Fehlerhafte Belehrung bei Bescheiden des Jobcenters ab dem Jahr 2024-ein Jahr Widerspruchsfrist bei Widersprüchen!!

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Immer wieder kommt es leider vor, dass Leistungsberechtigte aus Unwissenheit die Frist zur Einlegung eines Widerspruchs von einem Monat versäumen, obwohl die Bescheide offensichtliche Fehler enthalten.

Zwar gibt es die Möglichkeit, einen Überprüfungsantrag zu stellen, dies ist aber mit einem Mehraufwand verbunden.

Glücklicherweise hat der Gesetzgeber im Jahr 2024 den § 36a SGB I geändert mit der Folge, dass Rechtsanwälte Widersprüche ohne qualifizierte, elektronische Signatur bei der Behörde einreichen können.

Die Rechtsbehelfsbelehrungen des Jobcenters sehen aber immer noch das Erfordernis einer qualifizierten, elektronischen Signatur bei Widersprüchen durch Rechtsanwälte vor!

Der Unterzeichnende hat bereits seit Anfang des Jahres diese Praxis moniert und auch gegen Bescheide Widerspruch eingelegt, obwohl die Widerspruchsfrist abgelaufen ist.

Zur Begründung hat er folgendes vorgetragen:

Der Widerspruch ist zwar außerhalb der Monatsfrist erhoben worden, wegen unzutreffender Rechtsbehelfsbelehrung gleichwohl zulässig, so dass Sie über den Widerspruch sachlich zu entscheiden haben.


Denn nach der Rechtsbehelfsbelehrung ist diese als unvollständig und unrichtig anzusehen, so dass eine Widerspruchsfrist von einem Jahr gilt.


Es wird auf die Kommentierung von Herold-Tews Sozialgerichtsprozess, B. Das Widerspruchsverfahren Rn. 44, 45, beck-online, verwiesen:


Eine bestimmte Schriftform ist nicht vorgeschrieben. Der Widerspruch kann auch telegrafisch oder mit Telefax oder durch elektronische Übermittlung einer Textdatei mit qualifizierter elektronischer Signatur nach dem Signaturgesetz bzw. in elektronischem Formular bzw. durch De-Mail nach §5 des De-Mail-Gesetz eingelegt werden. Eine einfache E-Mail reicht hingegen nicht aus. Eine telefonische Einlegung kann ausnahmsweise genügen, wenn diese vom zuständigen Bediensteten der Behörde auf einem früheren, ein anderes Jahr betreffenden Widerspruch vermerkt wird Leitherer in Meyer-Ladewig § 84 Rn. 3a). Wurde der Widerspruch ohne Unterschrift eingereicht, ist dies unschädlich, wenn sich aus dem Widerspruch oder beigefügten Anlagen hinreichend sicher ergibt, dass dieser vom Beteiligten herrührt. An die Widerspruchserhebung können nämlich nicht strengere Anforderungen gestellt werden als an die Klageerhebung, für die in § 92 nur vorgeschrieben ist, dass die Klageschrift unterzeichnet sein soll (s Rn. 157).


Ein Rechtsbehelf ist im Zweifel als Widerspruch zu behandeln, wenn er bei der Stelle eingeht, die den Verwaltungsakt erlassen hat. IdR ist davon auszugehen, dass nicht lediglich eine Gegenvorstellung beabsichtigt ist. Bei dieser handelt es sich um kein Rechtsmittel, sondern um eine Anregung zur Änderung der Entscheidung durch die Behörde. Wenn ein nicht rechtskundig vertretener Empfänger eines Bescheides oder Widerspruchsbescheides dessen Unrichtigkeit geltend macht, will er idR nicht eine Gegenvorstellung, sondern ein Rechtsmittel einlegen. Dienstaufsichtsbeschwerden oder Petitionen sind ebenfalls keine Rechtsmittel. Gegebenenfalls können diese aber als solche ausgelegt werden, wenn sich das aus den Umständen ergibt.


Nach den o.a. Ausführungen ist die Rechtsbehelfsbelehrung unzureichend.


Die Rechtsbehelfsbelehrung ist insbesondere unter Punkt 2.3 ab dem 01.01.2024 unrichtig und damit rechtswidrig.


Denn es ist nicht erforderlich, einen Widerspruch über das beA elektronisch zu signieren, wenn der Widerspruch von der verantwortlichen Person selbst versendet wird.


Insofern wurde der § 36 a SGB I zum 01. Januar 2024 dergestalt geändert, dass der Widerspruch über das beA nicht mehr qualifiziert elektronisch signiert werden muss.


Demgegenüber ist in der verwandten Belehrung unter Punkt 2.3 immer noch das Erfordernis einer qualifizierten elektronischen Signatur genannt.


Insofern ist die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig und damit rechtswidrig.


War dem Verwaltungsakt keine oder eine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt, läuft gemäß § 84 Abs. 2 S 3 die Jahresfrist des § 66 Abs. 2. Auf die Besonderheiten des Fristbeginns bei Zustellung durch eingeschriebenen Brief muss nicht hingewiesen werden; der Hinweis „nach Zustellung“ ist vollständig (BSG SozR 3–1500 § 66 Nr. 2 = NZS 1993, 375). Nennt die Rechtsbehelfsbelehrung (abgesehen von der Dreimonatsfrist bei Bekanntgabe im Ausland) eine längere als die Monatsfrist, ist die Belehrung iSd § 66 Abs. 2 S 1 unrichtig (BSG SozR 3–1500 § 66 Nr. 1), vgl. Herold-Tews Sozialgerichtsprozess, B. Das Widerspruchsverfahren Rn. 47, beck-online.


Der Widerspruch ist zwar außerhalb der Monatsfrist erhoben worden, er ist jedoch nicht verspätet, weil aufgrund einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung die Einlegung des Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig ist (§ 66 Abs. 2 Satz 1 SGG).  


Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist nämlich nicht nur dann fehlerhaft, wenn sie die in § 66 Abs. 1 zwingend geforderten Angaben nicht enthält, sondern auch dann, wenn ihr ein unrichtiger oder irreführender Zusatz beigefügt ist, der geeignet ist, beim Betroffenen einen Irrtum über die formellen und/oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf einzulegen bzw. rechtzeitig einzulegen, vg. BeckOGK/Jung, 1.2.2022, SGG § 66 Rn. 18.

Nun hat auch das Sozialgericht Dortmund in dem Verfahren S 86 AS 1928/24 diese Argumentation aufgegriffen und dem beklagten Jobcenter den folgenden, ausdrücklichen rechtlichen Hinweis erteilt:

In obiger Streitsache wird darauf hingewiesen, dass der Widerspruch der Kläger fristgemäß erhoben worden sein dürfte. Die Frist dürfte gemäß § 66 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Jahr betragen haben. Die dem Bescheid vom 27.05.2024 beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung dürf-te unrichtig erteilt worden sein. Eine Rechtsbehelfsbelehrung muss den Rechtsbehelf, das Gericht oder die Verwaltungsstelle, bei dem dieser einzulegen ist, und die einzuhaltende Frist enthalten (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage, § 66, Rn. 5). Die Belehrung darf keine unrichtigen Angaben enthalten (BSG, Beschluss vom 18. Oktober 2007 – B 3 P 24/07 B –, Rn. 12). Vorliegend enthält die Belehrung den folgenden Inhalt:„Gegen diesen Bescheid kann jede betroffene Person oder ein von dieser bevollmächtigter Dritter innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch erheben. Für minderjährige oder nicht geschäftsfähige Personen handelt deren gesetzlicher Vertreter. Für die Erhebung des Widerspruchs stehen folgende Möglichkeiten zur Verfügung: [..] 

2.3 Durch Übermittelung mittels elektronischen Dokuments, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist, über ein EGVP-Postfach oder das besondere Anwaltspostfach (beA) an das im SAFE-Verzeichnis (sichere Verzeichnisdienste) gelistete besondere Behördenpostfach (beBPo) der im Briefkopf genannten Stelle. Dafür wird ein EGVP-Postfach beziehungsweise ein besonderes Anwaltspost-fach benötigt.“Dies entspricht nicht der Rechtslage nach § 36 a Abs. 2a Nr. 2 a) Sozi-algesetzbuch Erstes Buch (SGB I) in der Fassung vom 22.12.2023 mit Gültigkeit ab dem 01.01.2024. Demnach kann die nach § 84 Abs. 1 SGG für die Erhebung des Widerspruchs vorgesehene Schriftform durch Übermittlung einer von dem Erklärenden elektronisch signierten Erklärung an die Behörde aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach nach den §§ 31a und 31b der Bundesrechtsanwaltsordnung oder aus einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage er-richteten elektronischen Postfach ersetzt werden. Es genügt folglich die einfache Signatur, eine qualifizierte ist nicht mehr notwendig (Koop in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 4. Aufl., § 36a SGB I, Rn. 110; BT-Drs. 20/9195, S. 43).Dementsprechend dürfte der Widerspruch hier fristgemäß erhoben worden sein...

Insofern ist bei allen Bescheiden des Jobcenters ab dem 01.01.2024 von einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung auszugehen, Widersprüche können auch nach einem Monat noch fristgemäß erhoben werden.

Es kann insofern jedem Leistungsbezieher der Jobcenter nur geraten werden,  gegen Bescheide des Jobcenters mit Hilfe eines/r auf dem Gebiet des Sozialrechts tätigen Rechtsanwaltes/Rechtsanwältin auch nach einen Monat noch im Wege des Widerspruchs bei Fehlern vorzugehen. 




Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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