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Fibromyalgie – Zur Notwendigkeit fachübergreifender Begutachtung in Sozialleistungsverfahren

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Die Durchsetzung von sozialrechtlichen Ansprüchen (z. B. Rentenansprüche, Anerkennung einer Schwerbehinderung) auf der Grundlage einer Fibromyalgie gestaltet sich häufig schwierig. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass diese Erkrankung mehrere medizinische Fachgebiete betrifft, z. B. Innere Medizin, Rheumatologie, Orthopädie, Neurologie, Psychiatrie. Jedes Fachgebiet hat eigene Diagnosekriterien und kommt aus seiner Sicht u. U. zu ganz unterschiedlichen Leistungsdefiziten des Patienten.

Das Bundessozialgericht hat für den Bereich des Rentenversicherungsrechts entschieden, dass die Gerichte verpflichtet sind, eine fachübergreifende Begutachtung zumindest immer dann zu veranlassen, wenn sich die aus der Sicht der medizinischen Fachgebiete jeweils festgestellten Defizite überschneiden und ggf. potenzieren können (Urteil vom 10.12.2003 - B 5 RJ 24/03 R - https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/export.php?modul=esgb&id=19271&exportformat=HTM). 

In einem weiteren Urteil vom 12.02.2009 - B 5 R 48/08 B - (https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/export.php?modul=esgb&id=87989&exportformat=HTM) stellt das Gericht erneut fest, dass es in Grenzfällen nicht ausgeschlossen werden könne, dass die von einzelnen Sachverständigen verschiedener Sachgebiete unabhängig voneinander festgestellten Erkrankungen und daraus folgenden Funktionsstörungen sich im Sinne einer Auswirkung auf das quantitative Leistungsvermögen überschneiden oder gar potenzieren. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn Funktionseinschränkungen aufgrund verschiedener Krankheiten von einzelnen Sachverständigen völlig unterschiedlicher Sachgebiete benannt werden. Es handelt sich dann nicht nur um eine Frage der etwaigen Summierung von Leistungseinschränkungen, welche das quantitative Leistungsvermögen in der Regel unberührt lassen.

Vielmehr können die einzelnen Funktionseinschränkungen so geartet sein, dass ohne Hinzuziehung eines medizinischen Sachverständigen nicht geklärt werden kann, ob aus ärztlicher Sicht unter Berücksichtigung aller einander beeinflussenden Gesundheits- und Funktionsstörungen nicht doch eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens anzunehmen ist. Lässt sich in derartigen Grenzfällen das Leistungsvermögen nur durch Einschaltung eines ärztlichen Sachverständigen aufgrund seines medizinischen Fachwissens über die Auswirkungen der verschiedenen festgestellten Erkrankungen endgültig klären, weil die Gesamtbeurteilung nicht den einzelnen Gutachten selbst entnommen werden kann, dann überschreitet das Tatsachengericht, das diese Beurteilung nicht veranlasst, nicht nur die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung, sondern unterlässt eine erforderliche Sachaufklärung.

Dies wird man auch auf das Feststellungsverfahren im Schwerbehindertenrecht übertragen können. Letztlich wird es in Verfahren, in denen es um die Auswirkungen einer Fibromyalgie geht, immer darauf ankommen, eine medizinische Gesamtbeurteilung unter Berücksichtigung aller relevanten Fachgebiete durchzusetzen.

Dieser Beitrag dient zur allgemeinen Information und entspricht dem Kenntnisstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Eine individuelle Beratung wird dadurch nicht ersetzt. Jeder einzelne Fall erfordert fachbezogenen Rat unter Berücksichtigung seiner konkreten Umstände. Ohne detaillierte Beratung kann keine Haftung für die Richtigkeit übernommen werden. Vervielfältigung und Verbreitung nur mit schriftlicher Genehmigung des Verfassers.


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