Fahrerlaubnis-Entzug nach Unfallflucht bei Schaden ab ca. 1.300 € (Landgericht Berlin, April 2019)

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Nach § 69 I, II Nr.3 StGB kommt es in Fällen der Unfallflucht regelmäßig zur Entziehung der Fahrerlaubnis, wenn der/die Beschuldigte einen "bedeutenden Sachschaden" verursacht hat. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff wird von den Gerichten unterschiedlich ausgelegt und unterliegt auch unter zeitlichen Gesichtspunkten dem Wandel. Es ist von maßgeblicher Bedeutung für den Erhalt der Mobilität, dass die Rechtsprechung des im Einzelfall zuständigen Gerichts bzw. des für dieses maßgeblichen Rechtsmittelgerichts bekannt ist und zur Grundlage der Argumentation der Verteidigung gemacht wird. 

Das Landgericht Berlin beschloss am 01.04.2019 (Az. 534 Qs 23/19) in diesem Zusammenhang auf die Beschwerde eines Beschuldigten gegen eine vorläufige Entziehung seiner Fahrerlaubnis, dass die maßgebliche Betragsgrenze zum Entscheidungs-Zeitpunkt bei 1.300 € lag. 

Interessanter sind in dem Beschluss des Gerichts aber die weiteren Ausführungen, denn im entschiedenen Fall belief sich die vom Geschädigten vorgelegte Reparaturkosten-Kalkulation auf stattliche 3.370,66 € inkl. MwSt. und damit auf einen deutlich über der genannten Grenze liegenden Betrag. Macht nichts, meinte das Gericht und hob den Beschluss über die vorläufige Fahrerlaubnis-Entziehung auf. Denn - so heißt es in den Gründen -: 

"[...] Demzufolge wäre zwar die Grenze zum bedeutenden Sachschaden (objektiv) überschritten. Es ist aber nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellbar, dass der Beschuldigte (subjektiv) mit dem Eintritt eines derart hohen Schadens rechnete oder rechnen musste, und zwar aus folgenden Gründen:

Maßgeblich für die subjektive Voraussetzung der Entziehung der Fahrerlaubnis ist gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist die Erkennbarkeit des bedeutenden Schadens für den Beschuldigten zum Zeitpunkt der Tat. Die Einschätzung des ersten Polizeibeamten vor Ort ist hierfür ein wichtiges Indiz. Polizeibeamte, die Verkehrsunfallanzeigen aufnehmen, verfügen berufsbedingt über ein besonderes Erfahrungswissen für die Bewertung der Kosten der Reparatur eines beschädigten Fahrzeugs. Dies hat zur Folge, dass die Einschätzung der Reparaturkosten durch den Polizeibeamten vor Ort in der Regel ein wichtiges Indiz dafür ist, ob der Beschuldigte zur Zeit der Tat subjektiv erkennen konnte, ob ein bedeutender Schaden entstanden war. Allein aus der nachträglichen Feststellung eines höheren Schadens ergibt sich daher nicht, dass dieser bei laienhafter Betrachtung ursprünglich erkennbar sein konnte. Nur ausnahmsweise, wenn die Einschätzung der Reparaturkosten durch den Polizeibeamten vor Ort völlig abwegig ist, weil sie im krassen, auch für den technischen Laien erkennbaren Widerspruch zu dem Schadensbild steht, entfaltet die Einschätzung keine Indizwirkung. [...]"

Da die Polizisten nur 500 € als Schadenshöhe schätzten und der Schaden am betroffenen Mercedes tatsächlich eher geringfügig wirkte, bliebt es dabei, dass dem Beschuldigten keine genauere Möglichkeit zur Einschätzung der wirklichen Schadenshöhe angedichtet werden konnte als den berufserfahrenen Polizeibeamten.

Merke also: Selbst wenn in objektiver Hinsicht die Grenze zum bedeutenden Schaden überschritten wurde, kann die Entziehung der Fahrerlaubnis verhindert werden, wenn die tatsächliche Schadenshöhe für den Beschuldigten vor Ort nicht erkennbar gewesen ist. Dies ist ein sehr wichtiges Verteidigungs-Argument, mit dem wir schon häufig Erfolg erzielen konnten. 


Dr. Sven Hufnagel
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht

Die Verkehrsrechtsanwälte Dr. Sven Hufnagel und Claudia Hufnagel aus Aschaffenburg haben sich auf die Verteidigung in Fahrerflucht-Fällen sowie die Auseinandersetzung mit Versicherern spezialisiert und  sind deutschlandweit tätig. 

Sie weisen umfangreiche Erfahrungen wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort und in der Schadenregulierung bzw. Abwehr von Regressforderungen auf. Sie freuen sich über wiederholte Auszeichnungen als „Top-Anwalt für Verkehrsrecht“ in den „FOCUS-Anwaltslisten“ 2015 bis 2021 (Dr. Sven Hufnagel) und im STERN 2020 und 2021 als eine der „besten Kanzleien im Verkehrsrecht“. 

Nähere Informationen unter www.fahrerflucht24.de .


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