aus einer früheren Beziehung Kindesunterhalt leisten müssen und zugleich ein Kind zu Hause im eigenen Haushalt betreuen. Die Frage ist, ob Sie dann arbeiten müssen, um den Kindesunterhalt zu verdienen. Zunächst ist es so, dass Sie die Unterhaltspflicht für das Kind, das in Ihrem Haushalt lebt, durch die Betreuung des Kindes erfüllen. Das andere Kind, das nicht in Ihrem Haushalt lebt, hätte Anspruch auf Barkindesunterhalt. Um diesen zu leisten, müssten Sie eigentlich arbeiten und Geld verdienen. Betreuen Sie aber Ihr Kleinkind bis etwa zum dritten Lebensjahr, besteht normalerweise keine Arbeitspflicht, damit Sie das Kind angemessen betreuen können. Da Sie insoweit kein Geld verdienen, können Sie auch keinen Barunterhalt leisten.
Spätestens dann, wenn das Kind nicht mehr betreuungsbedürftig ist, kommt eine Erwerbsobliegenheit in Betracht und, soweit Sie vorwerfbar nicht erwerbstätig sind, die Anrechnung eines fiktiven Einkommens. Soweit Sie allerdings Geld verdienen, haben alle Kinder den gleichen Anspruch auf Unterhalt, den Sie in Form von Betreuungsunterhalt für ein Kind in Ihrem Haushalt und in Form von Barunterhalt für ein Kind außerhalb Ihres Haushalts erbringen müssten.
Fazit
Jede Unterhaltszahlung ist ein wichtiger Beitrag, die Lebensgrundlage eines Kindes abzusichern. Sind Sie auf der unterhaltsberechtigten Seite, stehen Sie vor der Herausforderung, den Kindesunterhalt in angemessener Form einzufordern und den unterhaltspflichtigen Elternteil zu motivieren und vor allem nicht zu demotivieren, das dafür notwendige Geld zu verdienen. Sie erreichen Ihr Ziel besser, wenn Sie Ihre Forderung strategisch vorbereiten und sich dabei anwaltlich unterstützen lassen.
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