EuGH-Urteil zur Arbeitszeiterfassung: Comeback der Stechuhr oder das Ende unbezahlter Überstunden?

  • 3 Minuten Lesezeit

Am 14.05.2019 ging ein Aufschrei durch die Presse. Während Arbeitnehmervertreter das Ende unbezahlter Überstunden feierten, sahen Arbeitgeberverbände den Wirtschaftsstandort Deutschland in Gefahr. Was war passiert?

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte in einem Vorlageverfahren über eine Vorlage eines spanischen Gerichts entschieden, dass die EU-Mitgliedsstaaten nach Europäischem Recht dazu verpflichtet sind, Regelungen zu schaffen, durch die Arbeitgeber dazu verpflichtet werden, ein System einzurichten, mit dem die von jedem einzelnen Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit erfasst werden kann.

Ausgangsfall war eine Klage einer spanischen Arbeitnehmervertretung gegen die spanische Tochter der Deutschen Bank. Die Deutsche Bank berief sich darauf, dass nach der Rechtsprechung des obersten spanischen Gerichtshofs keine allgemein gültige Verpflichtung zur Aufzeichnung der Arbeitszeiten der Arbeitnehmer bestehe. Der EuGH hatte darüber zu entscheiden, ob dies mit EU-Recht vereinbar ist.

Vergleichbare Situation in Deutschland?

Nach spanischem Recht gibt es gesetzliche Regelungen zur wöchentlichen Höchstarbeitszeit, zu den täglichen Arbeits- und Ruhezeiten sowie zu den jährlich maximal zulässigen Überstunden. Vergleichbare Vorschriften gibt es, abgesehen von der Obergrenze bezüglich der Überstunden, auch im deutschen Arbeitszeitgesetz.

Überstunden sind im deutschen Arbeitsrecht ein Dauerbrenner bei Streitigkeiten über die Wirksamkeit von Klauseln in Arbeitsverträgen oder wenn Arbeitnehmer oftmals nach einer Kündigung noch offene Vergütung für Überstunden einfordern und diese z. B. im Rahmen einer Kündigungsschutzklage mit geltend machen.

Bisher hatte es der Arbeitnehmer hier oftmals schwer, weil ihn nach der Rechtsprechung die Darlegungs- und Beweislast für die geleisteten Überstunden trifft und dafür, dass der Arbeitgeber diese angeordnet oder zumindest geduldet hat. Hier könnten sich nach dem EuGH-Urteil die Grenzen verschieben, da die Arbeitgeber nun verpflichtet werden sollen, sämtliche Arbeitszeiten systematisch zu erfassen.

Das EuGH-Urteil dürfte damit auch Auswirkungen auf das deutsche Arbeitsrecht haben, auch wenn die Bundesregierung sich noch bedeckt hält und zunächst prüfen lassen möchte, ob Gesetze angepasst werden müssen und welche konkreten Maßnahmen zu ergreifen sind. 

Der EuGH zeigt sich arbeitnehmerfreundlich

Der EuGH hat in seiner Argumentation auf den in der EU-Grundrechtecharta verankerten Gesundheitsschutz für Arbeitnehmer, der u. a. durch Arbeitszeitbegrenzungen realisiert wird, abgestellt und ergänzend auf weitere EU-Richtlinien zum Gesundheitsschutz und zur Arbeitszeit Bezug genommen.

Nach EU-Recht gilt eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden, einschließlich der Überstunden und es gelten vorgeschriebene tägliche Mindestruhezeiten. Nach der Entscheidung des EuGH kann die Einhaltung dieser Vorschriften nur dadurch sicher gewährleistet werden, dass die Arbeitgeber durch die nationalen Gesetzgeber dazu verpflichtet werden, sämtliche Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter systematisch zu erfassen.

Kritiker fürchten eine Lähmung der deutschen Wirtschaft durch weitere Bürokratie. Weitere Probleme könnten sich im Zusammenhang mit dem Datenschutzrecht ergeben und nicht zuletzt seien die Kosten derartiger Maßnahmen immens.

Gerade dem Kostenargument hat der EuGH jedoch mit dem Hinweis, dass die Einhaltung der Vorschriften zum Schutz der Arbeitnehmergesundheit nicht rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürften, eine klare Absage erteilt. Arbeitnehmer hätten ohne ein System zur Arbeitszeiterfassung sonst keine Möglichkeit, ihre Rechte effizient durchzusetzen.

Eine Hintertür hat der EuGH den nationalen Gesetzgebern allerdings offengelassen, indem er keine konkreten Vorgaben dazu gemacht hat, wie genau ein System zur Arbeitszeiterfassung ausgestaltet sein muss.

Die Rechtslage nach EU-Recht scheint also klar. Dennoch kommt die Entscheidung für die laufende Diskussion zur Flexibilisierung von Arbeitszeitmodellen praktisch zur Unzeit. Zum Beispiel könnten gerade Start-ups hier vor große Probleme gestellt werden. Bei Start-ups sind immer häufiger Mitarbeiterbeteiligungsprogramme beliebt, die als Baustein der Unternehmensfinanzierung eingeplant sind. Zumindest unausgesprochen gehen Mitarbeiterbeteiligungsprogramme von einem überobligatorischen Arbeitseinsatz mit vielen Überstunden in der Start-up-Phase aus. 

Ob und wie der deutsche Gesetzgeber hier nun konkret auf das Urteil reagieren wird, bleibt abzuwarten.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Dott. Francesco Senatore

Beiträge zum Thema